Zurückschiebungshaftsache: Frist für einen Feststellungsantrag bei Erledigung der Hauptsache im Beschwerdeverfahren
Gesetze: § 63 Abs 1 FamFG, § 63 Abs 3 FamFG, § 72 Abs 4 S 1 AufenthG
Instanzenzug: LG Traunstein Az: 4 T 4545/12vorgehend AG Rosenheim Az: XIV 94/12
Gründe
I.
1Der Betroffene, ein Staatsangehöriger aus Guinea-Bissau, reiste am mit dem Zug aus Österreich kommend nach Deutschland ein, ohne im Besitz der für eine Einreise erforderlichen Papiere zu sein. Er wurde im Zug durch Beamte der beteiligten Behörde festgenommen und als Beschuldigter vernommen. Eine EURODAC-Recherche ergab, dass der Betroffene in Italien im November 2011 einen Asylantrag gestellt hatte. Die beteiligte Behörde beantragte bei dem Amtsgericht, gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung seiner Zurückschiebung nach Italien anzuordnen.
2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen für die Zeit vom bis angeordnet. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene am Beschwerde eingelegt. Er ist am auf dem Luftweg nach Italien zurückgeschoben worden. Der Amtsrichter hat nach Eingang der Mitteilung von der Entlassung des Betroffenen das Weglegen der Akte verfügt. Auf eine Sachstandsanfrage des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom hat das Amtsgericht mitgeteilt, dass es die Beschwerde als erledigt betrachtet habe. Am hat der Betroffene gemäß § 62 FamFG beantragt, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen. Das Landgericht hat der Beschwerde stattgegeben und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die beteiligte Behörde möchte mit der Rechtsbeschwerde erreichen, dass der Feststellungsantrag als unzulässig verworfen wird. Der Betroffene beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II.
3Das Beschwerdegericht meint, die Beschwerde des Betroffenen sei zulässig, weil die Beschwerdeschrift gegen die Haftanordnung rechtzeitig bei dem Amtsgericht eingegangen sei. Nachdem die Hauptsache mit seiner Zurückschiebung erledigt gewesen sei, habe der Betroffene den Feststellungsantrag stellen können. Die Fristen für die Einlegung der Beschwerde nach § 63 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 2 FamFG seien für die Umstellung der Beschwerde auf den Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG nicht maßgeblich. Der Antrag sei auch in der Sache begründet, da das nach § 72 Abs. 4 AufenthG erforderliche Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung des Betroffenen nicht vorgelegen habe.
III.
4Die auf Grund der für den Senat bindenden Zulassung (§ 70 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FamFG) statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
51. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist dahin auszulegen, dass sie von der Behörde, die gemäß § 429 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt ist, und nicht von der in diesem Verfahren nicht beteiligten und auch nicht nach § 59 FamFG beschwerdeberechtigten Gebietskörperschaft (hier der Bundesrepublik Deutschland) eingelegt worden ist. In der Sache rügt die beteiligte Behörde ohne Erfolg, dass eine Sachentscheidung über den Antrag des Betroffenen nach § 62 FamFG, die Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung vom festzustellen, nicht hätte ergehen dürfen, weil dieser Antrag nicht innerhalb der in § 63 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 2 FamFG bestimmten Fristen nach dem Eintritt des erledigenden Ereignisses gestellt worden sei. Das ist unzutreffend. Das Beschwerdegericht hat zu Recht den Feststellungsantrag als zulässig behandelt und über seine Begründetheit entschieden.
6a) Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde gegen die Haftanordnung ist weder nach § 63 Abs. 1 noch nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG verfristet gewesen.
7aa) Die Monatsfrist für die Beschwerde (§ 63 Abs. 1 FamFG) ist gewahrt worden; die Rechtsmittelschrift gegen die Haftanordnung vom ist am bei dem Amtsgericht eingegangen. Der Schriftsatz hat zudem den förmlichen Anforderungen an die Beschwerdeschrift gemäß § 64 Abs. 2 Sätze 3 und 4 FamFG entsprochen: die angefochtene Entscheidung ist darin bezeichnet, es wird erklärt, dass gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt wird, und der Schriftsatz ist von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen unterschrieben.
8Weitere Voraussetzungen für eine zulässige Beschwerde sieht das Gesetz nicht vor. Der Beschwerdeführer muss weder einen förmlichen Antrag stellen (Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 64 Rn. 34; Schulte-Bunert/Weinrich/ Unger, FamFG, 4. Aufl., § 64 Rn. 16) noch sein Rechtsmittel begründen. § 65 Abs. 1 FamFG enthält insoweit nur eine Sollvorschrift.
9bb) Die Fünf-Monats-Frist (die sog. absolute Beschwerdefrist) nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist für eine bereits innerhalb der Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG eingelegte Beschwerde nicht einschlägig.
10b) Der nach einer Erledigung der Hauptsache gemäß § 62 Abs. 1 FamFG für die richterliche Feststellung einer Rechtsverletzung des Betroffenen erforderliche Antrag (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 62 Rn. 10; Musielak/Borth/Grandel, FamFG, 4. Aufl., § 62 Rn. 6) ist nicht verspätet gestellt worden. Die Fristen in § 63 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 2 FamFG gelten für die Einlegung des Rechtsmittels, jedoch nicht für die Stellung des Feststellungsantrags.
11aa) Die Beschwerdefrist muss allerdings gewahrt sein, wenn - wie von dem Beschwerdegericht richtig bemerkt - das Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung der Rechtsverletzung eingelegt wird (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rn. 5). Eine Beschwerde, die wegen zwischenzeitlich eingetretener Erledigung der Hauptsache allein noch dieses Ziel verfolgt, muss innerhalb der in § 63 FamFG bestimmten Rechtsmittelfristen eingelegt werden, weil die andernfalls eingetretene formelle Rechtskraft des die Haft anordnenden Beschlusses auch der Feststellung seiner Rechtswidrigkeit entgegenstünde (Senat, Beschluss vom - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 14). Die Haftanordnung ist jedoch nicht formell rechtskräftig geworden, wenn sie - wie hier - durch eine innerhalb der Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG eingelegte Beschwerde angegriffen worden ist.
12bb) Erledigt sich die Hauptsache während des Beschwerdeverfahrens, muss hingegen keine (weitere) Frist für die Stellung des Feststellungsantrags gewahrt werden. Für die Änderung des Rechtsschutzziels der Beschwerde gibt es keine gesetzlich bestimmte Frist. Der Betroffene kann deshalb, solange noch keine Entscheidung über das Rechtsmittel ergangen ist und sich dieses auch nicht anderweitig durch Rücknahme nach § 67 Abs. 4 FamFG oder durch gemeinschaftliche Erklärung beider Beteiligter nach § 22 Abs. 3 FamFG, das Verfahren beenden zu wollen, erledigt hat, das mit der Beschwerde verfolgte Rechtsschutzziel an die durch die Beendigung der Haft eingetretene Änderung der Sachlage anpassen, indem er einen Feststellungsantrag nach § 62 FamFG stellt.
132. Die dem Feststellungsantrag entsprechende Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich auch in der Sache als richtig dar. Die auf § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung entspricht der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 13). Die Rechtsbeschwerde greift dies auch nicht an.
IV.
14Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Czub Kazele
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Fundstelle(n):
JAAAE-73392