Revision in Strafsachen: Revisionsgrund der unzulänglichen Mitteilung von Verständigungsgesprächen
Gesetze: § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c StPO, § 338 Nr 6 StPO
Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 2b KLs 37/13vorgehend Az: 5 StR 239/13 Beschlussvorgehend LG Braunschweig Az: XXnachgehend Az: 2 BvR 2055/14 Stattgebender Kammerbeschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die auf eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu einer Schuldspruchänderung und zum Wegfall von elf Einzelstrafen; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrüge, der Vorsitzende habe seiner Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht im gebotenen Maße entsprochen, hat keinen Erfolg.
3a) Dem liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4Am ersten Hauptverhandlungstag führte die Strafkammer während einer Verhandlungsunterbrechung mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den beiden Verteidigern des Angeklagten ein Gespräch, "um die Möglichkeit einer Verfahrensverständigung zu erörtern"; hierbei nannten die Verteidiger und die Staatsanwaltschaft für den Fall eines glaubhaften Geständnisses jeweils konkretisierte Straferwartungen. Entsprechend den dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die insoweit unwidersprochen geblieben sind, wurde anschließend von den Gesprächsteilnehmern vereinbart, dass die Verteidiger mit dem Angeklagten zunächst klären sollten, ob dieser sich überhaupt eine Verständigung vorstellen könne. Noch vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung teilten die Verteidiger nach einer längeren Rücksprache mit dem Angeklagten mit, dass dieser grundsätzlich nicht bereit sei, ein Geständnis abzulegen, und eine Verständigung generell ablehne. Nach dem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der Vorsitzende bekannt, dass sich in dem geführten Gespräch zwar nicht das Gericht, wohl aber Staatsanwaltschaft und Verteidiger für den Fall einer Verurteilung bei einem glaubhaften Geständnis "zu möglichen" Strafvorstellungen geäußert hätten, ohne diese genau zu benennen. Der Angeklagte machte weiterhin von seinem Schweigerecht Gebrauch. Eine Verständigung nach § 257c StPO kam nicht zustande.
5b) Die Mitteilung des Vorsitzenden entsprach zwar nicht den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Danach hat der Vorsitzende über den wesentlichen Inhalt erfolgter Erörterungen zu informieren. Insofern kann offen bleiben, ob hierzu auch gehört, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen und welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden (vgl. , NStZ 2013, 722). Denn auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist, sind jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten mitzuteilen (vgl. ). Nichts anderes gilt aber, wenn wie in dem hier geführten Verständigungsgespräch die Verfahrensbeteiligten ohne zugrundeliegenden gerichtlichen Vorschlag von sich aus konkrete Strafvorstellungen äußern, um gegebenenfalls eine Verständigung herbeizuführen. Auch diese sind in der Hauptverhandlung bekannt zu geben.
6c) Der Senat kann aber ausnahmsweise sicher ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht (vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f.; , NStZ 2014, 221, 222 f.; siehe auch ).
7Der Angeklagte wurde durch die unzureichende Unterrichtung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht in seinem Aussageverhalten beeinflusst; insbesondere wurde er nicht davon abgehalten, sich zur Sache einzulassen. Denn er hat nicht nur konstant von seinem Schweigerecht Gebrauch, sondern auf ausdrückliches Befragen noch vor der Mitteilung des Vorsitzenden deutlich gemacht, dass bei ihm prinzipiell keine Verständigungsbereitschaft bestehe. Auf die Unterrichtung durch den Vorsitzenden kam es deshalb erkennbar nicht an (vgl. aaO).
83. Die Sachrüge führt zu einer Änderung des Schuldspruchs.
9a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte von November 2011 bis Anfang Mai 2012 dem Zeugen L. in zwölf Fällen jeweils 15 bis 25 g Heroin (Fälle 2 bis 13), davon in zwei Fällen (Fälle 12 und 13) ab April 2012 zusätzlich auch einmal fünf und einmal zehn Gramm Kokain. Wie vereinbart erhielt der Zeuge L. das Heroin auf Kommissionsbasis zum Weiterverkauf, das heißt er bezahlte den Kaufpreis erst bei dem darauf folgenden Treffen, bei dem er neues Heroin bekam, aus den beim Weiterverkauf erzielten Beträgen (vgl. UA S. 6); lediglich den Kaufpreis für das Kokain bezahlte er direkt bei der Übergabe. Zudem bewahrte er in der Anfangsphase für den Angeklagten 140 g Heroin auf, das dieser gewinnbringend veräußern wollte (Fall 1). Am wurde der Angeklagte auf der Rückfahrt von einer Beschaffungsfahrt aus Hamburg, bei der er von einer unbekannten Person etwa 98 g Heroinbasegemisch und insgesamt etwa 110 g Kokainhydrochloridge-misch unterschiedlichen Wirkstoffgehalts erworben hatte, von der Polizei festgenommen; die Betäubungsmittel wurden sichergestellt (Fall 14).
10b) Die Annahme von 14 realkonkurrierenden Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; vielmehr ist für die Betäubungsmittelverkäufe an den Zeugen L. in den Fällen 2 bis 13 Tateinheit anzunehmen. Indem der Zeuge L. das ihm vom Angeklagten jeweils auf Kommissionsbasis überlassene Heroin erst bei Übernahme der nächsten Lieferung bezahlte, überschnitten sich die unmittelbar aufeinanderfolgenden Umsätze der Fälle 2 bis 13 in der Entgegennahme des Kaufpreises und der Übergabe der zuvor per Telefon oder SMS bestellten (vgl. UA S. 6) neuen Mengen, so dass die Rauschgiftgeschäfte in einem Handlungsteil des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zusammentrafen (vgl. , NStZ 2011, 97; Urteil vom - 4 StR 418/12, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 14). Der teilweise gleichzeitig erfolgte Verkauf von Kokain steht der Annahme von Tateinheit nicht entgegen. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab; § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
11c) Die abweichende Bewertung der Konkurrenzen der Fälle 2 bis 13 verringert deren Gesamtunrechtsgehalt nicht. Der Senat setzt für die nunmehr eine Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren fest, wie sie das Landgericht jeweils allein für die Fälle 2 und 8 bestimmt hatte. Angesichts der im Übrigen bestehen bleibenden Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall 1) sowie von drei Jahren (Fall 14) kann der Senat zudem ausschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
Basdorf Sander Schneider
Dölp König
Fundstelle(n):
YAAAE-71420