Ermittlung von Beschäftigungstagen - Treuwidrigkeit der Berufung auf unzureichenden Beschäftigungsumfang
Instanzenzug: Az: 1 Ca 2792/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 12 Sa 417/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten um Ansprüche auf tarifliches Fortzahlungsentgelt, Übergangsgeld sowie auf Urlaubsabgeltung.
2Der Kläger war seit 1980 als Journalist und freier Mitarbeiter für die Beklagte in deren Sportredaktion tätig. Auf das Vertragsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen der Deutschen Welle vom in der Fassung vom (TVaP) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:
3Der Vorgängertarifvertrag des TVaP, der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen der Deutschen Welle vom in der ab geltenden Fassung (TVaP aF) enthält ua. folgende Regelung:
4Der Durchführungstarifvertrag Nr. 1 zum Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen vom in der Fassung vom (TV Urlaub) bestimmt ua.:
5Die Beklagte setzte den Kläger zunächst durchschnittlich an zwei Tagen pro Woche (Mittwoch und Freitag) ein. Mit Schreiben vom teilte sie dem Kläger mit, dass dieser wegen des Verlusts des Sendeplatzes für die Sendung S mittwochs nicht mehr beschäftigt werden könne. Ab dem war der Kläger regelmäßig nur noch freitags für die Beklagte tätig, im Jahr 2007 an 53 Tagen, im Jahr 2008 an 55 Tagen und im Jahr 2010 an 45 Tagen.
6Seit Beginn seiner Tätigkeit bei der Beklagten war der Kläger in erheblich größerem Umfang auch Mitarbeiter der Sportredaktion des Deutschlandfunks, der von Deutschlandradio produziert wird. Diese ist ebenso wie die Beklagte eine ARD-Rundfunkanstalt. Der Kläger erhielt auf Antrag von Deutschlandradio Urlaub und Urlaubsentgelt. Die Beklagte zahlte ihm auf Antrag sog. Ergänzungsurlaubsentgelt, im Jahr 2007 für 13 Tage, im Jahr 2008 für 10 Tage, im Jahr 2009 für 26 Tage und im Jahr 2010 für 20 Tage.
7Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom mit, dass sie das Vertragsverhältnis mit Wirkung zum beende. Der Kläger machte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Fortzahlungsentgelt und Übergangsgeld nach dem TVaP erfolglos geltend.
8Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe Anspruch auf Zahlung von Fortzahlungsentgelt, Übergangsgeld sowie Urlaubsabgeltung. Er hat ausgehend von einer zwölfmonatigen Mitteilungsfrist und einem daraus folgenden Ende des Vertragsverhältnisses am die Abgeltung von 26 Urlaubstagen mit 1.072,46 Euro brutto verlangt und Fortzahlungsentgelt in Höhe von 8.870,46 Euro brutto sowie Übergangsgeld in Höhe von 28.316,25 Euro brutto beansprucht. Zwar sei er in den letzten Kalenderjahren an weniger als 72 Tagen für die Beklagte tätig gewesen, bei der Berechnung der für die geltend gemachten Ansprüche erforderlichen 72 Beschäftigungstage im Kalenderjahr sei jedoch auch sein gemäß der Protokollnotiz zu Ziff. 1 des TV Urlaub bestehender Ergänzungsurlaubsanspruch im Umfang von jährlich 31 Tagen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob er diesen Ergänzungsurlaubsanspruch tatsächlich geltend gemacht habe. Auch § 12a Abs. 2 TVG gebiete, die bei Deutschlandradio erhaltenen 31 Urlaubstage pro Jahr in die Berechnung der Beschäftigungstage nach dem TVaP einzubeziehen. Im Übrigen habe die Verringerung des Beschäftigungsumfangs durch die Beklagte im Jahr 2002 gegen Ziff. 5.9 TVaP aF verstoßen. Ein wichtiger Grund habe nicht vorgelegen, weshalb die Beklagte auch ab dem verpflichtet gewesen sei, ihn an zwei Tagen pro Woche zu beschäftigen. Die Beklagte habe sich insoweit in Annahmeverzug befunden. Zwar habe er der Beklagten weiter gehende Dienste weder tatsächlich noch wörtlich angeboten. Ein solches Angebot sei jedoch nach § 296 BGB entbehrlich gewesen, weil die Beklagte ihm nach den Dienstplänen mittwochs keine Arbeit mehr zugewiesen habe und damit eine nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung unterblieben sei. Die Beklagte dürfe aus ihrem rechtswidrigen Verhalten keinen Vorteil ziehen, weshalb er nach § 242 BGB so gestellt werden müsse, als habe er durchgängig bei der Beklagten an zwei Tagen pro Woche gearbeitet.
9Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen
10Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, der Kläger habe die für seine Ansprüche erforderlichen 72 Beschäftigungstage in den maßgeblichen Kalenderjahren nicht erreicht.
11Das Arbeitsgericht hat - ausgehend von einem Ende des Vertragsverhältnisses am - dem Kläger Urlaubsabgeltung für drei Urlaubstage in Höhe von 117,37 Euro brutto zuzüglich Zinsen zuerkannt und die der Beklagten am zugestellte Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter, soweit die Klage abgewiesen wurde.
Gründe
12Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
13I. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht einen Anspruch des Klägers auf Fortzahlungsentgelt gemäß § 9 Abs. 2 TVaP verneint.
141. Nach dieser Tarifvorschrift besteht ein Anspruch auf Fortzahlungsentgelt ausschließlich während des Laufs der Mitteilungsfrist nach § 10 TVaP. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 TVaP hat die Beklagte die Beendigung der Tätigkeit dem Mitarbeiter schriftlich mitzuteilen, wenn dieser im laufenden Kalenderjahr oder im Kalendervorjahr an mindestens 72 Beschäftigungstagen für sie tätig war. Nach § 10 TVaP setzt die Mindestmitteilungsfrist von zwei Monaten zwei zusammenhängende Beschäftigungsjahre voraus, wofür nach § 6 Abs. 8 TVaP pro Kalenderjahr 72 Beschäftigungstage iSv. § 6 Abs. 7 TVaP Voraussetzung sind.
152. Das Erfordernis von 72 Beschäftigungstagen erfüllte der Kläger in den maßgeblichen Kalenderjahren 2009 und 2010 nicht.
16a) Der Kläger war für die Beklagte in keinem der beiden Kalenderjahre an 72 Kalendertagen iSv. § 6 Abs. 7 Nr. 1 TVaP tätig. Auch bei Anwendung des § 6 Abs. 7 Nr. 3 TVaP errechnen sich nach dem Tatsachenvortrag des Klägers weder 72 Beschäftigungstage im Jahr 2009 noch im Jahr 2010. Nach dieser Vorschrift gelten als Beschäftigungstage auch Kalendertage, für die Urlaubsentgelt nach dem Durchführungstarifvertrag Nr. 1 gezahlt wurde. Dies gilt auch dann, wenn die Kalendertage einbezogen werden, für die die Beklagte dem Kläger sog. Ergänzungsurlaubsentgelt gezahlt hat.
17b) § 6 Abs. 7 Nr. 3 TVaP spricht von Kalendertagen, für die „Urlaubsentgelt … gezahlt wurde“. Nicht in Anspruch genommener Urlaub bleibt damit entgegen der Ansicht des Klägers unberücksichtigt (vgl. zum TVaP aF bereits - zu 1 a der Gründe). Dies ergibt sich nicht nur unmittelbar aus dem Wortlaut des Tarifvertrags, sondern auch aus dem Zweck der Anrechnungsregelung. Die Rechtsposition des Mitarbeiters soll sich nicht dadurch verschlechtern, dass er seine Ansprüche aus dem TV Urlaub geltend macht. Die Tarifvertragsparteien gingen erkennbar davon aus, dass der Mitarbeiter tätig gewesen wäre, wenn er nicht Urlaub in Anspruch genommen hätte. Nach der Auslegung des Klägers könnte es bei der Nichtbeanspruchung von Urlaub zu einer doppelten Berücksichtigung von Kalendertagen kommen, einmal nach § 6 Abs. 7 Nr. 1, 2 TVaP für geleistete Tätigkeiten sowie nach § 6 Abs. 7 Nr. 3 TVaP für nicht in Anspruch genommene Urlaubstage. Im Übrigen spricht gegen das Verständnis des Klägers auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Wenn der Mitarbeiter an der Antragstellung nicht schuldlos verhindert war und diese nicht bis spätestens 1. April des folgenden Jahres nachholt, verfällt nach Ziff. 2.4 TV Urlaub ein vom Mitarbeiter im Kalenderjahr nicht beantragter Urlaub. Dieser Wertung würde es widersprechen, wenn sich ein Mitarbeiter auch nach dem 1. April des Folgejahres im Rahmen des § 6 Abs. 7 TVaP auf nicht beantragten Urlaub berufen könnte. Unentschieden kann deshalb bleiben, wie viele Urlaubstage dem Kläger, der seit dem für die Beklagte nur noch freitags tätig war, in den Kalenderjahren 2009 und 2010 nach dem TV Urlaub jeweils zustanden.
18c) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass in den maßgeblichen Kalenderjahren nicht jeweils 72 Beschäftigungstage deshalb zugrunde zu legen sind, weil die Beklagte Dienste des Klägers treuwidrig nicht angenommen hat. Dabei können die Fragen, ob die dem Kläger von der Beklagten mit Schreiben vom mitgeteilte Verringerung seiner Tätigkeit von zwei Tagen auf einen Tag pro Woche entsprechend der Auffassung des Klägers gegen Ziff. 5.9 TVaP aF verstieß und ob sich die Beklagte ab dem mit der Annahme der Dienste des Klägers an jeweils einem Tag pro Woche in Verzug befand, unbeantwortet bleiben. Selbst wenn sich die Beklagte bei Anwendung der vom Senat im Urteil vom (- 9 AZR 314/98 - zu I 3 d bb (3) der Gründe) aufgestellten Grundsätze tatsächlich im Annahmeverzug befunden hätte, hätte sie das Erreichen von jeweils 72 Beschäftigungstagen in den Kalenderjahren 2009 und 2010 durch den Kläger nicht wider Treu und Glauben verhindert, sodass diese Voraussetzung für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht erfüllt ist.
19aa) Eine Treuwidrigkeit der Beklagten nach § 242 BGB könnte sich nur unter dem Gesichtspunkt der unredlichen Vereitelung einer gegnerischen Rechtsposition ergeben (siehe dazu Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 246 ff.). Das Gesetz behandelt diesen Fall paradigmatisch in § 162 Abs. 1, § 815 BGB (vgl. - zu II 2 c bb der Gründe, BAGE 101, 39). Nach § 162 Abs. 1 BGB gilt eine Bedingung als eingetreten, wenn ihr Eintritt von der Partei, zu deren Nachteil sie gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird. Wann die Beeinflussung des Geschehens-ablaufs treuwidrig ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern nur im Einzelfall beurteilen. Maßgeblich ist, welches Verhalten von einem loyalen Vertragspartner erwartet werden konnte. Dies ist mittels einer umfassenden Würdigung des Verhaltens der den Bedingungseintritt beeinflussenden Vertragspartei nach Anlass, Zweck und Beweggrund unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts des Rechtsgeschäfts, festzustellen ( - zu II 1 der Gründe). Ein Verschulden im technischen Sinn ist zwar keine Voraussetzung für eine Treuwidrigkeit, jedoch bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen (vgl. Staudinger/Bork (2010) § 162 Rn. 10).
20bb) Daran gemessen liegt bei der gebotenen Gesamtabwägung eine Treuwidrigkeit der Beklagten nicht vor. Der Zweck der Verringerung des Beschäftigungsumfangs durch die Beklagte bestand nicht darin, das Erreichen der Anzahl an Beschäftigungstagen gemäß § 9 Abs. 1 iVm. § 6 Abs. 8 TVaP im Falle einer Vertragsbeendigung zu verhindern, sondern dem aus ihrer Sicht verringerten Beschäftigungsumfang ab dem Rechnung zu tragen. Da der Kläger sich weder sofort noch in den folgenden Jahren gegen seinen verringerten Einsatz wandte, insbesondere weder wörtlich noch tatsächlich weitere Dienste anbot und jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, dass die Beklagte selbst von der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens ausging, sind die Voraussetzungen einer treuwidrigen Beeinflussung des Geschehensablaufs durch die Beklagte nicht erfüllt.
21d) Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass aus § 12a Abs. 2 TVG entgegen der Ansicht des Klägers nicht folgt, dass er aufgrund der zusätzlichen Beschäftigungs- und Urlaubstage bei Deutschlandradio in den Kalenderjahren 2009 und 2010 jeweils 72 Beschäftigungstage erreicht hat.
22aa) Nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG sind arbeitnehmerähnlich solche Personen, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind. Weitere Voraussetzungen sind, dass sie aufgrund von Dienst- oder Werkverträgen für andere Personen tätig sind, die geschuldeten Leistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringen und entweder überwiegend für eine Person tätig sind oder einen gesetzlich näher bestimmten Anteil ihres Einkommens von einer Person beziehen. Nach § 12a Abs. 2 TVG gelten mehrere Personen, für die die arbeitnehmerähnliche Person tätig ist, als eine Person ua. dann, wenn sie einer nicht nur vor-übergehenden Arbeitsgemeinschaft angehören. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten auf Seiten der Auftraggeber, indem bestimmte Formen der korporativen und unternehmerischen Zusammenarbeit von Auftraggebern zusammengefasst und als eine Person fingiert werden (ErfK/Franzen 14. Aufl. § 12a TVG Rn. 9). Es ist anerkannt, dass die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD) gemäß § 12a Abs. 2 TVG als eine Person anzusehen sind (siehe - zu B I 4 der Gründe, BAGE 112, 203).
23bb) Dem beschriebenen Schutzzweck, namentlich die Fiktion der ARD-Anstalten als eine Person für die Bestimmung der wirtschaftlichen Abhängigkeit nach § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG, wird bereits durch § 2 Abs. 1 TVaP Rechnung getragen, wonach die Beschäftigung bei anderen ARD-Anstalten bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des Tarifvertrags zu berücksichtigen ist. Einen weiteren normativen Gehalt hat § 12a Abs. 2 TVG nicht. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Vorschrift nicht bewirkt, dass tarifliche Ansprüche einer arbeitsnehmerähnlichen Person gegenüber verschiedenen Auftraggebern einheitlich behandelt werden müssen.
24II. Auch ein Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld nach § 11 Abs. 1 TVaP besteht nicht. Ein solcher Anspruch erfordert gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 TVaP mindestens fünf zusammenhängende Beschäftigungsjahre, wobei ein Beschäftigungsjahr nach § 6 Abs. 8 TVaP 72 Beschäftigungstage voraussetzt. Daran fehlt es im Jahr 2010 und in den Vorjahren.
25III. Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf die Abgeltung von weiteren 23 Urlaubstagen gemäß Ziff. 4 TV Urlaub. Da eine Beendigungsmitteilung nach § 9 Abs. 1 TVaP entbehrlich war und keine Mitteilungsfrist gemäß § 10 TVaP eingehalten werden musste, endete das Vertragsverhältnis am . Die Beklagte hatte deshalb nicht mehr als drei Urlaubstage aus dem Jahr 2011 abzugelten. Nach dem Hinweis des Senats in der Revisionsverhandlung hat der Kläger klargestellt, dass er eine höhere als die ihm von den Vorinstanzen zuerkannte Abgeltung für diese drei Urlaubstage nicht mehr beansprucht.
26IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 2612 Nr. 43
ZAAAE-75092