(Betriebsübergang - mehrere Betriebsübergänge - Adressat des Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB)
Gesetze: § 613a Abs 6 S 2 BGB, § 613a Abs 1 BGB
Instanzenzug: ArbG Gera Az: 2 Ca 216/12 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 361/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Frage, ob zwischen ihnen nach zwei Betriebsübergängen, zu denen der Kläger - jeweils im Nachhinein - dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat, ein Arbeitsverhältnis besteht.
2Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Telekommunikationsunternehmen, und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Bei der Beklagten arbeitete er zuletzt im Callcenter G.
3Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers ging am von der Beklagten auf die „V GmbH“ (V) über. Darüber war der Kläger durch ein Unterrichtungsschreiben der V vom informiert worden. Der Kläger hat diesem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zunächst nicht widersprochen und arbeitete nach dem Betriebsübergang für die V.
4Am erfolgte ein weiterer Betriebsübergang, von der V auf die T G GmbH (T). Mit Schreiben vom wurde der Kläger darüber unterrichtet. Der Kläger hat auch diesem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zunächst nicht widersprochen. Er arbeitete forthin für die T. Einen von der T angebotenen neuen Arbeitsvertrag zu schlechteren Arbeitsbedingungen unterschrieb der Kläger nicht.
5Der Kläger widersprach mit Schreiben vom dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der V auf die T. Diesbezüglich erhob er im April 2010 Klage vor dem Arbeitsgericht B gegen die V, ua. mit dem Antrag festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Das Verfahren ruhte zeitweise. Im August 2013 erklärte der Kläger die Klagerücknahme, der die V jedoch nicht zustimmte. Nach Hinweis des Senats zur Vorgreiflichkeit des Verfahrens zum Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses von der V auf die T hat der Kläger erklärt, er habe das Verfahren vor dem Arbeitsgericht B wieder aufgenommen.
6Mit Urteil vom (- 8 AZR 18/10 -) entschied der Senat zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben der V, ebenfalls vom , aber ein anderes Arbeitsverhältnis betreffend, dass die Unterrichtung fehlerhaft war.
7Mit Schreiben an die Beklagte vom widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V.
8Die T kündigte das Arbeitsverhältnis im November 2011 wegen Betriebsstilllegung zum . Die vom Kläger dagegen erhobene Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen.
9Mit seiner diesbezüglich erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, wegen der fehlerhaften Unterrichtung vom über den ersten Betriebsübergang von der Beklagten auf die V habe die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu laufen begonnen. Sein Widerspruch vom sei rechtzeitig erfolgt.
10Der Kläger hat zuletzt beantragt
11Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte vor allem damit begründet, das Widerspruchsrecht des Klägers sei verwirkt.
12Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg, das die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Gründe
13Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Ob der Kläger gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V einen wirksamen Widerspruch noch einlegen konnte, kann noch nicht entschieden werden. Dies hängt zunächst von der bisher nicht geklärten Frage ab, ob die Beklagte beim Widerspruch vom „bisheriger“ Arbeitgeber iSv. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB war oder nur ein „früherer“ Arbeitgeber, dem gegenüber keine Widerspruchsmöglichkeit (mehr) vorgesehen ist.
14A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Recht zum Widerspruch sei zum Zeitpunkt seiner Ausübung verwirkt gewesen. Nach - wie hier - vier Jahren und fast drei Monaten sei das Zeitmoment erfüllt. Auch das Umstandsmoment sei erfüllt, denn der Kläger habe mit verschiedenen gegen die V und die T erhobenen Feststellungsklagen über sein Arbeitsverhältnis disponiert. Das Wissen über diese Klagen sei der Beklagten zuzurechnen.
15B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ob die zulässige Klage begründet ist, kann noch nicht entschieden werden.
16I. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung rechtfertigt nicht den Schluss, dass das Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am im Zeitpunkt seiner Ausübung am verwirkt war.
171. Das Landesarbeitsgericht hat das Umstandsmoment als erfüllt angesehen, weil der Kläger gegen die V vor dem Arbeitsgericht B und gegen die T vor dem Arbeitsgericht G Feststellungsklagen mit dem Ziel der Anwendung der Tarifverträge der Beklagten in seinem Arbeitsverhältnis - jedenfalls was die V betrifft mit „Stand “ - erhoben hat.
182. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger durch diese Klagen nicht über sein Arbeitsverhältnis disponiert.
19a) Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene tatrichterliche Überzeugung ist nur beschränkt revisibel. Sie kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sich das Landesarbeitsgericht entsprechend diesem gesetzlichen Gebot mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. ua. - Rn. 42 mwN; - 6 AZR 989/12 - Rn. 37 mwN). Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist (näher - Rn. 32 mwN; - 8 AZR 699/09 - Rn. 27 mwN; - 7 AZR 23/06 - Rn. 28 mwN).
20b) Diesem Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
21aa) Es stellt grundsätzlich keine Disposition über das Arbeitsverhältnis dar, wenn eine Klage auf Feststellung bestimmter bestehender Arbeitsbedingungen erhoben wird, ohne dass der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses verändert wird. Darin liegt kein Erklärungswert im Sinne eines Umstandsmoments. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es - wie im vorliegenden Zusammenhang - offenkundig um die Sicherung bisheriger Vertragsbedingungen im Arbeitsverhältnis geht, nämlich um die Frage, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das bestehende Arbeitsverhältnis anzuwenden sind (vgl. zu dieser Anwendungsfrage ua. -). Solange nicht klar - ggf. gerichtlich festgestellt - ist, wer nach einem Widerspruch/mehreren Widersprüchen tatsächlich der Arbeitgeber ist, ist es nur folgerichtig, wenn eine solche Feststellungsklage nicht nur gegen einen der fraglichen Arbeitgeber gerichtet wird.
22bb) Aus dem vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Senatsurteil vom (- 8 AZR 700/10 - Rn. 37 f.) ergibt sich nichts anderes. Dieses behandelt eine besondere Situation und nicht vergleichbare Gesamtumstände. Dort ergab sich - anders als hier -, dass der Kläger die Veränderung des rechtlichen Bestandes seines Arbeitsvertrags zwischenzeitlich angenommen hatte und zudem in die Würdigung der Gesamtumstände die Zusammenschau mit dem Vorliegen eines besonders gewichtigen Zeitmoments einfloss.
23cc) Dass der Kläger zwar die beiden Betriebserwerber auf Anwendung der Tarifverträge der Beklagten in Anspruch genommen hat, jedoch nicht - oder erst spät und mit anderem Klageinhalt - die Beklagte, ist folgerichtig. Schließlich ging es bei den Feststellungsklagen um Arbeitsbedingungen aus der Zeit bei der Beklagten, die der Kläger mit dem angestrebten Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten als grundsätzlich gesichert ansehen durfte.
24dd) Dem Zusatz „Stand “ der Klage gegen die V kommt keine Bedeutung zu. Darin kommt eine Begrenzung zum Ausdruck, die unter Umständen wie hier regelmäßig mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vertragsauslegung bei einer Bezugnahme auf Tarifvertrag in sog. Altverträgen aus der Zeit vor dem (vgl. dazu - Rn. 19 mwN) zusammenhängt.
25ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann im Rahmen der Prüfung von Verwirkung eine Zurechnung von Wissen zwar die Widerspruchsadressaten iSv. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB betreffen (dazu - Rn. 31 f.), jedoch nicht eine „frühere“ Arbeitgeberin.
26II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Es liegt mangels Entscheidungsreife auch kein Fall von § 563 Abs. 3 ZPO vor. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
271. Das Widerspruchsrecht bezüglich des Übergangs des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang ist zwar in der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. EG L 82 vom S. 16) nicht ausdrücklich geregelt, jedoch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt (ua. , C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 30 ff. mwN, Slg. 1992, I-6577). Der Inhalt jenes Rechts ist unionsrechtlich nicht ausgestaltet; die Rechtsfolgen eines Widerspruchs für das Arbeitsverhältnis richten sich nach nationalem Recht (ua. , C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 37, aaO). Für die Voraussetzungen des Widerspruchsrechts ergibt sich nichts anderes. Zudem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten schon nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer sich frei dafür entscheidet, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen (, C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO).
282. Ob der Widerspruch vom gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am wirksam war, kann erst entschieden werden, wenn geklärt ist, ob die Beklagte zu dem genannten Zeitpunkt „bisherige“ Arbeitgeberin iSv. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB war oder nur eine „frühere“ Arbeitgeberin. Dies hängt von dem Ausgang des Rechtsstreits zum zuvor erfolgten, also zeitlich ersten Widerspruch vom gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers von der V auf die T ab.
29a) Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ist der Widerspruch gegenüber zwei Personen möglich: gegenüber dem „bisherigen Arbeitgeber“ oder dem „neuen Inhaber“. Ein Widerspruchsrecht gegenüber einem ehemaligen Arbeitgeber ist danach nicht gegeben (vgl. auch -).
30aa) „Bisher/ig“ bedeutet: „bis jetzt“ (Brockhaus-Wahrig Deutsches Wörterbuch S. 703 [1980]); „von einem unbestimmten Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag“ (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. S. 607); „bislang/bis jetzt/bis heute/bis dato/bis zum heutigen Tage/bis zur jetzigen Stunde“ (Knaurs Lexikon der sinnverwandten Wörter S. 116). Bezogen auf einen Betriebsübergang ist der „bisherige Arbeitgeber“ derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber den Betrieb innehatte. Ein noch weiter zurückliegender ehemaliger Arbeitgeber ist hingegen kein „bisheriger“ Arbeitgeber iSd. Wortlauts des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.
31bb) Auch systematische Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch nur gegenüber dem „bisherigen“ Arbeitgeber oder „dem neuen Inhaber“, den letzten Übergang des Arbeitsverhältnisses betreffend, erklärt werden kann (näher - Rn. 19 ff.).
32cc) Dies entspricht der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7760 S. 20) für das Widerspruchsrecht. Mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2 und 12 GG) wäre es unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet würde, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat ( -; ebenso zu der Richtlinie 2001/23/EG: , C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 32, Slg. 1992, I-6577; vgl. auch Art. 1 und Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union).
33Ist „das“ Arbeitsverhältnis (es handelt sich im Rahmen des § 613a BGB immer um das eine, nicht um mehrere Arbeitsverhältnisse) zwischenzeitlich vom Ersterwerber (bisheriger Arbeitgeber) auf einen Zweiterwerber (neuer Inhaber) übergegangen und dagegen ein Widerspruch nicht oder nicht erfolgreich erhoben worden, stellt sich die Frage einer Verpflichtung, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, der nicht frei gewählt worden ist, nur noch in Bezug auf den Zweiterwerber (neuer Inhaber).
34b) Es ist derzeit nicht geklärt, ob die Beklagte im Zeitpunkt des Widerspruchs vom „bisherige“ (oder ehemalige) Arbeitgeberin des Klägers war. Davon hängt es ab, ob - abgesehen von der erst danach zu prüfenden Frage einer Verwirkung - ein solches Widerspruchsrecht im Oktober 2011 überhaupt noch bestand. Der Ausgang des Rechtsstreits über den Widerspruch vom zum Übergang des Arbeitsverhältnisses im Betriebsübergang vom ist abzuwarten; falls der Kläger darin erfolgreich ist, ein eventuell grundsätzlich bestehendes Widerspruchsrecht also auch nicht verwirkt ist, führt der auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurückwirkende Widerspruch dazu, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers über den hinaus unverändert zunächst mit der V fortbesteht (st. Rspr. des Senats, vgl. - Rn. 32; - 8 AZR 305/05 - Rn. 41 mwN, BAGE 119, 91). Die Beklagte wäre dann bei Zugang des Widerspruchs vom „bisherige“ Arbeitgeberin des Klägers gewesen. Diese Situation unterstellt, wäre die nach dem Widerspruch im November 2011 ausgesprochene Kündigung der T ins Leere gegangen und hätte das Arbeitsverhältnis nicht beenden können.
353. Das Landesarbeitsgericht wird zunächst den Ausgang des vorgreiflichen Rechtsstreits abzuwarten haben. Erst danach kann es, falls das Widerspruchsrecht am noch bestand, die Frage einer Verwirkung bezogen auf diesen Widerspruch prüfen und entscheiden, welche Umstände diesbezüglich von Bedeutung sein können.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 1262 Nr. 17
VAAAE-85493