Privates Veräußerungsgeschäft - Verkauf unter aufschiebender Bedingung innerhalb der Veräußerungsfrist - Eintritt der Bedingung nach Ablauf der Frist
Leitsatz
1. Eine Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind.
2. Ein nach § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft ist für die Parteien bindend. Der außerhalb der Veräußerungsfrist liegende Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung ist insoweit für die Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unerheblich.
Gesetze: EStG § 22 Nr. 2EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1BGB § 158 Abs. 1BGB § 160BGB § 161BGB § 177 Abs. 1BGB § 184 Abs. 1
Instanzenzug: (EFG 2013, 1336),
Gründe
I.
1 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit Kaufvertrag vom von der X-GmbH ein Teilgrundstück —Betriebsanlage einer Eisenbahn— in A-Stadt. In § 3 des Kaufvertrages wurde als Stichtag für den Besitzübergang der vereinbart. In § 4 des Kaufvertrages verpflichtete sich der Käufer für den Fall, dass das Kaufgrundstück oder Teile davon innerhalb von zehn Jahren nach der Umschreibung im Grundbuch einer höherwertigen Planung zugeführt würden, dem Verkäufer die sich daraus ergebende Wertsteigerung zu erstatten.
2 Das in der Folgezeit neu vermessene Grundstück wird seit dem Jahr 1999 unter „B-Straße” geführt. Der Kläger vermietete das Grundstück an die Y-GmbH.
3 Am schloss der Kläger mit der A-Stadt über das bebaute Grundstück einen notariell beurkundeten Kaufvertrag mit folgenden Regelungen (Auszüge):
4 „§ 3 Kaufpreis/Fälligkeit
5 Der Kaufpreis beträgt ... €/qm, mithin auf der Grundlage von ... qm 309.632,00 € (...).
Der Kaufpreis ist fällig eine Woche nach Vorlage einer Bankbürgschaft in Höhe des Kaufpreises. Diese Bankbürgschaft muss dem Käufer vorliegen. (...)
Der Notar wird angewiesen, die Eigentumsumschreibung im Grundbuch erst dann zu beantragen, wenn ihm der Zahlungseingang des vollständigen Kaufpreises durch den Verkäufer mitgeteilt wird und die Entwidmung durch die Deutsche Bundesbahn vorliegt. (...)
6 § 5 Besitzübergabe
7 Der Verkäufer hat dem Käufer den Vertragsgegenstand zu übergeben, und zwar am . Mit diesem Zeitpunkt gehen dann, Besitz, Lasten und Nutzen sowie die Gefahr des zufälligen Unterganges auf den Käufer über. (...)
8 § 7 Belehrung/Vollmacht
9 (...) Der Käufer wurde über die Risiken einer Kaufpreiszahlung bei schwebender Unwirksamkeit des Vertrages hingewiesen. Dennoch soll es bei der Kaufpreisfälligkeit, wie in § 3 dieses Vertrages vereinbart, verbleiben. (...)
§ 9
10 Dieser Vertrag wird nur dann wirksam (schwebend bedingt), wenn die Deutsche Bundesbahn bzw. die dafür zuständige Behörde/Amt die Entwidmung dieses Grundstücks erklärt hat.
Sollte die Entwidmung versagt werden, wird dieser Vertrag, soweit bereits abgewickelt (Kaufpreiszahlung), aufgehoben und rückabgewickelt. (...)”
11 Unter dem erteilte das Eisenbahn-Bundesamt gegenüber der A-Stadt gemäß § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes einen Freistellungsbescheid, mit dem das Grundstück „B-Straße” von Bahnbetriebszwecken freigestellt wurde.
12 In dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2008 vom berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) aufgrund der Veräußerung des Grundstücks Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 124.776 € und setzte die Einkommensteuer auf 65.525 € fest. Das FA führte aus, für die Berechnung des Zehnjahreszeitraums in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei der Zeitpunkt maßgebend, in dem der obligatorische Vertrag abgeschlossen werde. Der Übergang von Nutzen und Lasten sei unerheblich. Der Einspruch blieb erfolglos.
13 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1336 veröffentlichten Urteil statt. Die zehnjährige Veräußerungsfrist sei überschritten. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am liege keine Veräußerung vor, da der Vertrag zu diesem Zeitpunkt nicht zivilrechtlich wirksam gewesen sei. Er sei erst mit der Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das Eisenbahn-Bundesamt am wirksam geworden, weil er unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung geschlossen worden sei.
14 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Eine wirksame Veräußerung sei ab Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am anzunehmen, da dies zu einem verbindlichen Vertrag für die Parteien geführt habe. Entscheidend sei, ob der Kläger selbst innerhalb der Frist die für die Veräußerung erforderlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen abgegeben habe, und ob beide Vertragsbeteiligten am wirtschaftlichen Ergebnis des Rechtsgeschäfts festhalten wollen. Zudem wirke die erteilte Freistellung auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am zurück.
15 Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
16 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
17 Die Kaufvertragsparteien hätten sich im Zeitpunkt ihrer notariell beurkundeten Erklärungen am nicht gebunden, sondern ihre Erklärungen ausdrücklich aufschiebend bedingt abgegeben. In § 9 des Kaufvertrages sei klar formuliert worden: „Dieser Vertrag wird nur dann wirksam ...”.
II.
18 Die Revision des FA ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG liegt ein privates Veräußerungsgeschäft (§ 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) vor.
19 1. Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2 EStG) sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
20 a) Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden (vgl. , BFHE 173, 144, BStBl II 1994, 687; vom IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171; vom IX R 18/13, BFHE 245, 323, BStBl II 2014, 826).
21 Entsprechend dem Normzweck, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 184, 385, BStBl II 1998, 135; vom IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614), kann von einer Verwirklichung des Grundstückswerts nur gesprochen werden, wenn die Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind (, BFHE 196, 567, BStBl II 2002, 10; , BFH/NV 2007, 31; Tiedtke/Wälzholz, Die Steuerberatung —Stbg— 2002, 209, 211). Zwar hat der BFH auch ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot als Veräußerung i.S. des § 23 EStG gewertet. Dies geschah indes in Fällen, in denen mit dem Angebot der Verkauf durch den Übergang von Besitz, Gefahr sowie Nutzungen und Lasten wirtschaftlich bereits vollzogen war (vgl. , BFHE 87, 140, BStBl III 1967, 73; vom VI R 166/67, BFHE 100, 93, BStBl II 1970, 806; vom VIII R 84/71, BFHE 104, 513, BStBl II 1972, 452). Ist aber —wie im Streitfall— bei Abgabe des Verkaufsangebots die Gefahr noch nicht übergegangen und hat der Verkäufer dem Käufer noch kein wirtschaftliches Eigentum verschafft, so müssen beide Vertragserklärungen innerhalb der Frist abgegeben werden. Der Vertragsabschluss muss innerhalb der Veräußerungsfrist für beide Parteien bindend sein. Dem entspricht der für das Steuerrecht im Vordergrund stehende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit (Gesetzmäßigkeit) der Besteuerung: Nur ein verwirklichter Tatbestand darf nach bestimmten Zeitabschnitten zugrunde gelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 132, 563, BStBl II 1981, 435; BFH-Urteil in BFHE 196, 567, BStBl II 2002, 10).
22 b) Bei einem unbedingten und nicht genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluss gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen von dem Eintritt einer Bedingung abhängen. Aus dem Wesen der Bedingung und dem Wortlaut des § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) folgt, dass das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft tatbestandlich mit seiner Vornahme vollendet und voll gültig ist —die Parteien daher fortan bindet— und seine Wirksamkeit mit dem Bedingungsfall ipso iure eintritt, ohne dass die Willenseinigung der Parteien noch bis dahin Bestand haben müsste; nur die Rechtswirkungen des bedingten Rechtsgeschäfts befinden sich bis zum Bedingungseintritt in der Schwebe (einhellige Auffassung; vgl. , BGHZ 127, 129; Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl., Einführung vor § 158 Rdnr. 8 und § 158 Rdnr. 2; Erman/ C. Armbrüster, BGB, 14. Aufl., § 158 Rz 3; Armgardt in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 158 BGB Rz 45; Leenen, Festschrift Canaris, Band I, 699, 703). Die Parteien eines bedingten Rechtsgeschäfts können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treupflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 f. BGB verpflichtet (vgl. , BFHE 191, 411, BStBl II 2000, 318).
23 2. Da das FG-Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
24 a) Entgegen der Auffassung des FG war bei der Veräußerung des Grundstücks die zehnjährige Veräußerungsfrist nicht abgelaufen. Die Anschaffung erfolgte unstreitig am . Die Veräußerung liegt in dem am abgeschlossenen Kaufvertrag. Da mit den beiderseitigen Willenserklärungen innerhalb der Haltefrist der Kaufvertragsschluss für die Vertragspartner zivilrechtlich bindend wurde und damit gemäß dem Normzweck des § 23 EStG die Voraussetzungen für eine Realisierung der Wertsteigerungen verbindlich eintraten, ist es entgegen der Auffassung des Klägers unerheblich, dass der Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung außerhalb der Veräußerungsfrist lag (gl.A. im Erg. Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 169; Tiedtke/Wälzholz, Stbg 2002, 209, 211; a.A. Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG Rz 53 a.E.; Kube in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 23 EStG Rz 17). Dementsprechend wurde auch der Kaufpreis dem Kläger schon vor dem vereinbarten Rechtsübergang überwiesen.
25 b) Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den im Urteil des BFH in BFHE 196, 567, BStBl II 2002, 10 dargelegten Rechtsgrundsätzen. Dort hat der BFH bei einem wegen vollmachtloser Vertretung auf der Erwerberseite schwebend unwirksamen —genehmigungsbedürftigen— Rechtsgeschäft (vgl. § 177 Abs. 1, § 184 Abs. 1 BGB) auf den Zeitpunkt der Genehmigung und nicht auf den Zeitpunkt der zivilrechtlich rückwirkenden Wirksamkeit des Vertragsabschlusses abgestellt. Anders als im Streitfall lagen dort aber keine bindenden Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Spekulationsfrist vor. Denn die erforderliche beidseitige schuldrechtliche Bindung ist bei einem Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht gerade nicht gegeben, da der Vertretene die Genehmigung jederzeit ablehnen kann.
26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2015 II Seite 487
BB 2015 S. 917 Nr. 16
BFH/NV 2015 S. 728 Nr. 5
BFH/PR 2015 S. 198 Nr. 6
BStBl II 2015 S. 487 Nr. 9
DB 2015 S. 12 Nr. 15
DB 2015 S. 1202 Nr. 21
DNotZ 2015 S. 769 Nr. 10
DStR 2015 S. 742 Nr. 14
DStRE 2015 S. 565 Nr. 9
DStZ 2015 S. 358 Nr. 10
EStB 2015 S. 161 Nr. 5
ErbStB 2015 S. 127 Nr. 5
FR 2015 S. 658 Nr. 14
GStB 2015 S. 197 Nr. 6
GStB 2015 S. 25 Nr. 7
HFR 2015 S. 469 Nr. 5
KSR direkt 2015 S. 8 Nr. 5
KÖSDI 2015 S. 19309 Nr. 5
NJW 2015 S. 10 Nr. 18
NJW 2015 S. 2367 Nr. 32
NWB-EV 2015 S. 148 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2015 S. 1034
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2015 S. 1222
StB 2015 S. 134 Nr. 5
StBW 2015 S. 441 Nr. 12
StBW 2015 S. 450 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2015 S. 318
WPg 2015 S. 628 Nr. 13
WPg 2015 S. 674 Nr. 13
SAAAE-87707