Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen: Pflicht des Verfahrensbevollmächtigten zur rechtzeitigen Stellung eines Fristverlängerungsantrages für eine Beschwerdebegründung beim zuständigen Beschwerdegericht
Leitsatz
Es gehört zu den Aufgaben des Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung innerhalb der laufenden Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht.
Gesetze: § 113 Abs 1 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 S 2 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG
Instanzenzug: Az: 13 UF 19/13vorgehend AG Tempelhof-Kreuzberg Az: 120 F 14423/12
Gründe
I.
1Mit Beschluss vom , der dem Antragsgegner am zugestellt worden ist, hat das Familiengericht ihn zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Antragsteller verpflichtet. Hiergegen hat der Antragsgegner rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Mit einem am nach Dienstschluss beim Familiengericht eingegangenen Telefax hat der Antragsgegner die Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung beantragt. Die Akte lag zu der Zeit dem Rechtspfleger des Familiengerichts vor. Am hat die Abteilungsrichterin des Familiengerichts verfügt, den Vertretern der Beteiligten sei mitzuteilen, dass Fristverlängerung bis gewährt werde. Am hat die Kanzleiangestellte der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners beim Familiengericht die Auskunft eingeholt, dass die beantragte Fristverlängerung gewährt sei. Am selben Tag hat das Familiengericht die Weiterleitung der Akte an das Beschwerdegericht verfügt, wo sie am eingegangen ist. Mit Verfügung des Vorsitzenden des Beschwerdesenats vom ist dem Antragsgegner mitgeteilt worden, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung nicht stattgegeben werden könne, weil der Antrag erst nach Ablauf der zweimonatigen Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen sei. Am hat der Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Beschwerdebegründung nachgeholt.
2Das Beschwerdegericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Die Beschwerdebegründungsfrist sei versäumt, weil das Familiengericht sie nicht wirksam habe verlängern können und die Akte mit dem Verlängerungsantrag erst nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen sei. Die Frist sei auch nicht schuldlos versäumt. Die Bevollmächtigte des Antragsgegners habe ihre Kanzleiangestellte, die den Verlängerungsantrag an das Familiengericht adressiert und dort eingereicht habe, nicht ausreichend darüber unterrichtet, dass der Fristverlängerungsantrag auch dann beim Beschwerdegericht eingereicht werden müsse, wenn sich die Akte noch beim Familiengericht befinde. Das Familiengericht habe den Antrag im ordentlichen Geschäftsgang an das Beschwerdegericht weitergeleitet. Zu einer besonderen Beschleunigung der Aktenübersendung sei das Familiengericht nicht verpflichtet gewesen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren sei auch nicht dadurch verletzt, dass der Kanzleiangestellten telefonisch durch die Geschäftsstelle des Familiengerichts die Fristverlängerung bestätigt worden sei.
II.
3Die gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
4Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einem Beteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Verfahrensbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN).
51. Zu Recht hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass die Frist zur Beschwerdebegründung nicht gewahrt ist, da bis zu deren Ablauf am weder die Beschwerdebegründung noch ein Fristverlängerungsantrag bei dem Beschwerdegericht eingegangen war. Die Frist war auch nicht wirksam durch die Abteilungsrichterin des Familiengerichts verlängert worden, da über die Verlängerung der Begründungsfrist der Vorsitzende des Beschwerdegerichts entscheidet (§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO). Insoweit liegt der Fall anders als bei der Fristverlängerung durch den Vorsitzenden eines nicht berufenen Spruchkörpers (BGHZ 37, 125 = NJW 1962, 1396; offen gelassen in einem wiederum anders gelagerten Fall - NJW 2009, 1149).
62. Ebenso zutreffend hat das Beschwerdegericht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, da die Frist nicht schuldlos versäumt ist.
7a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - auch des Senats - gehört es zu den Aufgaben des Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 691/10 - juris Rn. 6 und vom - XII ZB 221/12 - juris Rn. 7, 9). In einer Familienstreitsache ist die Begründung der Beschwerde beim Beschwerdegericht einzureichen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Dasselbe gilt für Anträge auf Verlängerung der Frist, über die der Vorsitzende des Beschwerdegerichts entscheidet. Die schuldhafte Verkennung dieser eindeutigen Gesetzeslage ist dem Antragsgegner nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
8Selbst wenn sich die Akten mit der eingelegten Beschwerde noch beim Ausgangsgericht befinden, ist die Beschwerdebegründung oder ein entsprechender Verlängerungsantrag in Ehe- und Familienstreitsachen nach § 117 Abs. 1 FamFG beim Beschwerdegericht einzureichen. Auch darüber konnte bei der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners kein Zweifel bestehen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389 Rn. 10).
9An einen mit der Beschwerdeeinlegung betrauten Rechtsanwalt sind hinsichtlich der Ermittlung des für die Einlegung des Rechtsmittels zuständigen Gerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 19 mwN). Denn die Klärung der Zuständigkeit fällt in seinen Verantwortungsbereich. Er ist daher gehalten, die Rechtsmittelschrift und insbesondere die Empfangszuständigkeit des darin bezeichneten Adressaten auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 221/12 - juris Rn. 7, 9; BGH Beschlüsse vom - VIII ZB 20/09 - NJW 2011, 683 Rn. 16 und vom - V ZB 224/09 - NJW-RR 2010, 1096 Rn. 12 mwN). Dieselben Maßstäbe gelten für die Einreichung der Rechtsmittelbegründung und eines darauf bezogenen Fristverlängerungsantrags. Bei der Unterzeichnung eines solchen Antrags hat der Rechtsanwalt den von der Kanzleiangestellten vorbereiteten Entwurf auf seine Richtigkeit, insbesondere auf korrekte Adressierung hin zu überprüfen.
10b) Das Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten entfällt nicht dadurch, dass die Abteilungsrichterin des Familiengerichts eine Fristverlängerung bewilligt hat und dies der Kanzleiangestellten der Bevollmächtigten auf deren telefonische Nachfrage mitgeteilt worden ist. Der daraus bei der Kanzleiangestellten entstandene Irrtum, welcher sie letztlich zur Streichung der Frist im Fristenkalender veranlasst hat, lässt die Fristversäumung nicht als unverschuldet erscheinen, weil er eine schlichte Folgewirkung der von der Verfahrensbevollmächtigten persönlich zu vertretenden Fehladressierung ist.
11Auch wenn die Verfahrensbevollmächtigte vor Fristablauf von der Fristverlängerung durch das Familiengericht erfahren hätte, hätte sie auf deren Wirksamkeit nicht vertrauen dürfen.
12c) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.
13Nach der auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtsuchender allerdings darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 375/11 - FamRZ 2012, 1205 Rn. 26 und vom - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 1389 Rn. 12). Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Der am nach Dienstschluss eingegangene Verlängerungsantrag hat der Geschäftsstelle am vorgelegen. Dies bewegt sich im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 394/12 - FamRZ 2013, 1384 Rn. 23).
14Dass die Abteilungsrichterin irrtümlich verfügt hat, den Vertretern der Beteiligten sei mitzuteilen, dass Fristverlängerung bis gewährt werde, hat den ansonsten ordentlichen Geschäftsgang nur um einen Tag verzögert. Ohne diese Verzögerung wäre die Aktenübersendung am Montag, den , von der Geschäftsstelle veranlasst worden. Auch in diesem Fall wäre sie nicht mehr rechtzeitig am selben Tag, an dem auch die Frist ablief, beim Oberlandesgericht eingegangen.
153. Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner daher die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 233 ZPO zu Recht versagt. Auch die Verwerfung der Beschwerde nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist deswegen nicht zu beanstanden.
Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 3159 Nr. 43
NJW 2014 S. 8 Nr. 40
WM 2015 S. 258 Nr. 5
ZAAAE-74726