LSG Niedersachsen-Bremen Urteil v. - L 4 KR 286/13
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine Botoxbehandlung und deren künftige Gewährung im Wege der Sachleistung. Die im Jahre 1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet unter einem Hinterkopfschmerz rechts nach Kryodenervation des Nervus occipitalis major rechts (Vereisungsbehandlung des großen Hinterhauptnerves), einem Zustand nach Gangliektomie (Entfernung eines Überbeins) C2 rechts 1/09 und eines peripheren Nervenstimulators im rechten Nervus occipitalis bei Ineffektivität und einem Zustand nach Spondylodese (Wirbelkörperverblockung) C4 bis C7 in 2007. Bisherige Behandlungen des Kopfschmerzgeschehens brachten keinen befriedigenden Erfolg. Im November 2010 ließ die Klägerin bei dem Facharzt für Plastische- und Ästhetische Chirurgie Dr. H. in I. eine Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin A durchführen. Ausweislich der Honorarvereinbarung vom 15. November 2011 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse für die Behandlung nicht bestehe. Es entstanden Kosten in Höhe von 609,54 Euro. Am 21. März 2011 beantragte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Erstattung der entstandenen Kosten und die künftige Gewährung der Behandlung im Wege der Sachleistung. Sie stellte ihre Erkrankungsgeschichte dar und führte aus, dass die Wirkung der durchgeführten Behandlung inzwischen nachlasse. Es sei daher unabdingbar, die Behandlung fortzuführen. Sie reichte im Laufe des weiteren Verwaltungsverfahrens eine Rechnung des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. J. vom 23. März 2011 ein, die sich auf 576,82 Euro belief. Aufgrund des Schmerzgeschehens habe sie den schnellstmöglichen Termin in der näheren Umgebung wahrgenommen. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der sozialmedizinischen Beurteilung. Dieser führte am 28. März 2011 und am 4. April 2011 durch Dr. K. aus, dass eine ärztliche Verordnung nicht vorliege und die Kriterien zum Off-Label-Use nicht erfüllt seien. Mit Bescheid vom 20. April 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Kriterien zum Off-Label-Use nicht erfüllt seien. Darüber hinaus könnten auch die eng gefassten Kriterien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Ausnahmefällen keine Anwendung finden. Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, dass ihre Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigt sei. Ihr Gesundheitszustand lasse sie immer wieder in schwere Depressionen zurückfallen. Keine andere Therapie ermögliche ihr auf längere Zeit ein schmerzloses Leben. Eine ergänzende, ärztliche Widerspruchsbegründung wurde nicht abgegeben. Die Klägerin teilte hierzu mit, dass ihr behandelnder Arzt für sie kein Gutachten erstellen wolle. Die Beklagte beauftragte gleichwohl den MDK mit der Überprüfung. Dieser führte mit Gutachten vom 6. Juni 2011 durch Dr. L. aus, dass die Kriterien zum Off-Label-Use vorliegend nicht gegeben seien. Ergänzend führte Dr. L. mit Gutachten vom 26. September 2011 aus, dass nach wie vor keine überzeugende Studienlage zum Einsatz von Botulinumtoxin in der bestehenden Indikation vorläge, dementsprechend bestehe auch keine positive Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses. Es liege keine lebensbedrohliche, schwerwiegende Erkrankung vor und es bestünden therapeutische Alternativen, z.B. in der Gabe von entsprechenden analgetischen und zentral schmerzdistanzierenden Substanzen sowie z.B. dem Erlernen von Entspannungsverfahren (Biofeedback-Methoden). Die Datenlage bezüglich des Einsatzes von Botulinumtoxin in der begehrten Indikation sei nicht ausreichend. Nachdem die Klägerin wiederholte Anfragen der Beklagten zu den medizinischen Hintergründen der Entfernung des implantierten Impulsgebers unbeantwortet gelassen hatte, wies diese den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2011 als unbegründet zurück. Sie stützte sich darin im Wesentlichen auf die inhaltlichen Ausführungen des MDK. Hiergegen hat die Klägerin am 28. November 2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Sie hat ihrer Erkrankungsgeschichte im Einzelnen dargestellt und die Ansicht vertreten, dass es sich um eine unaufschiebbare Behandlung im Sinne des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gehandelt habe. Die Behandlung sei medizinisch notwendig, da andere Methoden nicht wirksam seien. Das SG hat den medizinischen Sachverhalt näher aufgeklärt. Es hat eine Stellungnahme des Medikamentenherstellers Allergan nebst medizinischer Fachinformation vom 5. Dezember 2012 eingeholt. Ferner hat es eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 21. Januar 2013 eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 53 ff. und 71 ff. der Akte verwiesen. Soweit es hierauf ankommt, wird in der Begründung im Einzelnen Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V käme nicht in Betracht, da die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Nach den Unterlagen des Medikamentenherstellers Allergan sei Botulinumtoxin nicht für die Erkrankung der Klägerin zugelassen. Es bestehe auch kein Anspruch auf zulassungsüberschreitende Anwendung von Botulinumtoxin, da aufgrund der bestehenden Datenlage keine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Es lägen keine Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3 vor, denn es läge weder ein Zulassungsantrag vor, der die streitbefangene Indikation abdecken würde noch würden Studien der Phase 3 oder gleichwertige Forschungsergebnisse vorliegen. Darüber hinaus käme auch kein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht, da bei der Klägerin keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen würde. Gegen den am 19. Juni 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Juli 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen. Durch die Auskunft des Herstellers Allergan sieht sie ihre Position bestätigt, da jedenfalls eine Indikation im Falle einer chronischen Migräne bestehen könne. Darüber hinaus ergäbe sich ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V, da die bei ihr bestehende Erkrankung eine wertungsmäßig vergleichbare Krankheit darstelle. In ihrem Falle bestünden nicht steigerungsfähige Schmerzen, welche eine gravierende Lebensbeeinträchtigung darstellten.
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LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 02.04.2014 - L 4 KR 286/13
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