EuGH Urteil v. - C-437/00

Gerichtsstand des Erfüllungsorts der arbeitsvertraglichen Verpflichtung bei zwei verschiedenen Arbeitsverträgen - Aussetzung des ersten Vertrages während der Erfüllung des zweiten Vertrages

Leitsatz

1. Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, des Übereinkommens vom über den Beitritt der Republik Griechenland und des Übereinkommens vom über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik ist dahin auszulegen, dass in einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einem ersten Arbeitgeber der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber einem zweiten Arbeitgeber erfüllt, als der Ort angesehen werden kann, an dem er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wenn der erste Arbeitgeber, gegenüber dem die Verpflichtungen des Arbeitnehmers ausgesetzt sind, zum Zeitpunkt des Abschlusses des zweiten Vertrages selbst ein Interesse an der Erfüllung der vom Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber an einem von diesem bestimmten Ort zu erbringenden Leistung hatte. Das Vorliegen eines solchen Interesses ist umfassend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

2. Artikel 5 Nummer 1 des genannten Übereinkommens ist dahin auszulegen, dass bei Arbeitsverträgen der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichtet, der einzige Erfüllungsort einer Verpflichtung ist, der bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts berücksichtigt werden kann.

Instanzenzug:

Gründe:

[01] Das Landesarbeitsgericht München hat mit Beschluss vom - 10 Sa 485/99 - EuLF 2001, 295 -, beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß dem Protokoll vom betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 5 Nummer 1 dieses Übereinkommens (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und des Übereinkommens vom über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

[02] Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Giulia Pugliese (im Folgenden: Klägerin), einer italienischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Rom (Italien), und der Gesellschaft italienischen Rechts Finmeccanica SpA, Betriebsteil Alenia Aerospazio (im Folgenden: Finmeccanica), mit Sitz in Rom über die Erstattung bestimmter Kosten und die Verhängung bestimmter Disziplinarmaßnahmen im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags.

Rechtlicher Rahmen

[03] Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens lautet:

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat, so kann der Arbeitgeber auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, in dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet bzw. befand;

...

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

[04] Am schloss die Klägerin mit der Gesellschaft italienischen Rechts Aeritalia Aerospaziale Italiana SpA (im Folgenden: Aeritalia) einen Arbeitsvertrag, nach dem sie ab als Angestellte in deren Niederlassung in Turin (Italien) eingestellt wurde.

[05] Am beantragte die Klägerin bei Aeritalia wegen ihrer Versetzung zur Eurofighter Jagdflugzeug GmbH (im Folgenden: Eurofighter), einer Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in München (Deutschland), an der Aeritalia zu 21 % beteiligt war, die Aufnahme in eine Wartestandsregelung (regime di aspettativa).

[06] Mit Schreiben vom kam Aeritalia diesem Antrag zum nach. Sie verpflichtete sich u. a., die Beitragsleistungen der Klägerin zur freiwilligen Versicherung in Italien zu erfüllen und ihr bei ihrer Rückkehr in das Unternehmen ein Dienstalter zuzuerkennen, das ihrer Tätigkeitsdauer bei Eurofighter entspricht. Aeritalia verpflichtete sich ferner, der Klägerin bestimmte Reisekosten zu erstatten und ihr einen Mietkostenzuschuss oder ihre Mietkosten während ihrer Tätigkeit für Eurofighter zu zahlen.

[07] Am 12. und schlossen die Klägerin und Eurofighter einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab eingestellt wurde. Seither war sie in München tätig.

[08] 1990 wurde Aeritalia von Finmeccanica übernommen. 1995 teilte Finmeccanica der Klägerin mit, dass ihr Wartestand (posizione di aspettativa) am enden werde. Auf mehrfache Bitten der Klägerin erklärte sich Finmeccanica bereit, ihre Abordnung zu Eurofighter bis zum zu verlängern. Sie war dagegen ab nicht mehr bereit, die Reise- und Mietkosten zu übernehmen.

[09] Da die Klägerin der Aufforderung von Finmeccanica, sich am in ihrer Niederlassung in Turin einzufinden, nicht nachkam, wurden gegen sie Disziplinarmaßnahmen verhängt.

[10] Am verklagte die Klägerin Finmeccanica beim Arbeitsgericht München auf Erstattung ihrer Mietkosten ab und ihrer Reisekosten ab dem zweiten Halbjahr 1996. Später erweiterte sie ihre Klage und ging auch gegen die gegen sie verhängten Disziplinarmaßnahmen vor.

[11] Mit Urteil vom wies das Arbeitsgericht München die Klage wegen Unzuständigkeit ab.

[12] Die Klägerin legte Berufung beim Landesarbeitsgericht München ein, das, da es der Ansicht ist, dass der Rechtsstreit ein Problem bei der Auslegung des Übereinkommens aufwirft, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1. Ist in einem Rechtsstreit zwischen einer italienischen Staatsangehörigen und einer Firma italienischen Rechts mit Sitz in Italien aus einem zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsvertrag, der als Arbeitsort Turin bestimmt, gemäß Artikel 5 Nummer 1 zweiter Halbsatz des Brüsseler Übereinkommens der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, München, wenn der Arbeitsvertrag auf Antrag der Arbeitnehmerin von Beginn an für eine vorübergehende Zeit in eine Wartestandsregelung gesetzt wird und die Arbeitnehmerin in dieser Zeit mit Zustimmung des italienischen Arbeitgebers, aber aufgrund eines eigenständigen Arbeitsvertrags eine Beschäftigung für eine Firma deutschen Rechts an deren Sitz in München erbringt, für deren Dauer der italienische Arbeitgeber die Verpflichtung übernimmt, eine Wohnung in München bereitzustellen oder die Kosten für eine derartige Wohnung zu übernehmen sowie die Kosten für eine zweimalige Heimreise pro Jahr von München in das Heimatland zu übernehmen?

2. Kann sich in dem Fall, dass die Frage zu 1 verneint wird, die Arbeitnehmerin in einem Rechtsstreit mit ihrem italienischen Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag auf Bezahlung der Mietkosten und der Reisekosten für die zweimalige Heimreise im Jahr auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß Artikel 5 Nummer 1 erster Halbsatz des Brüsseler Übereinkommens berufen?

Zur ersten Frage

[13] Zunächst ist festzustellen, dass der Sachverhalt, über den das vorlegende Gericht zu befinden hat, den Fall eines Arbeitnehmers betrifft, der nacheinander zwei Arbeitsverträge mit zwei verschiedenen Arbeitgebern geschlossen hat, wobei der erste Arbeitgeber über den Abschluss des zweiten Vertrages vollständig informiert ist und der Aussetzung des ersten Vertrages zugestimmt hat. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob es als deutsches Gericht für die Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen dem Arbeitnehmer und dem ersten Arbeitgeber zuständig ist, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit beim zweiten Arbeitgeber in Deutschland ausübte, obwohl der mit dem ersten Arbeitgeber geschlossene Vertrag Italien als Arbeitsort bestimmte.

[14] In diesem Zusammenhang fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob Artikel 5 Nummer 1 zweiter Halbsatz des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass in einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einem ersten Arbeitgeber, gegenüber dem die Verpflichtungen des Arbeitnehmers ausgesetzt sind, der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber einem zweiten Arbeitgeber erfüllt, als der Ort angesehen werden kann, an dem er im Rahmen seines Vertrages mit dem ersten Arbeitgeber gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

[15] Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Auslegung von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens bei Rechtsstreitigkeiten über einen individuellen Arbeitsvertrag hinzuweisen.

[16] Erstens ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass bei derartigen Verträgen der Erfüllungsort für die Verpflichtung, die den Gegenstand des Verfahrens bildet, im Sinne der genannten Bestimmung des Übereinkommens nach einheitlichen Kriterien zu ermitteln ist, die der Gerichtshof auf der Grundlage der Systematik und der Zielsetzungen des Übereinkommens festzulegen hat (vgl. insbesondere Urteile vom in der Rechtssache C-125/92, Mulox IBC, Slg. 1993, I-4075, Randnrn. 10, 11 und 16, vom in der Rechtssache C-383/95, Rutten, Slg. 1997, I-57, Randnrn. 12 und 13, und vom in der Rechtssache C-37/00, Weber, Slg. 2002, I-2013, Randnr. 38). Der Gerichtshof hat betont, dass nur eine solche autonome Auslegung die einheitliche Anwendung des Übereinkommens sicherstellen kann, zu dessen Zielen es gehört, die Zuständigkeitsregeln für die Gerichte der Vertragsstaaten zu vereinheitlichen, wobei soweit wie möglich eine Häufung der Gerichtsstände in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis verhindert werden soll, und den Rechtsschutz für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Personen dadurch zu verstärken, dass dem Kläger die Feststellung erleichtert wird, welches Gericht er anrufen kann, und dem Beklagten ermöglicht wird, bei vernünftiger Betrachtung vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. Urteile Mulox IBC, Randnr. 11, und Rutten, Randnr. 13).

[17] Zweitens ist der Gerichtshof der Auffassung, dass sich die besondere Zuständigkeitsregel des Artikels 5 Nummer 1 des Übereinkommens durch das Bestehen einer besonders engen Verknüpfung zwischen dem Rechtsstreit und dem zu seiner Entscheidung berufenen Gericht im Hinblick auf die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und die sachgerechte Gestaltung des Verfahrens rechtfertigt und dass das Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer die vereinbarte Tätigkeit auszuüben hat, am besten zur Entscheidung eines Rechtsstreits in der Lage ist, der sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben kann (vgl. insbesondere Urteile Mulox IBC, Randnr. 17, Rutten, Randnr. 16, und Weber, Randnr. 39).

[18] Drittens stellt der Gerichtshof fest, dass die Auslegung von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens bei Arbeitsverträgen die Zielsetzung zu berücksichtigen hat, dem Arbeitnehmer als der sozial schwächeren Partei einen angemessenen Schutz zu gewährleisten, und dass ein solcher Schutz besser gewährleistet ist, wenn für Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Arbeitsvertrag das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber erfüllt, da sich der Arbeitnehmer an diesem Ort mit dem geringsten Kostenaufwand an die Gerichte wenden oder sich vor ihnen als Beklagter zur Wehr setzen kann (Urteile Mulox IBC, Randnrn. 18 und 19, Rutten, Randnr. 17, und Weber, Randnr. 40).

[19] Daraus schließt der Gerichtshof, dass Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens so auszulegen ist, dass bei Arbeitsverträgen unter dem Erfüllungsort der maßgeblichen Verpflichtung im Sinne dieser Bestimmung der Ort zu verstehen ist, an dem der Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten tatsächlich ausübt (Urteile Mulox IBC, Randnr. 20, Rutten, Randnr. 15, und Weber, Randnr. 41). Er führt weiter aus, dass, wenn der Arbeitnehmer die Verpflichtungen aus seinem Arbeitsvertrag in mehreren Vertragsstaaten erfüllt, der Ort, an dem er im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, der Ort ist, an dem oder von dem aus er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt (Urteile Mulox IBC, Randnr. 26, Rutten, Randnr. 23, und Weber, Randnr. 58).

[20] Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich von denen, die zu den Urteilen Mulox IBC, Rutten und Weber geführt haben, dadurch, dass die Klägerin ihre Tätigkeit während des Zeitraums, um den es im Ausgangsverfahren geht, an einem einzigen Ort ausübte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um den Ort, der in dem Arbeitsvertrag mit dem im Ausgangsverfahren beklagten Arbeitgeber festgelegt worden war, sondern um einen anderen Ort, der in einem anderen, mit einem anderen Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag festgelegt wurde.

[21] Wie in allen beim Gerichtshof abgegebenen Erklärungen übereinstimmend anerkannt wird, hängt die Frage, ob der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber einem Arbeitgeber erfüllt, im Rahmen der Anwendung von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens in einem Rechtsstreit, der einen anderen Arbeitsvertrag betrifft, als der Ort angesehen werden kann, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, davon ab, inwieweit diese beiden Verträge miteinander verbunden sind.

[22] Die Voraussetzungen, die diese Verbindung erfüllen muss, sind anhand der Ziele von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens zu ermitteln, wie sie durch die in den Randnummern 16 bis 19 des vorliegenden Urteils zitierte Rechtsprechung definiert wurden. Auch wenn diese Rechtsprechung nicht in vollem Umfang auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden kann, bleibt sie doch insofern von Bedeutung, als sie deutlich macht, dass Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass eine Häufung von Gerichtsständen vermieden wird, um es dem Beklagten zu ermöglichen, bei vernünftiger Betrachtung vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann, und dass dem Arbeitnehmer als der sozial schwächeren Partei ein angemessener Schutz gewährleistet wird.

[23] Ist ein Arbeitnehmer an zwei verschiedene Arbeitgeber gebunden, so folgt aus den ersten beiden Zielen, dass der erste Arbeitgeber nur dann vor dem Gericht des Ortes verklagt werden kann, an dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit für den zweiten Arbeitgeber ausübt, wenn der erste Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses des zweiten Vertrages selbst ein Interesse an der Erfüllung der Leistung hatte, die der Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber an einem von diesem bestimmten Ort erbringt.

[24] Aus dem dritten Ziel folgt, dass das Vorliegen dieses Interesses nicht streng anhand von formalen und ausschließlichen Kriterien geprüft werden darf, sondern umfassend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Zu den relevanten Faktoren können insbesondere gehören

- die Tatsache, dass beim Abschluss des ersten Vertrages der Abschluss des zweiten Vertrages beabsichtigt war;

- die Tatsache, dass der erste Vertrag im Hinblick auf den Abschluss des zweiten Vertrages geändert wurde;

- die Tatsache, dass eine organisatorische oder wirtschaftliche Verbindung zwischen den beiden Arbeitgebern besteht;

- die Tatsache, dass es eine Vereinbarung zwischen den beiden Arbeitgebern gibt, die einen Rahmen für das Nebeneinanderbestehen der beiden Verträge vorsieht;

- die Tatsache, dass der erste Arbeitgeber weisungsbefugt gegenüber dem Arbeitnehmer bleibt;

- die Tatsache, dass der erste Arbeitgeber über die Dauer der Tätigkeit des Arbeitnehmers beim zweiten Arbeitgeber bestimmen kann.

[25] Dem vorlegenden Gericht obliegt es, anhand dieser oder anderer relevanter Faktoren zu beurteilen, ob die Umstände des Ausgangsverfahrens die Feststellung erlauben, dass der erste Arbeitgeber ein Interesse an der Erfüllung der Leistung hatte, die von der Klägerin im Rahmen des mit dem zweiten Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrags in Deutschland erbracht wurde.

[26] Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass in einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einem ersten Arbeitgeber der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber einem zweiten Arbeitgeber erfüllt, als der Ort angesehen werden kann, an dem er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wenn der erste Arbeitgeber, gegenüber dem die Verpflichtungen des Arbeitnehmers ausgesetzt sind, zum Zeitpunkt des Abschlusses des zweiten Vertrages selbst ein Interesse an der Erfüllung der vom Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber an einem von diesem bestimmten Ort zu erbringenden Leistung hatte. Das Vorliegen eines solchen Interesses ist umfassend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Zur zweiten Frage

[27] Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es, falls es nicht als Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, zuständig sein sollte, seine Zuständigkeit aus einem anderen Gesichtspunkt herleiten könnte. Im Wesentlichen fragt es, ob Artikel 5 Nummer 1 erster Halbsatz des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass bei individuellen Arbeitsverträgen der Erfüllungsort einer anderen Verpflichtung als der des Arbeitnehmers, seine Arbeit zu verrichten - etwa der Pflicht des Arbeitgebers, Mietkosten in einem anderen Land und Kosten für die Reise ins Herkunftsland zu zahlen -, seine Zuständigkeit begründen kann.

[28] Auf diese Frage ist nur für den Fall zu antworten, dass das vorlegende Gericht nach einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Ausgangsverfahrens nicht das Vorliegen eines Interesses des ersten Arbeitgebers an der Erfüllung der von der Klägerin im Rahmen des zweiten, mit Eurofighter geschlossenen Arbeitsvertrags erbrachten Leistung in Deutschland feststellen könnte.

[29] Aus der in Randnummer 19 des vorliegenden Urteils zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofes geht klar hervor, dass in einem Rechtsstreit, der seine Grundlage in einem Arbeitsvertrag hat, die Verpflichtung des Arbeitnehmers, die mit seinem Arbeitgeber vereinbarten Tätigkeiten auszuüben, die einzige Verpflichtung ist, die bei der Anwendung von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens zu berücksichtigen ist.

[30] Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass bei Arbeitsverträgen der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichtet, der einzige Erfüllungsort einer Verpflichtung ist, der bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts berücksichtigt werden kann.

Kosten

[31] Die Auslagen der deutschen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Fundstelle(n):
RAAAE-72160