BGH Beschluss v. - V ZB 54/14

Rücküberstellungshaftverfahren: Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen eine Haftanordnung bei fehlender Angabe einer ladungsfähigen Anschrift

Gesetze: § 62a Abs 1 AufenthG, Art 15 Abs 1 EGRL 115/2008, Art 16 Abs 1 S 1 EGRL 115/2008

Instanzenzug: LG Krefeld Az: 7 T 32/14 Beschlussvorgehend AG Krefeld Az: 29 XIV 12/14 B

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein russischer Staatsangehöriger, reiste am aus den Niederlanden nach Deutschland ein und führte lediglich eine italienische Carta d'Identità (Identitätsausweis), die nach ihrem Aufdruck auf der Rückseite nicht für die Ausreise gilt, und einen italienischen Permesso di Soggiorno (Aufenthaltserlaubnis) bei sich. Eine Recherche in dem EURODAC-Register ergab, dass er im März 2011 in Belgien und im Juni 2011 in Italien Asyl beantragt hatte. Die belgischen Behörden teilten auf Nachfrage mit, dass der Betroffene von dort nach Italien zurückgeführt worden sei. Das Amtsgericht ordnete im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum an, die in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen wurde.

2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum angeordnet. Die Beschwerde hat das zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Zurückschiebung nach Italien am mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, soweit sie vollzogen worden ist.

II.

3Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Haft für rechtmäßig. Ihr stehe insbesondere nicht entgegen, dass sie in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen werde. Dort werde zwar auch Strafhaft vollzogen. Das sei aber nach § 62a AufenthG nicht zu beanstanden, da es in Nordrhein-Westfalen keine speziellen Abschiebungshafteinrichtungen gebe. Unerheblich sei auch, dass in dieser Justizvollzugsanstalt Betroffene, die einen Asylantrag gestellt hätten, nicht von solchen getrennt würden, die einen solchen Antrag nicht gestellt hätten. Eine solche Vorgabe folge zwar aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU (ABl. Nr. L 180 S. 96). Die Frist zu deren Umsetzung sei aber noch nicht abgelaufen.

III.

4Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis nicht stand.

51. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Rechtsbeschwerdeschrift enthält zwar keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Betroffenen. Diese Angabe ist aber keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ( IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 333 f. und vom - XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773 sowie Beschluss vom - XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 10). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn ohne die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens gefährdet ist oder wenn die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt, etwa darauf, dass er das Verfahren aus dem Verborgenen führen will, um sich Ansprüchen gegen ihn zu entziehen (, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 13, 18 f.). Für das Vorliegen solcher Ausnahmen ist hier nichts ersichtlich.

62. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

7a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10).

8b) Die Vorgaben der Richtlinie sind auch für Rücküberstellungen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sog. Dublin-III-Verordnung) einzuhalten. Die Bedingungen für die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung solcher Rücküberstellungen richten sich zwar gemäß Art. 28 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung nach den Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU, die nach ihrem Art. 31 Abs. 1 bis zum umzusetzen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorgaben der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis dahin bei Rücküberstellungen nicht einzuhalten wären. Diese gelten zwar nur für die Inhaftierung zur Sicherung einer Rückkehr in das Heimatland. Eine Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (sowohl nach der Dublin-II-Verordnung als auch nach der Dublin-III-Verordnung) wird aber in Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie einer Rückkehr in das Heimatland gleichgestellt. Die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG sind deshalb bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2013/33/EU auch bei Rücküberstellungen einzuhalten. Das ist hier nicht geschehen und führt zur Rechtswidrigkeit der Haft.

9c) Die richtlinienkonforme Unterbringung hat das Rechtsbeschwerdegericht unabhängig von einer Rüge des Betroffenen zu prüfen, weil dies eine materielle Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft betrifft und weil die gebotene möglichst wirksame Anwendung des Rechts der Union (effet utile) anders nicht zu erreichen ist. Die Anwendung der genannten Vorschrift steht auch nicht zur Disposition des Betroffenen oder anderer Beteiligter ( - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 22 f.; Senat, Beschluss vom - V ZB 144/12, juris Rn. 6).

103. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Stresemann                           Schmidt-Räntsch                            Czub

                       Weinland                                       Kazele

Fundstelle(n):
GAAAE-82050