Instanzenzug: S 6 R 28/12
Gründe:
1Mit Urteil vom 22.8.2013 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Zeit vom 1.9.1972 bis 30.6.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) einschließlich der dabei erzielten Arbeitsentgelte im Zugunstenverfahren verneint.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden Verfahrensmängel (I.) und eine Rechtsprechungsabweichung (II.) geltend gemacht.
3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
4Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6I. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
71. Der Kläger rügt, weder SG noch LSG hätten sich mit seinem Vorbringen zur "Lohnzahlung bis einschließlich 30.06.1990" (1.1.), zur Umwandlung nach der Umwandlungsverordnung (1.2.), zum Anwartschaftsrecht (1.3.) und zum Tatbestandsmerkmal "Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens" (1.4) auseinandergesetzt bzw befasst und dadurch seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG verletzt. Soweit damit Gehörverstöße in Form der sog Erwägensrüge (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) geltend gemacht werden sollen, ist Folgendes zu beachten: Übergeht das Gericht in der Begründung seiner Entscheidung Gesichtspunkte, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe den entsprechenden Beteiligtenvortrag ignoriert. Vielmehr gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, auch wenn es nicht alle Aspekte in den Entscheidungsgründen verarbeitet. Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378, 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen zB vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags nicht eingeht, obwohl er für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist (vgl dazu - BVerfGE 86, 133, 145 f sowie Kammerbeschlüsse vom 5.7.2013 - 1 BvR 1018/13 - Juris RdNr 15, vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - Juris RdNr 11, vom 4.4.2007 - 1 BvR 2941/06 - BVerfGK 11, 9, 11 und vom 7.12.2006 - 2 BvR 722/06 - BVerfGK 10, 41, 45 f). Zentral bedeutsam sind dabei insbesondere das Vorbringen zu entscheidungserheblichen Tatsachen sowie Rechtsausführungen zu tragenden Rechtssätzen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das Entscheidungsergebnis entfällt. Deshalb hätte der Kläger zumindest die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG darlegen und auf dieser Grundlage im Einzelnen aufzeigen müssen, dass sein jeweiliger Tatsachenvortrag entscheidungserheblich und seine Rechtsausführungen tragend gewesen sind. Darüber hinaus hätte er dartun müssen, dass das angefochtene Urteil möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn das Berufungsgericht den Vortrag berücksichtigt hätte. Hieran fehlt es. Der Kläger verkennt, dass das Gericht keine Fragen erörtern muss, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich (BVerfGE 70, 288, 293 f; - NVwZ-RR 2002, 802, 803; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 681) oder aber offensichtlich unsubstantiiert sind (vgl BVerfGE 86, 133, 146, - NZS 2010, 497, 498, RdNr 12). Soweit er in diesem Zusammenhang auch Verletzungen des rechtlichen Gehörs im erstinstanzlichen Verfahren geltend macht, übersieht er, dass Verfahrensfehler, die dem SG unterlaufen, die Zulassung der Revision nur rechtfertigen (können), wenn sie im Berufungsverfahren fortwirken und deshalb auch als Verfahrensfehler des LSG anzusehen sind (vgl BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10 S 31). Für das Vorliegen einer derartigen Konstellation fehlt nach dem Beschwerdevortrag jeglicher Anhaltspunkt.
82. Wenn die Beschwerdebegründung darüber hinaus mangelnde Sachaufklärung (§ 103 SGG) rügt, weil das LSG "dem Beweisantrag - Vernehmung der Zeugen H. M. und C. L. - ... nicht gefolgt" sei (1.2.4.), hätte sie zumindest Fundstelle und Wortlaut eines prozessordnungskonformen Beweisantrags wiedergeben und darlegen müssen, der im Berufungsverfahren rechtskundig vertretene Beschwerdeführer habe einen derartigen Beweisantrag - im hier maßgeblichen Sinn der ZPO (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 373 ZPO) - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch einen entsprechenden Hinweis zu Protokoll (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 S 1 ZPO) aufrechterhalten. Dies ist jedoch nicht geschehen.
93. Soweit der Kläger (unter Gliederungspunkt 3.) moniert, "die Vorinstanzen hätten nicht nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden" (§ 128 Abs 1 S 1 SGG), weist er selbst zu Recht darauf hin, dass die Revisionszulassung auf eine Verletzung dieser Norm nicht gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 11).
10II. Auch die Divergenzrüge hat keinen Erfolg. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die BSG oder BVerfG aufgestellt haben, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
11Der Kläger benennt weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG noch des BSG. Soweit er (unter 2.2.1.) dem , 1 BvR 2105/95 - BVerfGE 100, 1 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3) isoliert einen einzelnen Satz entnimmt, stellt er diesem keinen Rechtssatz des LSG gegenüber, so dass der erforderliche Rechtssatzvergleich schon im Ansatz scheitert. Überdies schildert er weder den tatsächlichen noch den rechtlichen Kontext, in dem der herangezogene verfassungsgerichtliche Satz steht (vgl hierzu zB - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN), so dass auch nicht deutlich wird, welche rechtliche Aussage das BVerfG damit wirklich verlautbart hat. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung sowohl der herangezogenen als auch der angefochtenen Entscheidung gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.
12III. Soweit der Kläger schließlich bemängelt, seine Nichteinbeziehung in die AVItech stehe "einer Enteignung gleich" oder führe "jedenfalls aber zu einem enteignungsgleichen Eingriff, für den die gesetzliche Rechtfertigung" fehle, macht er damit keinen Revisionszulassungsgrund geltend und verkennt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Revision und Nichtzulassungsbeschwerde. Denn mit der Nichtzulassungsbeschwerde lässt sich die Sachentscheidung des LSG nicht überprüfen, sondern allenfalls erreichen, dass die Revision gegen diese Sachentscheidung überhaupt erst zugelassen wird.
13Die abschließende Bitte des Beschwerdeführers um einen gerichtlichen Hinweis für den Fall, dass die Form der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Nachweis der Revisionszulassungsgründe in Frage gestellt werde, führt nicht dazu, dass zunächst von einer Entscheidung über die unzureichend begründete Beschwerde abzusehen wäre. Denn der Senat ist nicht verpflichtet, den anwaltlich vertretenen Kläger vor einer Entscheidung über seine Beschwerde auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Die Bestimmung des § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Das Gesetz unterstellt vielmehr, dass ein Rechtsanwalt auch ohne Hilfe des Gerichts in der Lage ist, eine Nichtzulassungsbeschwerde formgerecht zu begründen (Senatsbeschlüsse vom 10.8.2011 - B 5 RS 40/11 B - BeckRS 2011, 75710 und vom 15.5.2012 - B 5 RS 70/11 B - BeckRS 2012, 70078 RdNr 11 sowie BSG Beschlüsse vom 31.5.2011 - B 13 R 103/11 B - BeckRS 2011, 73429 und vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7). Gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang des § 73 Abs 4 SGG ( - BeckRS 2012, 70222 RdNr 6).
14Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
15Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstelle(n):
FAAAE-74309