BGH Beschluss v. - VIII ZB 23/14

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Überflüssigkeit des Nachholens der versäumten Prozesshandlung

Gesetze: § 233 ZPO, § 236 Abs 2 S 2 Halbs 1 ZPO, § 517 ZPO, § 519 ZPO

Instanzenzug: LG Dresden Az: 4 S 328/13vorgehend AG Dresden Az: 144 C 7803/12

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom , zugestellt am , zur Räumung der von ihr gemieteten Wohnung und zu Betriebskostennachzahlungen verurteilt. Am (Montag) ging ein von der Beklagten persönlich unterzeichnetes Prozesskostenhilfegesuch bei dem Berufungsgericht ein.

2Mit einem als "Berufungsbegründung" bezeichneten Schriftsatz vom stellte ein neuer Prozessbevollmächtigter der Beklagten Berufungsanträge und begründete das Rechtsmittel. Durch Beschluss vom , zugestellt am , bewilligte das Berufungsgericht der Beklagten Prozesskostenhilfe.

3Nach Hinweisen des Berufungsgerichts vom 12. und , dass kein Wiedereinsetzungsgesuch eingegangen und die Berufungseinlegung nicht nachgeholt worden sei, legte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom Berufung ein und begehrte Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist.

4Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die Beklagte bis zum kein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht und die Einlegung der Berufung nicht nachgeholt habe.

5Der Beschluss des Berufungsgerichts vom wurde der Beklagten am zugestellt. Mit Schreiben vom , eingegangen am , hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde beantragt. Der Senat hat der Beklagten mit Beschluss vom , der ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden ist, Prozesskostenhilfe bewilligt. Am hat die Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt. Mit Schriftsatz vom hat die Beklagte die Rechtsbeschwerde begründet.

II.

6Der Beklagten, die innerhalb der laufenden Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde einen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag unter Beifügung vollständiger Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen (§ 233 ZPO). Denn sie war im Hinblick auf ihre Bedürftigkeit ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gehindert und hat die versäumten Rechtshandlungen nach Wegfall des Hindernisses innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) nachgeholt.

III.

7Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

81. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen vor, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr., z.B. Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 10; vom - VIII ZB 38/12, FamRZ 2013, 696 Rn. 8; vom - VIII ZB 40/13, juris Rn. 4; jeweils mwN).

92. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

10Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom , zugestellt am , bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist am (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) weder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist des § 517 ZPO beantragt noch die versäumte Prozesshandlung nachgeholt habe.

11a) Eine Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO war vorliegend entbehrlich, weil diese, wenn auch verspätet, bereits vor dem Beginn der Wiedereinsetzungsfrist am vorgenommen worden war (vgl. hierzu , NJW-RR 2013, 692 Rn. 16; vom - VII ZB 20/77, VersR 1978, 449). Bereits mit dem als "Berufungsbegründung" bezeichneten Schriftsatz vom hat die Beklagte das Rechtsmittel nicht nur begründet, sondern zugleich - unbedingt - Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts einlegt (§ 519 Abs. 1, § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Der Schriftsatz vom enthält nicht nur die Bezeichnung des Urteils, gegen das sich die Beklagte wendet (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Er macht auch zweifelsfrei deutlich, dass gegen das Urteil Berufung eingelegt werden soll (§ 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entscheidend ist, dass der Erklärung die Absicht, das erstinstanzliche Urteil einer Nachprüfung durch die höhere Instanz zu unterstellen, eindeutig zu entnehmen ist (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 151/07, FamRZ 2008, 1926 Rn. 9; vom - I ZB 15/05, MDR 2006, 110; vom - XII ZB 157/97, NJW-RR 1998, 507; vom - VI ZB 12/86, NJW 1987, 1204 unter II). Diesen Anforderungen wird der Schriftsatz vom gerecht. Die Bezeichnung als "Berufungsbegründung" steht der Beurteilung nicht entgegen, dass es sich zugleich um eine Berufungsschrift handelt, da eine wirksame Berufungsschrift nicht davon abhängt, dass sie ausdrücklich als "Berufung" bezeichnet ist (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 151/07, aaO Rn. 11; vom - VI ZB 12/86, aaO).

12b) Es gereicht der Beklagten nicht zum Nachteil, dass sie nicht rechtzeitig Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung beantragt hat. Aufgrund der vorgenannten Umstände kann gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Eine von Amts wegen statthafte Wiedereinsetzung kann auch das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen des bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens aussprechen, wenn die Wiedereinsetzung, wie hier, nach dem Aktenstand ohne Weiteres zu gewähren ist (vgl. , aaO Rn. 21; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 6/92, VersR 1993, 713; vom - VI ZB 8/85, NJW 1987, 2650 unter II 2; Urteil vom - IVb ZB 625/80, NJW 1982, 1873 unter II 1). Davon hat der Senat Gebrauch gemacht.

Dr. Milger                          Dr. Hessel                          Dr. Schneider

                    Dr. Fetzer                          Dr. Bünger

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Fundstelle(n):
LAAAE-70221