Instanzenzug: S 17 SO 292/11
Gründe:
I
1Im Streit ist die Gewährung von höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Monat Januar 2006.
2Der 1969 geborene Kläger leidet an einer psychischen Erkrankung und ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Er bewohnte im streitbefangenen Zeitraum zwei Zimmer (ca 11 qm und 7 qm) im Reihenhaus seiner Eltern (mit einer Gesamtwohnfläche von 82,5 qm) und nutzte Bad, Küche und die sonstigen Räume (außer den Wohn- und den Schlafräumen seiner Eltern) sowie den Garten. Er erhielt ua im Januar 2006 von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und dabei Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 84,77 Euro (Bescheide vom , und ; Widerspruchsbescheid vom ). Die Klage, gerichtet auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem , blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom ). Auf die Berufung, die nach Abschluss eines Teilvergleichs auf höhere Leistungen für Januar 2006 beschränkt worden ist, hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Beklagte verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 128,56 Euro zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, dem Kläger stünden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 213,33 Euro zu. Zwar seien diese Leistungen bei gemeinsamer Nutzung einer Wohnung mit Familienangehörigen grundsätzlich pro Kopf aufzuteilen, was lediglich einem Anteil an den Gesamtkosten von 84,77 Euro entspreche; es liege hier aber eine abweichende bindende vertragliche Regelung über eine Inklusivmiete (240 Euro monatlich) vor, die (abzüglich des darin enthaltenen Anteils für Haushaltsstrom) Bedarfe in entsprechender Höhe beim Kläger auslösten.
3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung; es stellten sich die folgenden Rechtsfragen:
"1. Genügt jeder zivilrechtlich wirksame Mietvertrag zwischen Eltern und ihren erwerbsunfähigen, volljährigen Kindern den Anforderungen der §§ 42 Satz 1 Nr 2, 29 SGB XII (jeweils in der bis zum geltenden Fassung), sodass die hierin vereinbarte Miete ohne weitere sozialrechtliche Prüfung dem Grunde nach als tatsächlicher Aufwand iS des § 42 Satz 1 Nr 2 SGB XII anzuerkennen ist?
2. Spricht bei derartigen, nach Art einer Wohngemeinschaft ausgestalteten Verträgen bereits die Vereinbarung eines über dem ortsüblichen Mietniveau liegenden m² - Mietzinses für die zum Allein- und Mitgebrauch überlassenen Flächen gegen die Anerkennung der so begründeten Aufwendungen als Kosten der Unterkunft iS des SGB XII?
3. Spricht ein Abschluss des Mietverhältnisses in der ausdrücklich erklärten Absicht, höhere Sozialleistungen als die rein kopfanteilig tatsächlich nachweisbaren Belastungen des selbstgenutzten, lastenfreien Eigenheims zu erhalten und durch diese einen künftigen Nachlass der Eltern zu erweitern, gegen eine Anerkennung der mit dem Mietverhältnis begründeten Verpflichtungen als tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des SGB XII?
4. Stellt es ein sozialhilferechtlich als Rechtsmissbrauch zu wertendes, kollusives Zusammenwirken zwischen Eltern und ihren sozialrechtlich leistungsberechtigten Kindern dar, wenn gleichzeitig über eine rein familieninterne Vertragsvereinbarung höhere Familieneinkünfte auf Kosten des Sozialhilfeträgers generiert werden, gleichzeitig über auf derartige Vereinbarungen hin geleistete Zahlungen des Leistungsberechtigten nicht von sonstigen Zahlungen des Leistungsberechtigten abgegrenzt, steuerlich nicht als Einkommen der Eltern angegeben und so einer Besteuerung zu Lasten des Staates entzogen werden? Rechtfertigt ein derartiger Rechtsmissbrauch die Versagung der Übernahme der auf der Grundlage dieser Vereinbarung geleisteten Zahlungen, soweit diese über eine reine pro-Kopf-Verteilung der dem Sozialleistungsträger nachgewiesenen tatsächlichen Aufwendungen für das Familienheim hinausgehen?
5. Erlaubt es § 29 SGB XII in der bis zum geltenden Fassung (heute § 35 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB XII) Eltern durch Abschluss rein familieninterner Mietverträge mit erwerbsunfähigen, von ihnen selbst betreuten Kindern über unselbständige Teile eines gemeinsamen Familienheims Einnahmen zu Lasten des Sozialhilfeträgers zu generieren, denen kein nachweisbarer Verzicht auf entgeltliche Überlassung desselben Wohnraumes an Dritte und auch keine nachweisbaren gerade aufgrund des gemeinsamen Wohnens mit ihren Kindern entstehenden Mehraufwendungen gegenüberstehen?"
4Die Rechtsfragen 1 und 2 hätten grundsätzliche Bedeutung, weil das Bundessozialgericht (BSG) bislang den sog Fremdvergleich nur in Konstellationen abgelehnt habe, in denen in einem familiären Näheverhältnis niedrigere als ortsübliche Mietzinsforderungen pro qm begründet worden seien. Dies sei jedoch nicht auf den Fall zu übertragen, dass sich eine oberhalb des örtlich angemessenen Mietniveaus liegende Quadratmeterkaltmiete ergebe. Wegen der Frage 3 sei bislang in der Rechtsprechung nicht erörtert worden, ob ein entsprechend strengerer Maßstab als etwa die zivilrechtlichen Grenzen eines Rechtsmissbrauchs bzw eines unzulässigen Vertrags zu Lasten Dritter anzulegen sei, um Vereinbarungen zu verhindern, die in der Absicht abgeschlossen worden seien, im familiären Näheverhältnis den Eltern Zusatzeinkünfte zu verschaffen. Die Frage 4 erscheine vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung bedeutsam, weil im Sinne des Einkommenssteuerrechts verschleierte Einkünfte der Eltern gegen eine hinreichend ernsthafte vertragliche Bindung sprächen. Mit der Beantwortung der Frage 5 könnte das Gericht aufzeigen, inwieweit Voraussetzung für eine Kostenübernahme mietvertraglicher Zahlungspflichten im familieninternen Bereich sei, dass ein Abschluss derartiger Vereinbarungen gerade vor dem Hintergrund realer wirtschaftlicher Gründe erfolge, die nicht allein in einer Schaffung zusätzlicher Einnahmequellen auf Staatskosten lägen.
5Schließlich macht die Beklagte einen Verfahrensmangel geltend. Die Entscheidung des LSG beruhe auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, die wiederum zu einer Entscheidung des Gerichts auf unvollständiger Tatsachengrundlage führe. Das LSG habe es trotz des ausdrücklichen Hinweises der Beklagten in der mündlichen Verhandlung unterlassen, Ermittlungen der angemessenen Miethöhe für das Gebiet der Beklagten anzustellen.
II
6Die Beschwerde ist unzulässig, weil die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
7Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.
8Mit der Frage 2 könnte die Beklagte bei wohlwollender Auslegung die Frage aufgeworfen haben, ob tatsächlich anfallende Kosten der Unterkunft aus einem zwischen Verwandten abgeschlossenen Mietvertrag auch oberhalb eines als (abstrakt) angemessen anzusehenden Mietzinses pro Quadratmeter der Wohnfläche als Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erbringen sind. Insoweit ist aber ohnedies die abstrakte Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Die Beklagte bezieht sich im Ausgangspunkt auf die Rechtsprechung des BSG, wonach tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft bis zur Angemessenheitsgrenze zu übernehmen sind, wenn sie aufgrund einer wirksamen rechtlichen Verpflichtung vom Hilfebedürftigen zu tragen sind, unabhängig davon, ob die Höhe oder die Vertragsgestaltung einem Fremdvergleich standhält (vgl für die Grundsicherung für Arbeitsuchende BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 15 und SozR 4-4200 § 22 Nr 21 sowie im Anschluss für die Sozialhilfe SozR 4-3500 § 29 Nr 1 RdNr 14). Es fehlen aber ausreichende Darlegungen dazu, dass die aufgeworfene Rechtsfrage sich im Anschluss an diese Rechtsprechung, die die (abstrakte) Angemessenheit der Kosten ausdrücklich als Höchstgrenze nennt, noch stellt. Um die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit in diesem Zusammenhang nachvollziehbar zu machen, hätte dargelegt werden müssen, dass es nach den genannten Entscheidungen des BSG bei Mietverhältnissen unter Verwandten insoweit auf einen Kostenvergleich pro Quadratmeter tatsächlich bewohnter Wohnfläche überhaupt ankommen kann. Nur dann könnte sich die Frage nach der Anwendbarkeit eines Fremdvergleichs in den Fällen stellen, in denen zwar nicht die Gesamtangemessenheitsgrenze nach der Produkttheorie, aber ein bestimmter Quadratmeterpreis überschritten wird.
9Wegen aller formulierten Fragen ist die grundsätzliche Bedeutung jedoch aus anderen Gründen nicht dargetan. Es fehlt an Darlegungen dazu, die über die Beurteilung des Einzelfalls hinausgehen. In Wahrheit bemängelt die Beklagte lediglich eine falsche Entscheidung des LSG unter angeblich fehlerhafter Sachverhaltswürdigung (vgl dazu nur Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 305 mwN). Eine (behauptete) fehlerhafte Beweiswürdigung kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen, was schon daraus ersichtlich wird, dass ein Verfahrensmangel (dazu sogleich) nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden kann.
10Der Zulassungsgrund von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist ebenfalls nicht ausreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Zwar behauptet die Beklagte, das LSG habe rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) verletzt, weil es in der mündlichen Verhandlung Hinweisen des Beklagtenvertreters nicht gefolgt sei. Tatsächlich rügt die Beklagte aber nicht die fehlende Möglichkeit, zum Sach- und Streitstand Stellung nehmen zu können, sondern eine mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts durch das LSG. Dieser Vortrag ist aber von vornherein unschlüssig. Nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG wäre insoweit die Darlegung erforderlich gewesen, dass ein Beweisantrag gestellt worden ist. Wegen des im Kern gerügten Fehlers in der Beweiswürdigung des LSG käme nur die materiell-rechtliche Rüge in Betracht, dass das LSG gegen Denkgesetze verstoßen habe. Dazu trägt die Beklagte jedoch nichts vor.
11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstelle(n):
DAAAE-82427