BAG Urteil v. - 3 AZR 941/11

Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 2 Ca 19/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 523/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden betrieblichen Altersrente und dabei über die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum .

2Der im Oktober 1950 geborene Kläger war seit dem Mitarbeiter von Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, zuletzt der E GmbH. Zum ist er aus deren Diensten ausgeschieden. Seit dem bezieht er eine vorgezogene betriebliche Altersrente iHv. 1.420,80 Euro brutto monatlich nach der Pensionsordnung vom . Die E GmbH wurde gemäß Verschmelzungsvertrag vom auf die Beklagte verschmolzen.

3Die Pensionsordnung vom (im Folgenden: PO 88) ist eine Betriebsvereinbarung und lautet auszugsweise:

4§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2003) vom (BGBl. I S. 4561) hatte die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für das Jahr 2003 auf 55.200,00 Euro jährlich und 4.600,00 Euro monatlich festgesetzt. Durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom (BGBl. I S. 4637) wurde § 275c in das SGB VI eingefügt. Diese Vorschrift trat zum in Kraft und legte die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (West) für das Jahr 2003 auf 61.200,00 Euro jährlich und 5.100,00 Euro monatlich fest. Zudem wurden in § 275c Abs. 3 SGB VI die ungerundeten Ausgangswerte für die Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2004 festgelegt. Dies hatte und hat zur Folge, dass sich die einmalige stärkere Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2003 im Ergebnis auch für die folgenden Jahre erhöhend bei der Fortschreibung der Beitragsbemessungsgrenze durch Verordnungen gemäß § 160 SGB VI auswirkte und auswirkt. Die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung wurde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der wiederum nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2010 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2010) vom (BGBl. I S. 3846) für das Jahr 2010 auf 66.000,00 Euro jährlich und 5.500,00 Euro monatlich festgesetzt.

5Infolge der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2003 verringerte sich die „Ausgangsrente“ des Klägers nach Abschnitt 7 PO 88 um monatlich 210,00 Euro. Durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung erhöhte sich der Anspruch des Klägers auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung um 6,22 Euro monatlich.

6Der Kläger hat sich unter Berufung auf die in den Urteilen des Senats vom (- 3 AZR 695/08 - BAGE 130, 214 und - 3 AZR 471/07 -) aufgestellten Grundsätze gegen die von der Beklagten unter Zugrundelegung der für das Jahr 2010 geltenden Beitragsbemessungsgrenze vorgenommene Berechnung seiner vorgezogenen Altersrente gewandt und die Auffassung vertreten, die vorgezogene Altersrente sei ohne Berücksichtigung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 zu berechnen. Die PO 88 sei durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum lückenhaft geworden. Die Lücke sei im Wege der ergänzenden Auslegung dahin zu schließen, dass die vorgezogene Altersrente unter Außerachtlassung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde und von der so errechneten Versorgungsleistung der Betrag in Abzug zu bringen sei, um den sich seine gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat.

7Der Kläger hat beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

10Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die vorgezogene Altersrente des Klägers nach der PO 88 zutreffend berechnet. Der Kläger kann weder aufgrund einer ergänzenden Auslegung der PO 88 noch wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage eine höhere als die von der Beklagten gezahlte Altersrente beanspruchen.

11I. Die Beklagte hat die vorgezogene Altersrente des Klägers zutreffend ermittelt. Die Berechnung entspricht den Vorgaben des Abschnitts 7 PO 88. Dabei war als pensionsfähige Bemessungsgrenze nach Abschnitt 6 PO 88 die im Monat Januar 2010 geltende Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen, da der Kläger zum aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Eine ergänzende Auslegung der PO 88 dahin, dass die Altersrente so zu berechnen ist, als wäre die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zum nicht erfolgt, kommt nicht in Betracht. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es kann dahinstehen, ob die PO 88 infolge der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze durch § 275c SGB VI zum lückenhaft geworden ist. Eine ergänzende Auslegung der PO 88 scheidet jedenfalls deshalb aus, weil mehrere gleichwertige Möglichkeiten zur Schließung einer eventuellen Regelungslücke bestehen und es sich nicht feststellen lässt, für welche Möglichkeit die Betriebsparteien sich entschieden hätten, wenn sie die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze vorhergesehen hätten.

121. Zwar hat der Senat in den Urteilen vom (- 3 AZR 695/08 - BAGE 130, 214 und - 3 AZR 471/07 -; zur Kritik an diesen Entscheidungen vgl. etwa Böhm/Ulbrich BB 2010, 1341, 1342; Bormann BetrAV 2011, 596, 597 ff.; Cisch/Bleeck BB 2010, 1215, 1219 f.; Diller NZA 2012, 22, 23 ff.; Höfer BetrAVG Stand August 2012 Bd. I ART Rn. 816.4 f.; Hölscher/Janker BetrAV 2010, 141, 142 f.; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto BetrAVG 5. Aufl. Anh § 1 Rn. 224 a ff.; Weber DB 2010, 1642, 1643 f.) angenommen, Versorgungsordnungen, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung höhere Versorgungsleistungen vorsehen als für den darunter liegenden Teil (sog. gespaltene Rentenformel), seien durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung um 500,00 Euro monatlich nach § 275c SGB VI zum regelmäßig lückenhaft geworden. Die Regelungslücke sei im Wege ergänzender Auslegung entsprechend dem ursprünglichen Regelungsplan dahin zu schließen, dass die Betriebsrente ohne Berücksichtigung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde und von dem so errechneten Betrag die Beträge in Abzug zu bringen seien, um die sich die gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat.

132. Diese Rechtsprechung hat der Senat mit den Urteilen vom (vgl. etwa - 3 AZR 23/11 - und - 3 AZR 475/11 -) zu Versorgungsregelungen in Gesamtzusagen und Tarifverträgen ausdrücklich aufgegeben, mit der Begründung, es bestünden mehrere gleichwertige Möglichkeiten zur Schließung einer eventuellen Regelungslücke; unter Anlegung eines objektiv-generalisierenden Maßstabs lasse sich nicht feststellen, für welche Möglichkeit die Parteien bzw. Tarifvertragsparteien sich entschieden hätten, wenn sie die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze vorhergesehen hätten. Dies gilt auch für entsprechende Versorgungsregelungen in Betriebsvereinbarungen. Auch Betriebsvereinbarungen sind einer ergänzenden Auslegung nur dann zugänglich, wenn entweder nach zwingendem höherrangigen Recht nur eine Regelung zur Lückenschließung in Betracht kommt oder wenn bei mehreren Regelungsmöglichkeiten zuverlässig feststellbar ist, welche Regelung die Betriebspartner getroffen hätten, wenn sie die Lücke erkannt hätten (vgl.  - zu II 2 c dd der Gründe, BAGE 104, 353; - 3 AZR 653/07 - Rn. 31).

143. Vorliegend kommt entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur eine Ergänzung der PO 88 dahin in Betracht, dass bei der Berechnung der Altersrente von einer um die „außerplanmäßige“ Anhebung der durch § 275c SGB VI „bereinigten“ Beitragsbemessungsgrenze unter gleichzeitiger Anrechnung der durch diese Anhebung in der gesetzlichen Rentenversicherung erzielten höheren gesetzlichen Rente auszugehen ist. Vielmehr bestehen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der in Abschnitt 6 und 7 PO 88 getroffenen Regelungen weitere rechtlich zulässige und interessengerechte Möglichkeiten zur Schließung einer etwaigen nachträglich eingetretenen Regelungslücke. Sinn und Zweck einer „gespaltenen Rentenformel“ wie derjenigen in Abschnitt 6 und 7 PO 88 ist es, den im Einkommensbereich über der Beitragsbemessungsgrenze bestehenden erhöhten Versorgungsbedarf über die hierfür vorgesehene höhere Leistung abzudecken, da dieser Teil der Bezüge nicht durch die gesetzliche Altersrente abgesichert ist( - Rn. 16; - 3 AZR 695/08 - Rn. 23, BAGE 130, 214). Deshalb wäre es ebenso denkbar, dass sich die Betriebsparteien im Hinblick darauf, dass sich die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“ Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze verringern, je später nach dem der Versorgungsfall eintritt, auf eine wenige Jahre begrenzte Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge verständigt hätten. Ebenso käme eine Lückenschließung dergestalt in Betracht, dass die Betriebszugehörigkeit bis zum und die Betriebszugehörigkeit danach bei der Berechnung der Altersrente entsprechend der Berechnungsweise aus der „Barber-Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs ( - C-262/88 - Slg. 1990, I-1889; vgl. auch  - BAGE 86, 79) unterschiedlich behandelt werden (so etwa Weber DB 2010, 1642). Danach könnte für bis zum erdiente Anwartschaftsteile eine Korrektur der Beitragsbemessungsgrenze um die „außerplanmäßige“ Anhebung zum vorgenommen werden, weil insoweit keine Rentensteigerungen in der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht werden konnten; für ab dem erdiente Versorgungsanwartschaften wäre die erhöhte Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, weil ab diesem Zeitpunkt auch Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben werden. Dies hätte zur Folge, dass für die Berechnung des Teils der Rentenanwartschaft oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze eine Trennung in die Zeit vor dem und die Zeit danach vorgenommen werden müsste (vgl. hierzu ausführlich Weber DB 2010, 1642).

15Entgegen der Auffassung des Klägers ergeben sich aus der PO 88 keine Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebspartner bei Kenntnis der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung die Berechnung der (vorgezogenen) Altersrente so geregelt hätten, dass die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze außer Betracht bleibt. Derartiges ergibt sich insbesondere nicht aus Abschnitt 19 PO 88. Danach ist die Beklagte verpflichtet, die in der PO 88 zugesagten Leistungen zu erbringen. Zugesagt ist damit eine nach Abschnitt 6 und 7 PO 88 berechnete (vorgezogene) Altersrente. Für deren Berechnung ist die im Monat Januar vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gültige Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen. Anhaltspunkte dafür, dass ggf. von einer anderen Bemessungsgrenze auszugehen sein könnte, enthält Abschnitt 19 PO 88 nicht.

16II. Der Kläger kann auch nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage nicht verlangen, dass seine Betriebsrente so berechnet wird, als wäre die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfolgt.

17Bei einer Störung der Geschäftsgrundlage kann nach § 313 Abs. 1 BGB eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorhergesehen hätten; eine Vertragsanpassung kommt allerdings nur in Betracht, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten an der unveränderten Regelung nicht zugemutet werden kann ( - Rn. 21;  - Rn. 30 mwN).

18Da die PO 88 eine Betriebsvereinbarung ist, kann nicht der Kläger, sondern könnte allenfalls der Betriebsrat als Partei der Betriebsvereinbarung eine Anpassung der PO 88 von der Beklagten verlangen (vgl. zur Sprecherausschussvereinbarung  - Rn. 38).

19III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
WAAAE-70197