Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung getätigten Zeugenaussage bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung
Gesetze: § 52 StPO, § 57 StPO, § 252 StPO
Instanzenzug: Az: 2 StR 656/13 Beschlussnachgehend Az: GSSt 1/16 Beschlussnachgehend Az: 2 StR 656/13 Vorlagebeschluss
Gründe
1Der Senat sieht keinen Grund, von seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa , BGHSt 21, 218 f., vom - 5 StR 32/99, BGHSt 45, 342, 345, und Beschluss vom - 5 StR 604/00, StV 2001, 386) abzuweichen und eine Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson, die als Ausnahme von dem aus § 252 StPO abgeleiteten Verwertungsverbot durch den anfragenden Senat nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden ist (vgl. kritisch zu dieser Ausnahme Sander/Cirener in LR-StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 10; Pauly in Radtke/Hohmann, 2011, StPO § 252 Rn. 52; Velten in SK-StPO, 4. Aufl. Rn. 4), nur noch dann zuzulassen, wenn der Zeuge vor seiner richterlichen Vernehmung auch „qualifiziert" über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt worden ist.
21. Die Ausnahme vom Verwertungsverbot wird von der Rechtsprechung damit begründet, dass die Belehrung durch den Richter die Gewähr dafür bietet, dem Zeugen Kenntnis von seinem Weigerungsrecht zu verschaffen, ihm die Bedeutung dieses Rechts bewusst zu machen und ihm die Tragweite seines Handelns vor Augen zu führen; der Zeuge, der sich auf solcher Grundlage freiwillig zu einer Aussage entschlossen hat, erleidet keinerlei Einbuße in seinen Rechten, wenn diese Aussage zu Beweiszwecken verwertet wird, mag er auch bei einer späteren Vernehmung von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen (vgl. , BGHSt 32, 25; vgl. auch aaO, S. 106 f.).
3Zur ordnungsgemäßen Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO gehört es nicht, den Zeugen auch darüber zu unterrichten, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn er zunächst aussagt, später jedoch von seinem Weigerungsrecht Gebrauch macht; das Gesetz erfordert lediglich, dass die Belehrung dem Zeugen eine genügende Vorstellung von der Bedeutung seines Weigerungsrechts vermittelt (vgl. aaO; vgl. auch Rn. 7 f.). Schon die Belehrung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO weist den Zeugen auf die bei ihm bestehende Konfliktsituation hin, über die er freiwillig nach eigenem Ermessen zu entscheiden hat. Um dem Zeugen die Tragweite und Endgültigkeit seiner Angaben vor einem Richter zu verdeutlichen, bedarf es angesichts der zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen bestehenden Unterschiede keines weitergehenden Hinweises zur Verwertbarkeit seiner Aussage. Diese Unterschiede sind auch dem Zeugen gewahr. So sind gerade im Hinblick auf die Möglichkeit der Verlesung einer richterlichen Vernehmungsniederschrift nach § 251 Abs. 2 StPO (vgl. Regierungsentwurf zu § 168c StPO, BT-Drucks. 7/551, S. 76) der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verteidiger bei einer richterlichen Vernehmung gemäß § 168c Abs. 2 StPO An-wesenheits- und daraus resultierende Fragerechte eingeräumt. Zudem kann nur ein Richter nach § 161a Abs. 1 Satz 2 StPO eine eidliche Vernehmung vornehmen, weshalb eine unrichtige oder unvollständige Aussage vor einem Richter nach §§ 153, 154 StGB strafbar sein kann, worauf der Zeuge hinzuweisen ist. Für einen Zeugen ist deshalb auch wegen der einem Ermittlungsrichter eingeräumten Stellung (vgl. BVerfG - Kammer - , Beschluss vom - 2 BvR 2491/07) erkennbar, dass einer richterlichen Vernehmung eine erhöhte Bedeutung zukommt; nach der Belehrung durch einen Richter steht ihm deutlicher vor Augen, dass er im Falle seiner Aussage seine Angaben nicht ohne weiteres wieder beseitigen kann (vgl. , BGHSt 49, 72, 77), deren Folgen er aber durch freiwillige Entschließung im Bewusstsein ihrer Bedeutung auf sich nimmt (vgl. , aaO, S. 106). Dieses Bewusstsein genügt für die Wahrung seiner grundrechtlich abgesicherten Rechtsposition.
4Der Senat kann nach alledem dahinstehen lassen, ob die durch den anfragenden Senat aufgestellte These, die Mehrheit der Zeugen sei sich der Konsequenz weiterhin bestehender Verwertbarkeit ihrer vor dem Richter erfolgten Bekundungen nicht bewusst (Anfragebeschluss S. 11), rechtstatsächlich hinreichend abgesichert ist. Er hält es jedoch entgegen der These für eher naheliegend, dass zahlreiche Zeugen im Blick auf den Gang zum Richter nach erfolgter Aussage vor der Polizei in Verbindung mit den prozessualen Regularien der richterlichen Vernehmung den Grund für deren Durchführung kennen oder, etwa nach Fragen zur Notwendigkeit einer weiteren Aussage, im Zuge des Verfahrens in Erfahrung bringen.
52. Der Senat könnte schließlich der Einschätzung des anfragenden Senats nicht uneingeschränkt folgen, dass die von diesem befürwortete Belehrungspflicht die Effektivität der Strafverfolgung nicht in nennenswertem Umfang in Frage stellen würde (Anfragebeschluss S. 13 f.). Diese Einschätzung mag unter Umständen für „Neufälle" zutreffen. Hingegen wäre zu besorgen, dass in einer nicht bezifferbaren Menge von "Altfällen" gerade auch wegen schwerwiegender Straftaten, zu denen womöglich der vom anfragenden Senat zu entscheidende Ausgangsfall zu rechnen ist (Anfragebeschluss S. 3), ein Tatnachweis nicht mehr geführt werden könnte, weil der vernehmende Richter die nach herkömmlicher Rechtsprechung entbehrliche Belehrung nicht erteilt hat und deswegen ein Verwertungsverbot angenommen werden müsste. Vor diesem Hintergrund könnte ein Rechtsprechungswandel nur dann verantwortet werden, wenn der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gravierendes rechtsstaatliches Defizit anhaften würde. Davon kann aus den oben genannten Gründen indessen keine Rede sein.
Sander Dölp König
Berger Bellay
Fundstelle(n):
ZAAAE-85512