BAG Urteil v. - 5 AZR 536/13

Wartezeiten im Linienverkehr - Pause

Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Heilbronn Az: 7 Ca 34/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 16 Sa 129/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Vergütung von Wartezeiten im Linienverkehr.

2Der Kläger war beim beklagten Omnibusunternehmen bis zum als Busfahrer im Linienverkehr beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag Privater Kraftomnibusverkehr in Baden-Württemberg (im Folgenden: MTV) in der jeweiligen Fassung Anwendung, der auszugsweise lautet:

3Der Einsatz des Klägers erfolgte nach mit dem Betriebsrat vereinbarten Schichtplänen. Diese sahen zeitlich festgelegte Fahrzeitunterbrechungen vor, die von der Beklagten als „unbezahlte Pausen“ gekennzeichnet wurden. Während dieser Unterbrechungen war der Kläger von jeder Arbeits- und Anwesenheitspflicht befreit.

4§ 2 einer Betriebsvereinbarung vom lautet:

5Entsprechend dieser Betriebsvereinbarung vergütete die Beklagte arbeitstäglich pauschal 45 Minuten.

6Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte müsse die von Februar 2011 bis März 2012 angefallenen Fahrzeitunterbrechungen kraft der tarifvertraglichen Regelung als Wartezeit vergüten.

7Der Kläger hat beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, nur Wartezeiten im Gelegenheits-, nicht aber im Linienverkehr seien vergütungspflichtig.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

10Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung der im Zeitraum Februar 2011 bis März 2012 angefallenen Fahrzeitunterbrechungen, die über wirksam angeordnete Pausen hinausgingen. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen eine Entscheidung über die Höhe dieses Anspruchs nicht zu. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11I. Die Klage ist zulässig. Der Streitgegenstand ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger macht Vergütung für im Einzelnen nach Tagen und Uhrzeiten aufgeschlüsselte Fahrzeitunterbrechungen geltend, die in ihrer Summe über die gesetzlichen Mindestpausen hinausgehen. Ob Teile der Gesamtforderung wegen der nach § 2 Nr. 2 der Betriebsvereinbarung vom geleisteten Zahlungen bereits erfüllt sind, ist eine Einwendung der Beklagten und von dieser näher darzulegen.

12II. Als im Linienverkehr eingesetzter Busfahrer hat der Kläger nach § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 MTV iVm. § 611 BGB Anspruch auf Vergütung seiner Wartezeiten, soweit es sich nicht um wirksam angeordnete Pausen handelte.

131. Nach § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 MTV sind „Arbeitsbereitschafts- und Wartezeiten bis zur Dauer von drei Stunden je Arbeitsschicht“ mit 100 % des Stundenlohnes zu vergüten. Hierzu rechnen auch die im Linienverkehr anfallenden Wartezeiten. § 5 Abs. 2 MTV nimmt Wartezeiten im Linienverkehr nicht von der Vergütungspflicht aus. Vielmehr trifft die darin gegebene Begriffsbestimmung auch auf die Wartezeiten im Linienverkehr zu. Zeiten, die während der Arbeitsschicht anfallen, wenn der Arbeitnehmer von jeder beruflichen Tätigkeit freigestellt ist und über seine Zeit frei verfügen kann, gibt es auch im Linienverkehr. Ebenso wenig findet sich im Wortlaut des § 8 MTV ein Anknüpfungspunkt für eine Beschränkung auf den Gelegenheitsverkehr (vgl.  - Rn. 20). Ausgehend von der Überschrift „Begriffsbestimmungen im Gelegenheitsverkehr“ könnte zwar vertreten werden, § 5 Abs. 2 MTV definiere Wartezeiten ausschließlich für den Gelegenheitsverkehr und berechtige so zu der Annahme, außerhalb des Gelegenheitsverkehrs gebe es keine Wartezeiten im tariflichen Sinn. Doch regelt der MTV keine Begriffsbestimmungen allein für den Linienverkehr, eine § 5 MTV entsprechende Regelung für den Linienverkehr fehlt. Vielmehr finden sich ausschließlich im § 5 MTV Erläuterungen zu Begriffen, die auch im Linienverkehr Bedeutung besitzen. Ein Beispiel findet sich in § 5 Abs. 4 MTV. Die dort definierten Pausen gibt es nicht nur im Gelegenheitsverkehr, auch im Linienverkehr sind sie rechtlich geboten und notwendig. Dieser Befund begründet durchgreifende Zweifel, ob überhaupt der Überschrift des § 5 MTV eine die Tarifauslegung bestimmende Bedeutung beigemessen werden kann. Darüber hinaus spricht gegen eine rechtliche Relevanz der Überschrift des § 5 MTV, dass im Abs. 3 der „Liegetag“ definiert wird als eine Wartezeit von 24 Stunden, die „während einer Fahrt im Gelegenheitsverkehr anfällt“. Diese Begriffsbestimmung wäre ohne tieferen Sinn, wenn die Begriffsbestimmungen des § 5 MTV ohnehin und ausschließlich im Gelegenheitsverkehr gölten.

14Besonders deutlich belegt die Verwendung des Begriffs „Wartezeit“ in § 6 Abs. 1 MTV, dass Wartezeiten auch im Linienverkehr anfallen können. So bestimmt § 6 Abs. 1 MTV, dass Schichtzeit „der Zeitraum zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende einschließlich Arbeitsbereitschaftszeiten, Wartezeiten und Pausen“ ist. Daraus folgt, dass zur Schichtzeit auch Wartezeiten gehören. § 6 MTV enthält keine Beschränkung auf den Gelegenheitsverkehr. Vielmehr werden gerade im Linienverkehr Schichtdienste geplant und durchgeführt. Gilt aber § 6 MTV auch für den Schichtdienst im Linienverkehr, folgt daraus, dass auch im Linienverkehr Wartezeiten im tarifrechtlichen Sinne anfallen können.

152. Der Kläger hat nach seiner Darlegung während der von ihm erbrachten Arbeitsschichten Wartezeiten iSv. § 8 Abs. 2 Unterpunkt 3 iVm. § 5 Abs. 2 MTV absolviert. Allerdings steht ihm ein Anspruch auf Vergütung dieser Wartezeiten nur zu, soweit für diese Unterbrechungen der Arbeitsleistung nicht wirksam Pausen angeordnet waren.

16a) Pausen und Wartezeiten können sich zeitlich überschneiden. Während Wartezeiten zu vergüten sind, ist dies bei - wirksam angeordneten - Pausen im Hinblick auf § 8 Abs. 1 MTV nicht der Fall, insoweit besteht keine Vergütungspflicht.

17b) Pausen sind im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann ( - Rn. 10). Weil sie keine Arbeit, sondern eine Unterbrechung der Arbeit sind, zählen sie nicht zur Arbeitszeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG;  - Rn. 13) und müssen nicht nach § 611 Abs. 1 BGB vergütet werden ( - Rn. 11; - 5 AZR 200/10 - Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366).

183. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif.

19a) Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils sahen die Schichtpläne zeitlich festgelegte Fahrzeitunterbrechungen vor, die von der Beklagten als „unbezahlte Pausen“ gekennzeichnet wurden. Der Tatbestand stellt aber nicht fest, ob dies für alle Fahrzeitunterbrechungen oder ggf. für welche galt. Während der Fahrzeitunterbrechungen war der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts von jeder Arbeits- und Anwesenheitspflicht befreit. Die einzelnen Wartezeiten und Pausen hat das Landesarbeitsgericht aber nicht festgestellt. Soweit für einzelne Monate Schichtpläne zu den Akten gereicht worden sind, ist aus diesen nicht ersichtlich, dass sie gerade die Arbeitszeit des Klägers wiedergeben. Im Übrigen können Anlagen zu Schriftsätzen lediglich zur Erläuterung oder Belegung schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen. Die Darlegung der Arbeitszeit und der (angeordneten) Pausen hat entsprechend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen (vgl.  - Rn. 29, BAGE 141, 330; - 5 AZR 667/12 - Rn. 14).

20b) Davon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht im neuen Berufungsverfahren festzustellen, welche Wartezeiten der Kläger im Streitzeitraum verbrachte und ob die Beklagte innerhalb dieser Zeitspannen wirksam Pausen angeordnet hatte. Ergeben sich danach vergütungspflichtige Wartezeiten, sind von der noch offenen Vergütung die bereits bewirkten Zahlungen der Beklagten abzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:280115.U.5AZR536.13.0

Fundstelle(n):
GAAAE-87468