BVerwG Beschluss v. - 6 B 58/14

Rechtswegverweisung; Verbreitung von Fernsehprogrammen mit Must-Carry-Status im Kabelnetz

Gesetze: § 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 52b Abs 1 Nr 1 Buchst a RdFunkStVtr BW, § 52d S 2 RdFunkStVtr BW, § 17 Abs 2 S 1 GVG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 E 10685/14 Beschlussvorgehend VG Mainz Az: 4 K 632/13.MZ Beschluss

Gründe

I

1Die Klägerinnen wenden sich mit der weiteren Beschwerde gegen die teilweise Verweisung ihrer Klage an das Landgericht.

2Die Klägerinnen betreiben regionale Breitbandkabelnetze; der Beklagte ist eine Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts. Die Klägerinnen sind gesetzlich verpflichtet, Fernseh- und Hörfunkprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über ihre Kabelnetze zu verbreiten (Programme mit sog. Must-Carry-Status). Hierfür speisen sie die ausgestrahlten Programmsignale in ihre Kabelnetze ein. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zahlten den Klägerinnen für deren Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Einspeisung ein vertraglich vereinbartes Entgelt, bis sie den Vertrag zum kündigten. Die Klägerinnen haben bislang erfolglos im ordentlichen Rechtsweg Klagen mit dem Ziel erhoben, das Fortbestehen des Vertrags festzustellen.

3Die Klägerinnen haben vor dem Verwaltungsgericht Klage mit den Anträgen erhoben, festzustellen, dass der Beklagte zum Abschluss eines Vertrags über die entgeltliche Verbreitung seines Programms über ihre Netze verpflichtet ist, sowie festzustellen, dass sie bis zum Abschluss eines solchen Vertrags nicht zur Einspeisung und Verbreitung der Programme mit Must-Carry-Status verpflichtet sind.

4Das Verwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt. Auf die Beschwerde des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht den Rechtsstreit hinsichtlich des ersten Klageantrags an das Landgericht verwiesen; hinsichtlich des zweiten Klageantrags hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Verweisung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der erste Klageantrag sei darauf gerichtet, ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis fortzusetzen oder erneut zu begründen. Zwar seien die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags und der Landesmediengesetze über Inhalt und Reichweite des Must-Carry-Status öffentlich-rechtlicher Programme öffentlich-rechtlicher Natur. Der mit dem ersten Klageantrag geltend gemachte Kontrahierungszwang könne sich aber nicht aus diesen Regelungen, sondern in erster Linie aus Regelungen des bürgerlichen Rechts, nämlich aus §§ 138, 242, 315 und § 826 BGB, ergeben.

6Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen weiteren Beschwerde tragen die Klägerinnen vor, der Verwaltungsrechtsweg für den ersten Klageantrag sei schon deshalb eröffnet, weil ihre Rechtsauffassung, die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über den Must-Carry-Status öffentlich-rechtlicher Programme räumten den Kabelnetzbetreibern einen Anspruch auf Entgelt für die Verbreitung ein, jedenfalls nicht unhaltbar sei.

7Der Beklagte verteidigt die angefochtene Verweisung. Er trägt vor, die öffentlich-rechtliche Verbreitungspflicht bestehe nicht gegenüber den Rundfunkanstalten, sondern wirke sich nur als Rechtsreflex zu ihren Gunsten aus.

II

8Die nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässige weitere Beschwerde der Klägerinnen ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht teilweise an das Landgericht verwiesen.

9Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt auch insoweit vor, als die Klägerinnen mit dem ersten Klageantrag die Pflicht des Beklagten festgestellt wissen wollen, mit ihnen ein Entgelt für die Verbreitung seiner Programme mit Must-Carry-Status zu vereinbaren. Da diese Streitigkeit keiner anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist, ist hierfür der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

101. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Kläger aus dem vorgetragenen Sachverhalt Rechtsfolgen aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts herleitet. Öffentlich-rechtliche Normen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten und öffentlich-rechtlich organisierten Trägern, insbesondere Trägern der Staatsverwaltung, Anwendung finden können. Sie müssen ausschließlich einen derartigen Träger berechtigen oder verpflichten (stRspr; vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 5 B 144.91 - NVwZ 1993, 358 <359>; vom - 6 B 10.07 - BVerwGE 129, 9 Rn. 4 und vom - 9 B 37.12 - NJW 2013, 2298 Rn. 6).

11Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Daraus folgt, dass der von den Klägerinnen nunmehr beschrittene Verwaltungsrechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, d.h. nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist ( 5 B 144.91 - NVwZ 1993, 358 <359>).

12Die Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG bringt es zwangsläufig mit sich, dass für ein Klagebegehren mehrere Rechtswege eröffnet und damit mehrere Gerichtsbarkeiten zuständig sein können. Hat der Kläger einen zulässigen Rechtsweg beschritten, kann er das Klagebegehren während der Rechtshängigkeit in diesem Rechtsweg nicht anderweitig gerichtlich verfolgen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG). Ruft er ein anderes Gericht an, für das ebenfalls eine Rechtswegzuständigkeit besteht, muss dieses Gericht die Klage als unzulässig abweisen. Eine Rechtswegverweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ist ausgeschlossen (vgl. 7 C 14.1372 - Rn. 8; - BA S. 7; - BA S. 5).

132. Die Pflicht der Kabelnetzbetreiber zur digitalen Verbreitung der Fernseh- und Hörfunkprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten folgt aus § 52b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) des Rundfunkstaatsvertrags vom in der Fassung vom - RStV -. Nach § 52d Satz 2 RStV hat die Verbreitung zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen. Die Mediengesetze der Länder enthalten eine inhaltsgleiche Pflicht für die analoge Verbreitung.

14Die gesetzlichen Verbreitungspflichten tragen dem Umstand Rechnung, dass rund die Hälfte der Zuschauer bzw. Zuhörer Rundfunkprogramme über Kabelnetze empfängt (vgl. nur VI-U (Kart) 16/13 - UA S. 14). Diese Pflichten sind daher erforderlich, um sicherzustellen, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den ihnen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, § 11 RStV obliegenden Versorgungsauftrag erfüllen können. Dieser Auftrag umfasst die Herstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen für Information, Kultur und Unterhaltung mit dem Ziel, die in der Gesellschaft verfügbare Vielfalt der Meinungen möglichst breit und vollständig abzubilden ( u.a. - BVerfGE 119, 181 <214, 218> und vom - 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 - NVwZ 2014, 867 Rn. 35 f.).

15Die Herstellung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen, die in ihrer Gesamtheit an dem Gebot der Vielfaltsicherung orientiert sind, stellt eine staatliche Aufgabe dar, die die hierfür verantwortlichen Länder wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Staatsferne des Rundfunks nicht unmittelbar erfüllen können. Aufgrund der Zuordnung des der Vielfalt verpflichteten Rundfunks zum Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung und seiner Organisation in Form von Anstalten des öffentlichen Rechts haben die Sendetätigkeit und die Normen, die sich damit befassen, öffentlich-rechtlichen Charakter. Hierzu gehören Normen über die Verbreitung der Rundfunkprogramme zur Versorgung der Bevölkerung (vgl. , 2 BvR 702/68 - BVerfGE 31, 314 <329> und vom - 1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 - NVwZ 2014, 867 Rn. 44; - BVerfGE 69, 257 <266>).

16Dementsprechend gehören diejenigen Normen dem öffentlichen Recht an, die die Erfüllung des Versorgungsauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewährleisten sollen. Wie dargelegt, liegt diese Zielsetzung denjenigen Normen des Rundfunkstaatsvertrags, insbesondere § 52b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) RStV, und der Landesmediengesetze zugrunde, die die Pflicht der Kabelnetzbetreiber zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Programme statuieren und inhaltlich ausgestalten.

17Auf diese öffentlich-rechtlichen Normen stützen die Klägerinnen ihre Ansprüche auf vertragliche Vereinbarung eines Entgelts als Gegenleistung für die Verbreitung, die sie mit dem ersten Klagebegehren geltend machen. Nach ihrer Rechtsauffassung ergibt die Auslegung dieser Normen, dass der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten obliegende Versorgungsauftrag diesen gegenüber nicht unentgeltlich sichergestellt werden muss.

18Diese Rechtsauffassung, die die Klägerinnen mit der weiteren Beschwerde nochmals eingehend begründet haben, erscheint nicht unhaltbar. Hiergegen spricht bereits, dass sie drei Oberverwaltungsgerichte als nicht offensichtlich unvertretbar angesehen haben ( 7 C 14.1372 - Rn. 12; - BA S. 7; - BA S. 4). Darüber hinaus war die Rechtsauffassung von der bis Ende 2012 bestehenden Praxis gedeckt.

193. Weder das Oberverwaltungsgericht noch der Beklagte stellen den öffentlich-rechtlichen Charakter der Normen über die Pflicht zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme in Frage. Sie verneinen die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs für das darauf gestützte erste Klagebegehren, indem sie jeweils das Ergebnis der Auslegung der von den Klägerinnen herangezogenen öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlagen vorwegnehmen. Wie unter 2. dargelegt, kann die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens abhängen.

20Das Oberverwaltungsgericht begründet seine Annahme, ein Entgeltanspruch bzw. ein Kontrahierungszwang könne sich allenfalls aus Bestimmungen des BGB ergeben, nicht selbst, sondern verweist lediglich auf andere, insbesondere auf zivilgerichtliche Entscheidungen. Die Rechtsauffassung der Zivilgerichte über den Inhalt der öffentlich-rechtlichen Normen über die Pflicht zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Programme beruht auf einer eingehenden Auslegung dieser Normen, von deren Ergebnis die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht abhängig gemacht werden darf.

21Entsprechendes gilt für den Vortrag des Beklagten, die öffentlich-rechtlichen Normen über die Verbreitungspflicht begründeten nur Rechtsbeziehungen zwischen den Kabelnetzbetreibern und den Landesmedienanstalten, die für die Überwachung und Durchsetzung dieser Pflicht zuständig seien. Damit legt auch der Beklagte einen bestimmten Norminhalt zugrunde, auf den es für die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht ankommt.

22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Ein Streitwert muss nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Gerichtsgebühr gesetzlich bestimmt ist (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2015:040315B6B58.14.0

Fundstelle(n):
CAAAE-87627