BGH Urteil v. - III ZR 168/12

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag: Erkennbarkeit des Verfahrensfortsetzungswillens nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Leitsatz

Zur Erkennbarkeit des Willens des Berufungsklägers zur Fortsetzung des Verfahrens als Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO.

Gesetze: § 236 Abs 2 S 2 Halbs 2 ZPO, § 244 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 12 U 113/11vorgehend Az: 9 O 244/10

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Rückzahlung von Treuhandgeld in Anspruch, das dieser im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erhalten hatte.

2Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 9.848,23 € verurteilt. Gegen das ihm am zugestellte Urteil hat der Beklagte, der sich vor dem Landgericht selbst vertreten hat, am Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat den Beklagten mit Beschluss vom wegen eines gegen ihn am verhängten Vertretungsverbotes nach § 156 Abs. 2 BRAO als Prozessbevollmächtigten zurückgewiesen. Zugleich hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die Zurückweisung gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen sei. Mit Verfügung vom hat es dem Beklagten gemäß § 244 Abs. 2 ZPO aufgegeben, einen neuen Anwalt zu bestellen. Nach Ablauf der - antragsgemäß einmal verlängerten - hierfür gesetzten Frist hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom darauf hingewiesen, dass das Verfahren mit dem Ablauf der Frist gemäß § 244 Abs. 2 Satz 2 ZPO als aufgenommen anzusehen sei. Auf Antrag des neuen Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten vom hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert. An diesem Tag ist die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Mit dem Beklagten am zugegangener Verfügung vom hat das Berufungsgericht den Beklagten darauf hingewiesen, dass noch geprüft werden müsse, ob die Berufung zulässig sei. Da ein amtlich bestellter Vertreter des Beklagten vorhanden gewesen sei, könne es an den Voraussetzungen von § 244 ZPO fehlen. Der Beklagte hat auf diesen Hinweis nicht reagiert. Das Berufungsgericht hat daraufhin nach mündlicher Verhandlung die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten.

Gründe

3Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und - unter Wiedereinsetzung des Beklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. z.B. Senatsurteil vom - III ZR 44/06, NJW-RR 2007, 621 Rn. 6; , BGHZ 37, 79, 81 ff).

I.

5Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die erst am erfolgte Begründung der Berufung sei verfristet, da die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des geendet habe. Der Rechtsstreit sei nicht am durch die Zurückweisung des Beklagten als Prozessbevollmächtigten gemäß § 244 ZPO unterbrochen worden, da für den Beklagten ab ein allgemeiner Vertreter bestellt gewesen sei. Der Antrag des Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei erst am gestellt und bewilligt worden. Nach Ablauf der Begründungsfrist habe diese aber nicht mehr wirksam verlängert werden können.

6Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist lägen nicht vor. Zwar sei die Versäumung der Begründungsfrist angesichts der Hinweise des Berufungsgerichts entschuldbar gewesen. Der Beklagte habe jedoch nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung beantragt. Diese Frist habe mit dem Hinweis des Berufungsgerichts vom zu laufen begonnen, weil der Beklagte ab diesem Zeitpunkt habe erkennen können, dass die Voraussetzungen einer Unterbrechung möglicherweise nicht gegeben gewesen sein könnten und die Berufung daher unzulässig sein könne. Auf den Hinweis vom habe der Beklagte nicht reagiert. Er habe auch nicht konkludent Wiedereinsetzung beantragt.

7Für eine Wiedereinsetzung ohne Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei kein Raum. Voraussetzung hierfür sei, dass das Gericht erkennen könne, dass das Verfahren trotz der Fristversäumnis fortgesetzt werden solle. Daran fehle es, wenn - wie hier - die Partei nach Mitteilung der Tatsachen, aus denen die Fristversäumnis erkenntlich sei, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO untätig bleibe.

II.

8Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO verneint:

91. Der Beklagte hat die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt.

10Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass - abweichend von seinem Hinweis vom - das Berufungsverfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war.

11Ebenfalls zutreffend hat es angenommen, dass - entgegen seinem weiteren Hinweis vom und der von ihm mit Verfügung vom bis zum gewährten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - die am eingegangene Berufungsbegründung nicht mehr fristgerecht erfolgte, da das Verfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war, die Begründungsfrist somit am abgelaufen war und eine wirksame Verlängerung nicht erfolgen konnte, weil der entsprechende Antrag des Beklagten erst nach Fristablauf, nämlich am bei Gericht einging (vgl. BGH, Beschlüsse vom - GSZ 1/81, BGHZ 83, 217, 221 und vom - VI ZB 26/91, BGHZ 116, 377 ff).

122. Dem Beklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

13a) Zutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Versäumung der Begründungsfrist durch den Beklagten entschuldbar im Sinne von § 233 ZPO ist, weil sie durch die fehlerhaften Hinweise des Berufungsgerichts auf die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 244 ZPO verursacht wurde (vgl. zum Gerichtsfehler als Ursache für die Fristversäumung , WM 2003, 2478, 2479; MünchKommZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 233 Rn. 48). Hierauf konnte der Beklagte ohne weitere Nachprüfung vertrauen.

14b) Nicht zu beanstanden ist schließlich die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat.

15c) Dem Beklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

16aa) Eine Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO war vorliegend entbehrlich, weil diese, wenn auch verspätet, bereits vor Beginn der Wiedereinsetzungsfrist vorgenommen worden war (vgl. hierzu , VersR 1978, 449; MünchKommZPO/Gehrlein aaO § 236 Rn. 14; Musielak/Grandel, ZPO, 9. Aufl., § 236 Rn. 6).

17bb) Das Berufungsgericht hat dennoch eine Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgelehnt, weil der Beklagte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO untätig geblieben sei und damit für das Gericht nicht - wie erforderlich - erkennbar geworden sei, ob das Verfahren fortgesetzt werden solle. Diese Bewertung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand:

18(1) Es kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Entscheidung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren ist, im - nur einer beschränkten Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegenden - Ermessen des Gerichts liegt (vgl. AnwZ (B) 26/86, BRAK-Mitt. 1987, 90, 91; BAG, NJW 1989, 2708; s. demgegenüber etwa Musielak/Grandel aaO § 236 Rn. 8; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 236 Rn. 5). Nachprüfbar ist in jedem Fall, ob das Berufungsgericht im Rahmen seines Ermessens alle wesentlichen festgestellten Tatsachen berücksichtigt hat (vgl. , NJW 1992, 1513 für die Ermessensvorschrift des § 3 ZPO; allgemein: MünchKommZPO/Krüger, 4. Aufl., § 546 Rn. 14).

19(2) Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Das vom Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Erfordernis der Erkennbarkeit des Fortsetzungswillens der Partei, die die Frist versäumt hat, entspricht zwar der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ( aaO; BAG aaO S. 2709; MünchKommZPO/Gehrlein, aaO, § 236 Rn. 16; Musielak/Grandel aaO Rn. 8). Der Fortsetzungswille des Beklagten war jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles auch ohne seine erneute Bekräftigung für das Berufungsgericht ohne weiteres erkennbar. Eine Gefahr, dem Säumigen die Wiedereinsetzung aufzudrängen (vgl. BAG aaO), bestand nicht. Vielmehr ließen sämtliche Handlungen des Beklagten, insbesondere die vermeintlich fristgerecht am letzten Tag der verlängerten Begründungsfrist eingereichte Berufungsbegründung, auf den erforderlichen Fortsetzungswillen schließen. Da ein Wiedereinsetzungsgrund offensichtlich gegeben war, konnte die Versäumung der Begründungsfrist allein an dem Fortsetzungswillen keine vernünftigen Zweifel wecken. Angesichts der sehr zurückhaltenden Formulierung des Berufungsgerichts in seinem Hinweis vom war eine Reaktion des Beklagten hierauf nicht geboten. Aus ihrem Fehlen konnte nicht auf seinen mangelnden Fortsetzungswillen geschlossen werden. Eher konnte der Beklagte darauf vertrauen, zunächst eine weitere Mitteilung des Berufungsgerichts über das Ergebnis der angekündigten Prüfung zu erhalten, bevor ernsthaft von einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auszugehen war.

20Es war mithin ermessensfehlerhaft, zur Feststellung des Fortsetzungswillens noch ein erkennbares Zeichen und Tätigwerden des Beklagten zu erwarten. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO lagen vielmehr auch ohne eine solche Bekräftigung seines Fortsetzungswillens vor.

213. Dem Beklagten ist somit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Diese Entscheidung kann das Revisionsgericht selbst treffen (, VersR 1993, 713, 714). Die Wiedereinsetzung hat zur Folge, dass das angefochtene Urteil, durch das die Berufung als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos wird (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 41/84, BGHZ 98, 325, 328 mwN und vom aaO). Zur Klarstellung ist das Berufungsurteil dennoch aufzuheben ( juris Rn. 6, insoweit in VersR 1993, 713 nicht abgedruckt). Zugleich ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Schlick                            Herrmann                             Hucke

                Tombrink                             Remmert

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW-RR 2013 S. 692 Nr. 11
TAAAE-31577