Bestimmung des Streitwerts im Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Prüfungsanordnungen
Leitsatz
1. Der Streitwert in Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Prüfungsanordnungen beträgt regelmäßig 50 % der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern.
2. Hat die Berichterstatterin des Finanzgerichts (FG) in einem protokollierten ausführlichen rechtlichen Hinweis in einem Parallelverfahren (hier: Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung der Mehrsteuern) erklärt, von den festgesetzten Mehrsteuern werde allenfalls ein Betrag in Höhe von rd. einem Zehntel übrig bleiben, ist der Streitwert des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens (hier: Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren) wegen Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung nur mit 50 % der nach dem Hinweis des FG noch zu erwartenden Mehrsteuern zu bestimmen.
3. Aus Gründen der notwendigen Einfachheit und Praktikabilität des Kostenfestsetzungsverfahrens ist die vom erkennenden Senat vorgenommene konkrete Betrachtung der Erfolgsaussichten des parallel geführten Verfahrens gegen die Mehrsteuern für Zwecke der Bemessung des Streitwerts des Verfahrens gegen die Prüfungsanordnung aber auf Fälle zu beschränken, die - beispielsweise aufgrund aktenkundiger substantiierter gerichtlicher Hinweise - ähnlich eindeutig sind wie die hier zu beurteilende Konstellation.
Gesetze: GKG § 3 Abs. 1, GKG § 34 Abs. 1, GKG § 40, GKG § 52 Abs. 1
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Erinnerungsführerin) beanstandet mit ihrer Erinnerung die Höhe des Streitwerts für ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein finanzgerichtliches Urteil über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung.
2 Gegen die am ergangene Prüfungsanordnung für die Jahre 2006 bis 2008 legte die Erinnerungsführerin Einspruch ein, beantragte aber keine Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das Finanzamt (FA) führte die Prüfung durch und erließ am aufgrund der Ergebnisse der Außenprüfung geänderte Steuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2008, die zu Mehrsteuern von insgesamt 207.513 € führten. Auch gegen die Änderungsbescheide legte die Erinnerungsführerin Einspruch ein, über den das FA bis heute nicht entschieden hat.
3 Am erhob die Erinnerungsführerin Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Prüfungsanordnung. Während dieses Klageverfahrens beantragte sie beim Finanzgericht (FG) zudem die AdV der geänderten Steuerbescheide. Am fand vor der für das AdV-Verfahren zuständigen Berichterstatterin des FG ein Erörterungstermin statt. In diesem Termin wies die Berichterstatterin darauf hin, dass ernstlich zweifelhaft sei, ob es sich bei den Zahlungseingängen auf dem Bankkonto der Erinnerungsführerin um Betriebseinnahmen handele; aufgrund der vorgelegten Bestätigungen komme auch eine Würdigung als Darlehensaufnahmen in Betracht. Für das Streitjahr 2006 sei „mit großer Wahrscheinlichkeit ein günstiger Verfahrensausgang für die Antragstellerin zu erwarten”. Für die Streitjahre 2007 und 2008 würde es selbst dann, wenn die Bareinzahlungen auf dem Bankkonto als Betriebseinnahmen angesetzt würden, nur noch zu Steuernachforderungen von insgesamt ca. 18.800 € kommen. Auf der Grundlage dieses —ausführlich protokollierten— rechtlichen Hinweises gewährte das FA in vollem Umfang AdV der angefochtenen Bescheide; die Antragstellerin hatte für die Jahre 2007 und 2008 eine Sicherheitsleistung von jeweils 10.000 € zu erbringen.
4 Am wies das FG die Klage gegen die Prüfungsanordnung ab. Hiergegen richtete sich die am eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde der Erinnerungsführerin, die der erkennende Senat als unzulässig verwarf.
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Mit der angefochtenen Kostenrechnung vom setzte die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) die Gerichtskosten für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf 1.112 € fest. Dem lag ein Streitwert von 51.878 € zugrunde, der wie folgt ermittelt worden ist: | ||
- | Höhe der Mehrsteuern nach der Außenprüfung | 207.513 € |
- | Streitwert für Verfahren gegen Prüfungsanordnungen (50 % der streitigen Mehrsteuern) | 103.756 € |
- | Streitwert für Fortsetzungsfeststellungsklagen (50 % des Regelstreitwerts) | 51.878 € |
6 Die Erinnerungsführerin ist der Auffassung, dass der Streitwert allenfalls mit 25 % von 18.800 € angesetzt werden dürfe. Höhere Mehrsteuern seien nicht zu erwarten, auch wenn das FA die Steuerfestsetzungen bis heute nicht herabgesetzt habe.
7 Die Vertreterin der Staatskasse hält die Erinnerung für unbegründet.
8 II. Die Erinnerung ist begründet. Die Gerichtskosten sind auf der Grundlage eines Streitwerts von 4.700 € anzusetzen.
9 1. Die Höhe der Gerichtsgebühren richtet sich nach dem Streitwert (§ 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes —GKG—) sowie den in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG aufgeführten Gebührentatbeständen. Dabei ist der Streitwert —soweit nichts anderes bestimmt ist— nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG).
10 2. Auf dieser Grundlage bestimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung den Streitwert in Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Prüfungsanordnungen regelmäßig mit 50 % der „mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern” (BFH-Beschlüsse vom VII B 122/73, BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197; vom VIII R 111/84, BFHE 142, 542, BStBl II 1985, 257, und vom VIII E 4/09, BFH/NV 2009, 1823). Dabei lassen sich in der Rechtsprechung die folgenden Fallgestaltungen unterscheiden:
11 a) Ist die Außenprüfung bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung noch nicht durchgeführt worden, sind die zu erwartenden Mehrsteuern im Einzelfall zu schätzen; ist eine solche Schätzung nicht möglich, ist der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Auffangstreitwert anzusetzen (BFH-Beschlüsse in BFHE 142, 542, BStBl II 1985, 257; vom VIII R 367/83, BFH/NV 1988, 515, und vom VI E 11/10, BFH/NV 2011, 629).
12 b) Ist die Außenprüfung bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung bereits durchgeführt worden, ergeben sich die mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern aus den aufgrund der Außenprüfung geänderten Steuerfestsetzungen (Senatsbeschluss vom X E 4/89, BFH/NV 1990, 387).
13 c) Hinsichtlich der Frage, wie zu verfahren ist, wenn das FA nach der Außenprüfung zwar bereits geänderte Steuerbescheide erlassen hat, diese aber —mit nicht von vornherein zu verneinenden Erfolgsaussichten— angegriffen worden sind, wird in der BFH-Rechtsprechung weiter differenziert.
14 Der III. Senat hat hierzu entschieden, dass der Streitwert nicht pauschal mit 50 % der festgesetzten Steuermehrbeträge angesetzt werden dürfe, wenn diese auf Schätzungen beruhen, vom Kostenschuldner bestritten werden und das FA AdV gewährt hat, weil in einem solchen Fall nicht beurteilt werden könne, ob das Mehrergebnis der gerichtlichen Nachprüfung standhalte (, BFH/NV 1991, 552, unter 2.a). Im Ergebnis hat der III. Senat hier den Auffangstreitwert angesetzt.
15 Ebenso hat der I. Senat in einem Fall entschieden, in dem das —sich gleichmäßig über die einzelnen Jahre verteilende— Mehrergebnis einer für Folgejahre durchgeführten Außenprüfung, das der Kläger bestritten hatte, auch für die Ermittlung des Streitwerts eines Rechtsmittels gegen die Prüfungsanordnung für die Vorjahre herangezogen werden sollte (, BFH/NV 1987, 49; dem ausdrücklich zustimmend der VIII. Senat im Beschluss in BFH/NV 1988, 515, unter 3.).
16 Demgegenüber hat der VIII. Senat später entschieden, dass es für Zwecke der Bestimmung des Streitwerts des Verfahrens gegen die Prüfungsanordnung nicht darauf ankomme, ob die nach Durchführung der Außenprüfung festgesetzten Mehrsteuern Bestand haben (Beschluss in BFH/NV 2009, 1823; zustimmend Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 139 FGO Rz 314). Vielmehr werde die wirtschaftliche „Bedeutung der Sache” (§ 52 Abs. 1 GKG) für den Kläger gerade dadurch gekennzeichnet, dass er durch die Anfechtung der Prüfungsanordnung den konkret festgesetzten Mehrsteuern insgesamt die verfahrensrechtliche Grundlage entziehen möchte. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war für die Mehrsteuern, die der Kostenschuldner nicht nur verfahrensrechtlich, sondern auch in der Sache für unberechtigt hielt, ebenfalls AdV gewährt worden.
17 3. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass in einem Sonderfall wie dem vorliegenden die „mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern” für Zwecke der Ermittlung des Streitwerts eines Rechtsmittelverfahrens nicht anhand der vom FA erlassenen Steuerfestsetzungen, sondern auf der Grundlage des ausführlichen und protokollierten rechtlichen Hinweises des FG zu schätzen sind.
18 a) Maßgebend für die Bemessung des Streitwerts im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Prüfungsanordnung ist der Zeitpunkt der Einlegung dieses Rechtsmittels (§ 40 GKG). Bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde war im Streitfall aber bereits absehbar, dass die nach der Außenprüfung ergangenen Steuerfestsetzungen jedenfalls der Höhe nach keinen Bestand haben würden, da die beim FG für das AdV-Verfahren zuständige Berichterstatterin die Berechtigung der Mehrsteuern in einem ungewöhnlich umfangreichen rechtlichen Hinweis in Zweifel gezogen und das FA in vollem Umfang AdV gegen eine nur geringe Sicherheitsleistung gewährt hatte.
19 Wenn nach Auffassung aller bisher mit derartigen Fällen befassten Senate des BFH die „mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern” maßgeblich sind, dann kann man in einer prozessualen Konstellation, in der die Berichterstatterin des FG erklärt hat, von den Nachforderungen in Höhe von 207.513 € werde allenfalls ein Betrag von 18.800 € übrig bleiben, die „mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern” nicht unbesehen den angefochtenen Festsetzungen entnehmen. Die Erwartungen zur Höhe der „mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern” werden in einer solchen Konstellation entscheidend auch durch die substantiierte und protokollierte Aussage der Berichterstatterin des FG geprägt. Es handelte sich ausweislich des Protokolls des Erörterungstermins auch nicht lediglich um eine Aussage, die auf das AdV-Verfahren beschränkt sein sollte. Vielmehr hat das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide in Bezug auf den Gesamtbetrag der Mehrsteuern bejaht; die Aussage, es würden allenfalls 18.800 € übrig bleiben, betrifft bereits die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, die im damaligen AdV-Verfahren für die Bemessung der Sicherheitsleistung von rechtlicher Bedeutung waren.
20 Auch der erkennende Senat hält die Aussage des VIII. Senats im Beschluss in BFH/NV 2009, 1823, wonach die erfolgreiche Anfechtung der Prüfungsanordnung zum vollständigen Wegfall der Änderungsbescheide geführt hätte, so dass das wirtschaftliche Interesse des Klägers am Verfahren gegen die Prüfungsanordnung identisch sei mit der Höhe der Mehrsteuern, für den Regelfall für zutreffend und sachgerecht. In der vorliegend zu beurteilenden besonderen Konstellation wird den wirtschaftlichen Verhältnissen indes eher die Betrachtung gerecht, dass der Rechtsmittelführer einen Erfolg in Höhe der Differenz zwischen 18.800 € und 207.513 € schon aus materiell-rechtlichen Gründen zu erwarten hatte. Nur für den —im Klageverfahren gegen die Steuerbescheide nicht zu beseitigenden— „Sockelbetrag” von 18.800 € ist er noch auf die Anfechtung der Prüfungsanordnung angewiesen, wenn er sein Gesamtziel erreichen will.
21 Aus Gründen der notwendigen Einfachheit und Praktikabilität des Kostenfestsetzungsverfahrens ist die vom erkennenden Senat vorgenommene konkrete Betrachtung der Erfolgsaussichten des parallel geführten Verfahrens gegen die Mehrsteuern für Zwecke der Bemessung des Streitwerts des Verfahrens gegen die Prüfungsanordnung aber auf Fälle zu beschränken, die —beispielsweise aufgrund aktenkundiger substantiierter gerichtlicher Hinweise— ähnlich eindeutig sind wie die hier zu beurteilende Konstellation.
22 b) Vorliegend ist nicht der Auffangstreitwert anzusetzen. Dies kommt nach der Entscheidung des III. Senats in BFH/NV 1991, 552 in Betracht, wenn die Mehrsteuern zwar mit guten Gründen angegriffen worden sind, aber keine Einschätzung möglich ist, wie dieses Verfahren ausgehen könnte. Im Streitfall liegt indes eine ausführlich begründete Einschätzung der mit dem Verfahren gegen die Steuerbescheide befassten Berichterstatterin vor. Dies rechtfertigt es, den von der Berichterstatterin als wahrscheinlich angesehenen Betrag als „mutmaßlich zu erwartende Mehrsteuern” zugrunde zu legen, die wiederum bestimmend für die „Bedeutung der Sache” (§ 52 Abs. 1 GKG) für die Erinnerungsführerin sind.
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4. Nach diesen Grundsätzen sind die Gerichtskosten für das Verfahren … auf 242 € herabzusetzen. Dieser Betrag ergibt sich wie folgt: | ||
- | Höhe der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern nach der Außenprüfung auf der Grundlage des rechtlichen Hinweises des FG | 18.800 € |
- | Streitwert für Verfahren gegen Prüfungsanordnungen (50 % der streitigen Mehrsteuern) | 9.400 € |
- | Streitwert für Fortsetzungsfeststellungsklagen (50 % des Regelstreitwerts; vgl. , BFHE 211, 267, BStBl II 2006, 77, unter II.2.) | 4.700 € |
- | einfache Gebühr bei einem Streitwert von 4.700 € nach dem für bis zum eingeleitete Verfahren geltenden Gerichtskostenrecht | 121 € |
- | Ansatz von 2,0 Gebühren gemäß Nr. 6500 des Kostenverzeichnisses zum GKG | 242 € |
24 5. Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1387 Nr. 9
OAAAE-68630