BVerwG Beschluss v. - 6 P 13/13

Mitbestimmung im Jobcenter bei Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit

Gesetze: § 75 Abs 1 Nr 2 BPersVG, § 44h Abs 3 SGB 2, § 44d Abs 4 SGB 2

Gründe

I

1Einer Arbeitnehmerin der Bundesagentur für Arbeit, waren Tätigkeiten bei der gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) Halle (Saale) zugewiesen worden. Die Beteiligte übertrug ihr im Jahr 2010 eine der Tätigkeitsebene III (vgl. § 14 Abs. 1 Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit - TV-BA) zugeordnete Tätigkeit als Projektleiterin in dem Projekt „ANA - Alleinstehende nicht allein lassen". Ende 2011 unterrichtete die Beteiligte den Antragsteller über die Absicht, die Arbeitnehmerin von der Aufgabe als Projektleiterin ANA zu entbinden und ihr eine der Tätigkeitsebene IV zugeordnete Tätigkeit zuzuweisen.

2Der Antragsteller verfolgt im Beschlussverfahren das Begehren auf Feststellung, dass er bei der Abberufung der Arbeitnehmerin als Projektleiterin ANA und ihrer Rückkehr von der Tätigkeitsebene III TV-BA zur Tätigkeitsebene IV TV-BA ein Mitbestimmungsrecht hatte. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat ihn abgelehnt. Die Maßnahme erfülle zwar die in § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG normierten Mitbestimmungstatbestände der Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit sowie der Rückgruppierung. Das Mitbestimmungsrecht liege jedoch nicht beim Antragsteller. Dem Personalrat der gemeinsamen Einrichtung stünden gemäß § 44h Abs. 3 SGB II Beteiligungsrechte nur insoweit zu, als die Entscheidungsbefugnis beim Geschäftsführer der Einrichtung liege. Für die Begründung und Beendigung der mit den Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse liege gemäß § 44d Abs. 4 SGB II die Entscheidungsbefugnis beim abgebenden Träger. Die Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit und die damit verbundene Rückgruppierung setzten eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags oder eine Änderungskündigung voraus. Da die Änderungen vertragliche Hauptpflichten im Sinne des § 611 BGB beträfen, würde in beiden Fällen ein neues Arbeitsverhältnis begründet.

3Der Antragsteller begründet seine Rechtsbeschwerde im Wesentlichen wie folgt: Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit bzw. Rückgruppierung seien vom Wortsinn her nicht als Begründung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzuordnen. Der Gesetzgeber habe die personalrechtlichen Befugnisse des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung weit fassen wollen. Für ihre weite Fassung spreche auch der Gesichtspunkt der Sachnähe sowie unter Legitimationsaspekten die Erwägung, dass Beschäftigten, denen Tätigkeiten bei einer gemeinsamen Einrichtung zugewiesen seien, kein Wahlrecht zur Personalvertretung der Trägerdienststelle zustehe. Der Ausspruch einer Änderungskündigung sei von der Tätigkeitsübertragung bzw. Eingruppierung rechtlich zu unterscheiden.

4Die Beteiligte verteidigt den angefochtenen Beschluss und trägt darüber hinaus im Wesentlichen vor: Die Änderung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten greife in den Kernbereich des Vertrages ein. Sie sei vom Direktionsrecht des § 106 GewO nicht gedeckt. Die Zuständigkeiten für die Änderungskündigung und für die Tätigkeitsübertragung bzw. Eingruppierung dürften nicht auseinanderfallen.

5Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt gleichfalls den angefochtenen Beschluss.

II

6Die Rechtsbeschwerde ist begründet, da der angefochtene Beschluss auf der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht (§ 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 83 Abs. 2 BPersVG, § 44h Abs. 1 Satz 2 SGB II) und sich auch nicht im Ergebnis als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Danach ist die Beschwerde der Beteiligten gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die dort getroffene konkrete durch die im Tenor aufgeführte abstrakte Feststellung ersetzt wird.

71. Das im Rechtsbeschwerdeverfahren weiter verfolgte Feststellungsbegehren des Antragstellers ist zulässig. Sinngemäß begehrt er die abstrakte Feststellung, dass ihm gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG ein Mitbestimmungsrecht bei der Übertragung von Tätigkeiten, die einer niedrigeren Tätigkeitsebene (§ 14 Abs. 1 TV-BA) zugeordnet sind, sowie bei der hiermit verbundenen Rückgruppierung zusteht. Dem Antragsteller geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren wie bereits zuvor im Beschwerdeverfahren ausweislich seiner schriftsätzlichen Äußerungen nicht in erster Linie um den erledigten Anlassfall, sondern um die dahinter stehende allgemeine Rechtsproblematik, die sich auch in künftigen Fällen stellen kann (vgl. BVerwG 6 P 13.07 - BVerwGE 131, 267 Rn. 9 ff. = Buchholz 250 § 77 BPersVG Nr. 18).

82. Das Feststellungsbegehren ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts begründet.

9Der Personalvertretung der gemeinsamen Einrichtung stehen alle Rechte entsprechend den Regelungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes zu, soweit dem Geschäftsführer der Einrichtung Entscheidungsbefugnisse in personalrechtlichen Angelegenheiten zustehen (§ 44h Abs. 3 SGB II). Der Geschäftsführer übt über die Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die arbeitsrechtlichen Befugnisse des Trägers mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse aus, die beim Träger verbleiben (§ 44d Abs. 4 SGB II). Die Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit sowie die hiermit verbundene Rückgruppierung, die jeweils dem Mitbestimmungstatbestand des § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG unterfallen, stellen keine Begründung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses dar. Sie liegen daher in der Entscheidungszuständigkeit des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung und nicht derjenigen des Geschäftsführers der zuständigen Trägerdienststelle. Folglich steht dem Antragsteller und nicht dem Personalrat der zuständigen Trägerdienststelle das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht zu.

10Weder die vom Oberverwaltungsgericht aufgeführten noch sonstige Gründe rechtfertigen eine gegenteilige Sichtweise:

11a. Eine gegenteilige Sichtweise ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit sowie die hiermit einhergehende Rückgruppierung eine Änderung des Arbeitsvertrages erfordern.

12Die Eingruppierung in eine Tätigkeitsebene ist im Arbeitsvertrag aufzunehmen (§ 14 Abs. 3 TV-BA). Die Übertragung von Tätigkeiten, die nicht der im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeitsebene zuzuordnen sind, liegt außerhalb des Direktionsrechts des Arbeitgebers und setzt daher eine Änderung des Arbeitsvertrags voraus (vgl. § 14 Abs. 4 TV-BA; - NZA-RR 2012, 106 <107> m.w.N.). Hieraus folgt jedoch nicht, dass eine solche Maßnahme sowie die mit ihr verbundene Rückgruppierung nicht von den Geschäftsführerzuständigkeiten gemäß § 44d Abs. 4 SGB II umfasst wären. Nach § 44d Abs. 4 SGB II ist nur die Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber auch dessen Änderung dem Träger vorbehalten. Dies folgt außer aus dem Wortlaut der Vorschrift auch daraus, dass der Gesetzgeber Höhergruppierungen - ungeachtet dessen, dass sie nach Maßgabe von § 14 Abs. 4 und 3 TV-BA eine Vertragsänderung voraussetzen - der Entscheidungszuständigkeit des Geschäftsführers zuweisen wollte (vgl. BTDrucks 17/1555 S. 26). Der Gesetzgeber hat mithin dem Gesichtspunkt, dass bestimmte Maßnahmen individual-arbeitsrechtlich eine Vertragsänderung voraussetzen, im Rahmen von § 44d Abs. 4 SGB II keine Bedeutung für den Umfang der Geschäftsführerbefugnisse beimessen wollen ( BVerwG 6 P 15.13 - Rn. 25).

13Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Vertragsänderung vertragliche Hauptleistungspflichten der Parteien betrifft. Gerade bei den vom Gesetzgeber gezielt ins Auge gefassten Höhergruppierungen ist dies der Fall. Werden vertragliche Hauptleistungspflichten geändert, behält das Arbeitsverhältnis Bestand und ist nicht etwa als neu begründet anzusehen. Dies belegt etwa § 2 Satz 1 KSchG. Danach zielt bei der Änderungskündigung das - regelmäßig Hauptleistungspflichten betreffende - Änderungsangebot des Arbeitgebers auf die „Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen".

14b. Eine gegenteilige Sichtweise ist ferner nicht deshalb gerechtfertigt, weil ein Arbeitgeber bei zunächst fehlendem Einverständnis des Arbeitnehmers die Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit sowie die hiermit verbundene Rückgruppierung nur durch Ausspruch einer Änderungskündigung durchsetzen kann (vgl. - BAGE 135, 239 <245>).

15aa. Dies folgt allerdings noch nicht daraus, dass die Änderungskündigung auf der einen Seite und die Tätigkeitsübertragung bzw. Rückgruppierung auf der anderen Seite organisations- und beteiligungsrechtlich verschiedene Akte bilden (vgl. hierzu Linck, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Aufl. 2013, S. 1723 f. m.w.N.). Die Tätigkeitsübertragung bzw. die Rückgruppierung läuft ins Leere, wenn das Einverständnis des zunächst widerstrebenden Arbeitnehmers nicht im Wege der Änderungskündigung herbeigeführt wird. Es wäre sinnwidrig, dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung die Zuständigkeit zur Tätigkeitsübertragung bzw. Rückstufung zuzuordnen, wenn er nicht zugleich über die Befugnis zum Ausspruch der Änderungskündigung verfügte und so diesen Maßnahmen zur Wirksamkeit verhelfen könnte. Eine diesbezügliche Aufspaltung der Zuständigkeiten zwischen Geschäftsführer und Träger widerspräche auch der aus §§ 44b ff. SGB II zutage tretenden Absicht des Gesetzgebers, beide Ebenen befugnis- wie beteiligungsrechtlich zu entflechten.

16bb. Die Zuständigkeit zum Ausspruch einer Änderungskündigung liegt aber beim Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung. Somit entfallen mögliche Bedenken dagegen, ihm die Zuständigkeit zur Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit bzw. zur hiermit verbundenen Rückgruppierung zuzuordnen:

17(1) Die Änderungskündigung ist nach der Legaldefinition in § 2 Satz 1 KSchG ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen hinzukommen ( - BAGE 112, 58 <60>). Der Arbeitgeber kann eine unbedingte Kündigung aussprechen und daneben ein Änderungsangebot unterbreiten. Er hat auch die Möglichkeit, die Kündigungserklärung mit der Bedingung zu versehen, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ablehnt (vgl. Linck, a.a.O. S. 1718 m.w.N.).

18(2) Im Hinblick auf die Komponente des Änderungsangebots ergibt sich kein Bezug zu dem gemäß § 44d Abs. 4 SGB II dem Träger vorbehaltenen Bereich der Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses (s.o.).

19(3) Allerdings ergibt sich ein solcher Bezug im Hinblick auf die Komponente der Kündigung. Lehnt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot ab, kommt die Kündigung zum Tragen und bewirkt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

20(4) Zu bedenken ist jedoch, dass es sich bei der Änderungskündigung um eine Maßnahme mit offenem Ausgang handelt. Nimmt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot an, wird das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortgesetzt. Aus Sicht des Arbeitgebers steht dieser Aspekt im Vordergrund. Für ihn hat die Änderungskündigung den Zweck, die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers zur Tätigkeits- und Vergütungsveränderung zu überwinden. Sie zielt lediglich auf die Erweiterung seines Direktionsrechts (vgl. - BAGE 74, 291 <303>). Für den Arbeitnehmer wird die Hürde zur Annahme des Änderungsangebots dadurch gesenkt, dass er sie gemäß § 2 Satz 1 KSchG unter dem Vorbehalt erklären kann, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Hierzu kann er gemäß § 4 Satz 2 KSchG eine gerichtliche Feststellung herbeiführen.

21(5) Zu bedenken ist zudem, dass § 44d Abs. 4 SGB II eine „weitgehende Gleichbehandlung des Personals sowie eine einheitliche Personalführung ... in den gemeinsamen Einrichtungen" sicherstellen soll (vgl. BTDrucks 17/1555 S. 26). Gleichbehandlung der Beschäftigten und Einheitlichkeit der Personalführung sind am wirksamsten dadurch zu gewährleisten, dass möglichst viele personelle Entscheidungsbefugnisse derjenigen Instanz überantwortet sind, die mit dem Dienstbetrieb und dem gesamten Personalkörper der Einrichtung aus eigenem Erleben vertraut ist. Dies trifft nach Lage der Dinge auf den Geschäftsführer der Einrichtung stärker als auf den Leiter der zuständigen Trägerdienststelle zu (vgl. BVerwG 6 P 14.13 - Rn. 18). Daher ist eine enge Auslegung der Begriffe der „Begründung" und der „Beendigung" im Sinne von § 44d Abs. 4 SGB II geboten. Hierzu stünde im Widerspruch, eine Maßnahme schon deshalb dem Begriff der „Beendigung" des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen, weil im Zeitpunkt ihrer Vornahme die nicht auszuschließende Möglichkeit besteht, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zur Beendigung führen könnte.

22(6) Vor diesem Hintergrund erscheint es im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gerechtfertigt, den Ausspruch einer Änderungskündigung nicht als eine gemäß § 44d Abs. 4 SGB II dem Träger vorbehaltene Maßnahme zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzustufen, sondern sie der Zuständigkeit des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung zuzuordnen. Diese Lösung kommt den Interessen der Arbeitnehmer insofern entgegen, als auf diese Weise die personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsrechte (§ 75 Abs. 1 Nr. 2, § 79 Abs. 1 BPersVG) bei derjenigen Personalvertretung angesiedelt sind (§ 44h Abs. 3 SGB II), hinsichtlich derer sie selbst über das Wahlrecht verfügen (vgl. BVerwG 6 PB 17.12 - Buchholz 250 § 13 BPersVG Nr. 5 Rn. 5).

Fundstelle(n):
JAAAE-80549