BFH Beschluss v. - I B 47/14

Wirksame Bekanntgabe der Übermittlung eines abgelichteten Steuerbescheides nach zwischenzeitlicher Änderung der Rechtslage

Gesetze: AO § 122 Abs. 1, AO § 122 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, KStG § 34 Abs. 13f

Instanzenzug:

Tatbestand

1 I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat mit Bescheiden vom gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) —einer eingetragenen Genossenschaft— jeweils zum sowohl die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 a.F. als auch die Endbestände des verwendbaren Eigenkapitals gemäß § 36 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 n.F. festgestellt. Das FA hat die Einsprüche —jeweils mit Bescheiden vom — durch Teil- und Endeinspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin, die Endbestände nach Maßgabe von § 36 KStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 vom (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) —KStG 2002 n.F.— festzustellen (vgl. § 34 Abs. 13f KStG 2002 n.F.). Mit der Teileinspruchsentscheidung sei hierüber nicht entschieden worden; die Endeinspruchsentscheidung sei ihr nicht zugegangen. Mit Schreiben vom hat das FA beide Einspruchsentscheidungen der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten zur Kenntnisnahme übersandt; zugleich hat es darauf hingewiesen, dass beide Verwaltungsakte (vom ) in dem nämlichen Briefumschlag zur Post gegeben worden seien und es bei dieser Sachlage geboten sei, den Sachverhalt (Posteingangskontrolle) vollständig aufzuklären. Hierfür werde eine großzügige Frist zur Stellungnahme (bis ) gesetzt. Nach deren Eingang hat das FA der Klägerin mitgeteilt, dass das FA von einer wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aufgrund des Schreibens vom ausgehe.

2 Die daraufhin am erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) durch Prozessurteil abgewiesen. Es ist hierbei der Ansicht des FA, die Einspruchsentscheidungen seien zusammen mit dem Schreiben vom bekannt gegeben worden, gefolgt; die Klägerin habe die Klagefrist versäumt, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der FinanzgerichtsordnungFGO—) lägen nicht vor. Die Revision wurde von der Vorinstanz nicht zugelassen ().

Gründe

3 II. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat Erfolg. Das Urteil beruht —wie von der Klägerin schlüssig vorgetragen— auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Sache nach § 116 Abs. 6 FGO an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

4 Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Urteil dann auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen, wenn das FG eine Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abweist, weil es fehlerhaft von einer Versäumnis der Klagefrist ausgeht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 80, m.w.N.). Letzteres ergibt sich für das anhängige Verfahren daraus, dass —wie die Klägerin zu Recht rügt— der Ansicht des FG, das FA habe mit dem Schreiben vom die Einspruchsentscheidungen vom erneut bekannt gegeben, nicht gefolgt werden kann. Zwar hat das FG im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass die Übermittlung der Ablichtung eines Steuerbescheides die Voraussetzungen einer wirksamen Bekanntgabe auch dann erfüllen kann, wenn der Beamte bei der Übermittlung der Kopie in der Annahme, die Urschrift sei bereits bekanntgegeben, nicht die Vorstellung hatte, dadurch eine Bekanntgabe zu bewirken (z.B. , BFH/NV 1994, 768). Eine Bindung des Senats an die hierauf gerichtete Feststellung des FG (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 46, m.w.N.) scheidet jedoch im Streitfall —wie die Klägerin zu Recht geltend macht— bereits deshalb aus, weil die Vorinstanz offensichtlich nicht alle den vorliegenden Sachverhalt kennzeichnenden Umstände berücksichtigt hat. Abgesehen davon, dass die Ablichtungen lediglich zu „Ihrer Kenntnis” (d.h. zum Zwecke der Unterrichtung) übersandt worden sind (s. dazu , BFH/NV 1990, 409), hat die Vorinstanz außer Acht gelassen, dass das FA in dem genannten Schreiben ausdrücklich an seiner Ansicht zur Bekanntgabe der gemeinsam versandten Einspruchsentscheidungen festgehalten hat und die Klägerin —unter Einräumung einer Äußerungsfrist— aufgefordert hat, zu den Einzelheiten des Posteingangs sowie der Posteingangskontrolle ihrer Bevollmächtigten Stellung zu nehmen. Nach Ansicht des Senats steht bereits dies —unter Berücksichtigung des für die Auslegung von Verwaltungsakten maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts— der Annahme entgegen, das FA habe dieser Aufforderung durch die erneute Bekanntgabe der Endeinspruchsentscheidung die Grundlage entziehen wollen. Letztlich kann dies indes offen bleiben, da —wie die Klägerin zu Recht geltend macht— die Neuregelung des § 36 KStG 2002 n.F. durch § 34 Abs. 13f KStG 2002 n.F. in allen noch offenen Fällen Rückwirkung entfaltet und deshalb zumindest mit Rücksicht auf die hierdurch geänderte Rechtslage nur dann von dem Willen des FA ausgegangen werden kann, einen nach alter Rechtslage gefassten Verwaltungsakt bekannt zu geben, wenn dessen Empfänger zumindest konkludent darauf hingewiesen wird, dass die eingetretenen Rechtsänderungen auf den Inhalt des Bescheides keinen Einfluss nehmen.

5 Da es an Letzterem fehlt und die Klägerin auch im Rahmen ihrer Beschwerdeschrift bestreitet, die Endeinspruchsentscheidung vom erhalten zu haben, erachtet es der Senat für sachgerecht, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit diese unter Berücksichtigung der Beweislast des FA über den Zugang des Verwaltungsakts entscheidet (vgl. § 122 Nr. 1 der Abgabenordnung; , BFH/NV 2009, 1777).

6 Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO analog).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 808 Nr. 6
TAAAE-89036