Suchen
EuGH Beschluss v. - Rs. C-258/13

Instanzenzug: 5a Vara Cível de Lisboa (Portugal) -

Gründe:

1Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sociedade Agrícola e Imobiliária da Quinta de S. Paio Lda (im Folgenden: Sociedade Agrícola) und dem Instituto da Segurança Social IP (im Folgenden: Instituto) wegen dessen Weigerung, ihr Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/8/EG

3Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. L 26, S. 41, berichtigt im ABl. L 32, S. 15) lautet:

"Diese Richtlinie zielt darauf ab, die Anwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Das allgemein anerkannte Recht auf Zugang zu den Gerichten wird auch in Artikel 47 der Charta ... bestätigt."

4Der persönliche Anwendungsbereich des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe ist in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/8 wie folgt definiert:

"An einer Streitsache im Sinne dieser Richtlinie beteiligte natürliche Personen haben Anspruch auf eine angemessene Prozesskostenhilfe, damit ihr effektiver Zugang zum Recht nach Maßgabe dieser Richtlinie gewährleistet ist."

Portugiesisches Recht

5Das Gesetz Nr. 34/2004 vom in der Fassung des Gesetzes Nr. 47/2007 vom (im Folgenden: Gesetz Nr. 34/2004) regelt den Zugang zum Recht sowie zu den Gerichten und setzt auch die Richtlinie 2003/8 in die portugiesische Rechtsordnung um.

6Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 34/2004 bestimmt:

"Juristische Personen mit Gewinnerzielungsabsicht und Einpersonenunternehmen mit beschränkter Haftung haben keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe."

7Die portugiesische Regelung befreit jedoch juristische Personen mit Gewinnerzielungsabsicht und Einpersonenunternehmen mit beschränkter Haftung, die zahlungsunfähig sind oder über deren Vermögen ein Konkursverfahren eröffnet wurde, von der Zahlung der Gebühren und Kosten bei Gerichtsverfahren.

Vorabentscheidungsersuchen und Vorlagefragen

8Die in Lissabon (Portugal) niedergelassene Sociedade Agrícola ist eine juristische Person mit Gewinnerzielungsabsicht.

9Am beantragte sie beim Instituto, der zuständigen Verwaltungsbehörde, die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Form einer Befreiung von Gerichtsgebühren und sonstigen Kosten im Zusammenhang mit dem Verfahren sowie die Bestellung und Bezahlung eines Rechtsanwalts und erklärte, ein Gerichtsverfahren mit einem Streitwert von 52 500 Euro einleiten zu wollen.

10Das Instituto entschied jedoch, dass der Antrag auf Prozesskostenhilfe offensichtlich unzulässig sei, da juristische Personen mit Gewinnerzielungsabsicht nach Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 34/2004 kein Recht auf Prozesskostenhilfe hätten.

11Die Sociedade Agrícola erhob eine Klage gegen diese Entscheidung des Instituto bei der 5a Vara Cível de Lisboa und beantragte, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, damit sich dieser zur Auslegung des Art. 47 der Charta äußere.

12Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist das Urteil des Gerichtshofs vom , DEB (C-279/09, Slg. 2010, I-13849), einschlägig für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits. Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Anwendung dieses Urteils hinsichtlich juristischer Personen mit Gewinnerzielungsabsicht gleichwohl geklärt werden müsse.

13Unter diesen Umständen hat die 5a Vara Cível de Lisboa beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Steht Art. 47 der Charta, in dem das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz niedergelegt ist, einer nationalen Regelung entgegen, die juristischen Personen mit Gewinnerzielungsabsicht den Zugang zu Prozesskostenhilfe untersagt?

2. Ist Art. 47 der Charta so auszulegen, dass das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet ist, wenn das interne Recht des Mitgliedstaats juristische Personen mit Gewinnerzielungsabsicht zwar von der Prozesskostenhilfe ausschließt, sie jedoch automatisch von den Gebühren und Kosten bei Gerichtsverfahren befreit, wenn sie zahlungsunfähig sind oder über ihr Vermögen ein Konkursverfahren eröffnet wurde?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

14Der Gerichtshof kann nach Art. 53 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung, wenn er für die Entscheidung über eine Rechtssache offensichtlich unzuständig ist, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

15Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

16Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dieser im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV das Unionsrecht nur in den Grenzen der ihm übertragenen Zuständigkeiten prüfen (vgl. Urteil vom , McB., C-400/10 PPU, Slg. 2010, I-8965, Randnr. 51, und Beschluss vom , Cholakova, C-14/13, Randnr. 21).

17Die Fragen des Vorabentscheidungsersuchens betreffen die Auslegung des Art. 47 der Charta.

18Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in Art. 51 Abs. 1 der Charta definiert ist. Danach gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (Urteil vom , Åkerberg Fransson, C-617/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 17).

19Diese Bestimmung bestätigt also die ständige Rechtsprechung, nach der die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom , Boncea u. a., C-483/11 und C-484/11, Randnr. 29, und Urteil Åkerberg Fransson, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20Wird eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst, ist der Gerichtshof nicht zuständig, um über sie zu entscheiden, und die möglicherweise angeführten Bestimmungen der Charta können als solche keine neue Zuständigkeit begründen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom , Currà u. a., C-466/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26, und Urteil Åkerberg Fransson, Randnr. 22).

21Die Vorlageentscheidung enthält jedoch keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass der Gegenstand des Ausgangsverfahrens die Auslegung oder Anwendung einer Unionsrechtsnorm außer denen, die in der Charta stehen, betrifft (vgl. Beschlüsse vom , Pedone, C-498/12, Randnr. 14, und Gentile, C-499/12, Randnr. 14, sowie vom , T, C-73/13, Randnr. 13).

22Da die Richtlinie 2003/8 keine Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen vorsieht (vgl. Urteil DEB, Randnr. 43), ist zum einen festzustellen, dass diese Richtlinie nicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist.

23Zum anderen ist festzustellen, dass - anders als in der dem Urteil DEB zugrunde liegenden Rechtssache, bei der der Gerichtshof Art. 47 der Charta im Rahmen eines unionsrechtlichen Staatshaftungsverfahrens ausgelegt hat - die Vorlageentscheidung keinen konkreten Anhaltspunkt dafür enthält, dass die Sociedade Agrícola einen Antrag auf Prozesskostenhilfe im Rahmen einer Klage zum Schutz der ihr durch das Unionsrecht verliehenen Rechte gestellt hätte.

24Unter diesen Umständen ist zu entscheiden, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der von der 5a Vara Cível de Lisboa vorgelegten Fragen offensichtlich unzuständig ist.

Kosten

25Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Der Gerichtshof ist für die Beantwortung der von der 5a Vara Cível de Lisboa (Portugal) mit Entscheidung vom (Rechtssache C-258/13) vorgelegten Fragen offensichtlich unzuständig.

Fundstelle(n):
SAAAE-69268