BGH Beschluss v. - V ZB 163/12

Internationale Zuständigkeit: Aussetzung eines Rechtsstreits durch das später angerufene, ausschließlich zuständige Gericht bis zur abschließenden Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen nicht ausschließlich zuständigen Gerichts

Leitsatz

Ist das später angerufene Gericht nach Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1 - EuGVVO) ausschließlich zuständig, darf es das Verfahren nicht nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO aussetzen (Umsetzung von - Weber, Rn. 54 ff.).

Gesetze: Art 22 Nr 1 EGV 44/2001, Art 27 Abs 1 EGV 44/2001

Instanzenzug: Az: C-571/13vorgehend Az: V ZB 163/12 EuGH-Vorlagevorgehend Hanseatisches Az: 13 W 33/12 Beschlussvorgehend Az: 321 O 123/11 Beschluss

Gründe

I.

1Die Beklagte ist Eigentümerin eines in H.      (Deutschland) belegenen Grundstücks, das mit einer Grundschuld belastet ist, aus der die Klägerin vollstrecken will. Mit ihrer seit dem bei dem Landgericht Hamburg rechtshängigen Klage möchte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen, die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung über 155.000 € nebst Zinsen zu dulden.

2Bereits am hatte die Beklagte bei dem Landgericht Mailand (Italien) eine Klage sowohl gegen die Klägerin als auch gegen die in Italien ansässige P. SRL (im Folgenden: SRL) erhoben mit dem Ziel festzustellen, dass die Grundschuld nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden, die zwischen den Parteien geschlossene Sicherungszweckerklärung unwirksam und die Beklagte daher nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sei. Mit Blick auf die mitverklagte SRL macht sie geltend, sie wolle sich an diesem Unternehmen beteiligen und die Investition mithilfe italienischer Banken finanzieren; die dafür erforderlichen Sicherheiten könne sie nicht aufbringen, wenn die Stellung der Sicherheit zu Gunsten der Klägerin wirksam sei. Mit Urteil vom verneinte das Landgericht Mailand die Zuständigkeit der italienischen Gerichte. Die gegen die SRL erhobene Klage diene offensichtlich nur dazu, in missbräuchlicher Weise die italienische Gerichtsbarkeit zu beanspruchen. Eine Entscheidung über die gegen das Urteil eingelegte Berufung steht noch aus.

3In dem vorliegenden Rechtstreit möchte die Beklagte zunächst eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1; im Folgenden: EuGVVO) wegen anderweitiger Rechtshängigkeit erreichen. Ihr dahingehender Antrag ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie den Aussetzungsantrag weiter.

4Mit Beschluss vom (veröffentlicht u.a. in WM 2013, 2160 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12/1) dahin auszulegen ist, dass das später angerufene Gericht, das nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO besteht, abschließend geklärt ist. Nachdem der Gerichtshof diese Frage in einem anderen Verfahren verneint hat (Urteil vom - C-438/12 - Weber, veröffentlicht u.a. in NJW 2014, 1871 ff.), hat der Senat sein Vorabentscheidungsersuchen nicht aufrechterhalten.

II.

5Das Beschwerdegericht verneint die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits mit der Begründung, der Beklagten gehe es mit der in Italien erhobenen Klage ausschließlich darum, rechtsmissbräuchlich einen Gerichtsstand zu erschleichen, um auf diese Weise die Aussetzung des in Deutschland geführten Rechtsstreits nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sei bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass sich der vorliegende Rechtstreit weder auf denselben Anspruch noch auf dieselben Parteien wie das in Italien angestrengte Verfahren beziehe.

III.

6Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

71. Mit der gegebenen Begründung kann die Beschwerdeentscheidung allerdings nicht aufrechterhalten werden.

8a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts betreffen die vorliegende Klage und das in Italien geführte Verfahren denselben Anspruch i.S.v. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO. Der Begriff „desselben Anspruchs“ ist im Rahmen der EuGVVO autonom und weit auszulegen, um einander widersprechende Urteile i.S.v. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob der Kernpunkt beider Streitigkeiten derselbe ist (vgl. nur EuGH, 144/86 - Gubisch, Slg 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 11, 16, 18 f.; Senat, Beschluss vom - V ZB 163/12, WM 2013, 2160 Rn. 7 mwN). So liegt es auch hier. Die Klage in Italien richtet sich unter anderem auf die Feststellung, dass keine Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld bestehe. Mit der vorliegenden Klage soll eben diese Duldung erreicht werden. Dass es im italienischen Verfahren noch um weitere Feststellungen geht, ist für die Identität des Streitgegenstands unerheblich. Kernpunkt ist jeweils die Frage, ob die Klägerin aus der Grundschuld vorgehen darf; jedenfalls ist der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits vollständig vom italienischen Verfahren abgedeckt. Im Übrigen beschränkt sich der Gegenstand der Klage in Italien nicht auf die Einbeziehung der SRL.

9b) Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, die beiden Verfahren seien nicht zwischen identischen Parteien anhängig. Die Identität ist unabhängig von der jeweiligen Parteistellung. Zudem ist es unschädlich, wenn in einem Verfahren zusätzlich Dritte beteiligt sind. Das hat lediglich zur Folge, dass sich die Rechtsfolgen des Art. 27 EuGVVO auf diejenigen Parteien beschränken, zwischen denen mehrere Verfahren anhängig sind (vgl. EuGH, C-406/92 - Tatry, Slg 1994, I-5439 = ZIP 1995, 943 Rn. 31, 33; Senat, Beschluss vom - V ZB 163/12, aaO, Rn. 9).

10c) Schließlich verkennt das Beschwerdegericht, dass von einer Aussetzung nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesehen werden kann (Senat, Beschluss vom - V ZB 163/12, aaO, Rn. 11 mwN; vgl. auch - Weber, Rn. 59 f.).

112. Der Rechtsbeschwerde bleibt im Ergebnis jedoch deshalb der Erfolg versagt, weil dies dann nicht gilt, wenn das später angerufene Gericht nach Art. 22 Nr. 1 EuGVVO ausschließlich zuständig ist ( - Weber, Rn. 54 ff.). Dass es sich hier so verhält, hat der Senat bereits in dem Beschluss vom im Einzelnen ausgeführt (V ZB 163/12, WM 2013, Rn. 12 ff.). Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass auch (Sicherungs-)Grundschulden unter Art. 22 Nr. 1 EuGVVO fallen; § 1192 Abs. 1a BGB ändert daran nichts.

IV.

12Eine Kostenentscheidung scheidet aus. Sie hat zu unterbleiben, wenn die Ausgangsentscheidung - wie hier - keine Kostenentscheidung enthalten darf. Die Kosten des (Rechts-)Beschwerdeverfahren bilden in solchen Fällen einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens von der in der Hauptsache unterliegenden Partei nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen sind (vgl. , NJW-RR 2006, 1289 Rn. 12 mwN).

Stresemann                      Czub                        Roth

                    Brückner                 Weinland

Fundstelle(n):
DB 2014 S. 6 Nr. 38
RIW 2014 S. 690 Nr. 10
WM 2014 S. 1813 Nr. 38
ZIP 2014 S. 1951 Nr. 40
WAAAE-73447