OFD Nordrhein-Westfalen - akt. Kurzinfo BewG 4/2011

Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nach § 138 Abs. 4 und § 198 BewG

1.) Allgemeines

Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann durch ein Gutachten oder durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vereinbarten Kaufpreis geführt werden.

Der Nachweis durch o. g. Kaufpreis ist möglich, wenn der Kaufpreis ein Jahr vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommen ist. Kommt der Kaufpreis außerhalb dieser Frist zustande, kann der Kaufpreis noch als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts dienen, wenn der Steuerpflichtige schlüssig nachweist, dass die maßgebenden Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unverändert geblieben sind (vgl. R B 198 Abs. 4 ErbStR 2011; BStBl. 2004 II S. 703). Vgl. dazu jedoch auch Punkt 3.a).

Beim Nachweis durch Gutachten ist zu prüfen, ob dieses den Anforderungen an ein Verkehrswertgutachten entspricht (vgl. R B 198 Abs. 3 S. 4 ErbStR 2011). Danach kann der Steuerpflichtige den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts regelmäßig durch ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erbringen (vgl. ; BStBl 2014 I S. 808).

2.) Gutachten und Kaufpreis liegen bei der Erst- oder Einspruchsbearbeitung zeitgleich vor

Im Zusammenhang mit der Frage, welchem Wert bei zeitgleichem Vorliegen eines Kaufpreises und eines Gutachtenwerts der Vorzug im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts nach § 138 Abs. 4 und § 198 BewG zu geben ist, wird gebeten, folgende Rechtsauffassung zu vertreten:

Weist der Steuerpflichtige bei Abgabe der Feststellungserklärung oder innerhalb der Rechtsbehelfsfrist einen niedrigeren gemeinen Wert durch ein Sachverständigengutachten nach, so ist das Finanzamt nicht gehindert, die Erkenntnisse aus einem innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag erfolgten Grundstücksverkauf, bei dem ein höherer Preis als laut dem Gutachten erzielt wurde, zu berücksichtigen und den Grundbesitzwert in Höhe des erzielten Kaufpreises festzustellen. Ist der Kaufpreis außerhalb des Jahres nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommen, gilt Vorstehendes entsprechend, soweit sich die maßgeblichen Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen zum Stichtag nicht verändert haben (siehe Punkt 1.).

Diese Entscheidung basiert auf dem Gedanken, dass beim Vorliegen sowohl eines vom Steuerpflichtigen beigebrachten Sachverständigengutachtens als auch eines zeitnahen Grundstückskaufvertrags beide Beweismittel für eine Überzeugungsbildung heranzuziehen sind. Bei der Wertung sind auch weitere Erkenntnisse, die durch eigene Ermittlungstätigkeit des Bearbeiters gewonnen werden, bei der Rechtsfindung zu berücksichtigen.

Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vereinbarte bzw. erzielte Kaufpreis für ein Wirtschaftsgut liefert den sichersten Anhaltspunkt für den Wert (gemeiner Wert bzw. Verkehrswert nach § 9 BewG) des Wirtschaftsguts. Der nach den Regeln von Angebot und Nachfrage frei ausgehandelte Marktpreis für ein Wirtschaftsgut bietet die beste Gewähr dafür, den wahren Wert eines Wirtschaftsguts abzubilden. Die Wertermittlung durch einen Gutachter stellt demgegenüber stets eine Schätzung dar.

Hinsichtlich dieser Rechtsauffassung wird auf das , EFG 2011, S. 1386 verwiesen.

Ist der nach dem Stichtag durch Veräußerung an einen fremden Dritten erzielte Kaufpreis niedriger als der Gutachtenwert, ist der Grundbesitzwert ebenfalls in Höhe des erzielten Kaufpreises festzustellen, soweit sich die maßgeblichen Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen zum Stichtag nicht verändert haben (siehe Punkt 1.).

Die obigen Ausführungen gelten grds. nur, wenn Gutachten und Kaufpreis gleichzeitig bei Bearbeitung der Feststellungserklärung bzw. des Einspruchs vorliegen. Es ist daher nicht erforderlich, Grundbesitzwertfeststellungen, bei denen es zum Ansatz eines Gutachtenwerts gekommen ist, vor dem Hintergrund eines zukünftigen möglichen Verkaufs in Überwachung zu nehmen. Auch eine Feststellung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ist nicht vorzunehmen.

3.) Änderungsmöglichkeiten einer Grundbesitzwertfeststellung nach Bestandskraft

Wird nach formeller Bestandskraft der Grundbesitzwertfeststellung der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geführt, ist wie folgt zu unterscheiden:

a) Nachweis durch Kaufpreis

Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch Kaufpreis kann – anders als nach früherer Rechtsauffassung – nicht mehr nach formell bestandskräftiger Grundbesitzwertfeststellung erbracht werden, wenn der Kaufpreis erst nach abschließender Entscheidung des für die Feststellung des Grundbesitzwertes zuständigen Amtsträgers zustande gekommen ist. Insofern kommt nach Beschluss der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht mehr in Betracht (an dem früheren Beschluss wird nicht mehr festgehalten).

Zwar ist ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Kaufpreis geeignet, den Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes nach § 198 BewG zu erbringen. Dieses Beweismittel kann jedoch nicht im Sinne des § 173 Abs. 1 AO „nachträglich bekannt” werden, wenn der Kaufvertrag zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Feststellungsbescheids noch nicht existent war. Es können nur Tatsachen bzw. Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zum Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Grundbesitzwertfeststellung bereits entstanden („existent”) waren (vgl. AEAO zu § 173 Nr. 1.3). Das ist bei einem nach abschließender Zeichnung des Feststellungsbescheides vereinbarten Kaufpreis nicht der Fall.

Der nachträglich zustande gekommene Kaufpreis stellt auch kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich zu einem späteren Zeitpunkt anders gestaltet und steuerlich dergestalt in die Vergangenheit zurückwirkt, dass der Besteuerung nunmehr der veränderte Sachverhalt anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts zugrunde zu legen ist. Ein Kaufvertrag stellt eine Möglichkeit des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts und damit den Nachweis einer steuerlich relevanten Tatsache dar. Allerdings hat der Abschluss des Kaufvertrages für sich genommen keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden, so dass der bei der Bewertung zugrunde gelegte Sachverhalt sich durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück auch nicht nachträglich geändert hat. Vgl. zur Begründung auch das . Damit kann in diesen Fällen eine Änderung der bestandskräftigen und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Feststellungen nicht mehr erfolgen.

Etwas anderes gilt nur, wenn der Verkauf des Grundstücks vor der abschließenden Entscheidung des für die Grundbesitzwertfeststellung zuständigen Amtsträgers der GÜST/BWST erfolgt ist und ihm diese Tatsache bei seiner Entscheidung nicht bekannt war. In diesen Fällen liegt eine neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO vor. Ein unanfechtbarer Feststellungsbescheid kann aber nur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache trifft.

Hinweis zum groben Verschulden:

Die Überprüfung, ob ein grobes Verschulden i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegt, erfolgt nach den üblichen Grundsätzen und hängt vom Einzelfall ab. Es ist darauf abzustellen, ob der Steuerpflichtige (oder sein steuerlicher Berater) die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Ein grobes Verschulden kann im Allgemeinen aber angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hat oder eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (vgl. AEAO zu § 173 Nr. 5.1.2 und 5.1.3). Von grobem Verschulden ist regelmäßig auszugehen, wenn der Kaufvertrag bereits vor Abgabe der Steuererklärung zustande gekommen ist und der Steuerpflichtige die notwendigen Angaben im Erklärungsvordruck nicht vorgenommen hat. Analog kann der Fall beurteilt werden, in dem der Kaufvertragsabschluss nach Abgabe der Feststellungserklärung, jedoch vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erfolgt ist und der Steuerpflichtige nicht – unter Hinweis auf den realisierten Kaufpreis – fristgerecht Rechtsbehelf eingelegt hat.

Übersicht über die Korrekturmöglichkeiten nach §§ 173 und 175 AO


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Verkauf vor abschließender Zeichnung
Verkauf nach abschließender Zeichnung
neue Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 AO
Ja
Nein
grobes Verschulden
Ja
---
Korrekturmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
nein
nein
Korrekturmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
---
(das Vorliegen einer neuen Tatsache i. S. d. § 173 AO schließt § 175 AO aus)
nein

b) Nachweis durch Gutachten

Ein nach Bestandskraft des Feststellungsbescheides erstelltes Sachverständigengutachten kann eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht begründen, da das Gutachten bei Eintritt der Bestandskraft nicht existierte und folglich dieses Beweismittel auch nicht nachträglich bekannt werden kann.

Wird ein auf den Bewertungsstichtag zu fertigendes Gutachten zwar vor Bestandskraft des Feststellungsbescheides erstellt, jedoch erst nach Bestandskraft der Grundbesitzwertfeststellung vorgelegt, kommt eine Berichtigung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht. In diesem Fall hätte der Steuerpflichtige innerhalb der Rechtsbehelfsfrist Einspruch einlegen müssen. Außerhalb der Rechtsbehelfsfrist trifft ihn grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden des Gutachtens, so dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht möglich ist.

Ebenfalls kommt eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO – analog zu den Ausführungen unter 3a) – nicht in Betracht, da das Gutachten für sich genommen keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden hat, so dass der bei der Bewertung zugrunde gelegte Sachverhalt sich durch die Fertigung des Gutachtens über das Grundstück auch nicht nachträglich geändert hat.

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Fundstelle(n):
ZAAAE-68648