BAG Urteil v. - 8 AZR 1/13

Betriebsteilübergang - zwingendes Recht - Kindertagesstätte

Gesetze: § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 4 Abs 3 TVöD

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 5/9 Ca 1688/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 19 Sa 39/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2Seit dem war die Klägerin bei der beklagten Gemeinde beschäftigt, die Trägerin der Kindertagesstätten H, B und G war. Ab dem war die Klägerin als Leiterin der Kindertagesstätte H tätig. Laut Arbeitsvertrag vom richtete sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) in der jeweils geltenden Fassung und den an seine Stelle tretenden Tarifverträgen.

3Das Arbeitsverhältnis der Parteien sowie damit verbunden die Situation in der Kindertagesstätte H waren seit einiger Zeit mit Konflikten belastet. Vor diesem Hintergrund sprach die beklagte Gemeinde mit Schreiben vom eine außerordentliche Änderungskündigung aus und bot die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als Erzieherin in der Kindertagesstätte G unter Beibehaltung der bisherigen Vergütung an. Die gegen diese Änderungskündigung gerichtete Klage der Klägerin war vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht erfolgreich. Die Nichtzulassungsbeschwerde der beklagten Gemeinde blieb ohne Erfolg.

4Mit Wirkung zum übernahm der A e. V. (im Folgenden: A) den Betrieb der genannten Kindertagesstätten. Der Trägerwechsel wurde in zwei Verträgen vom geregelt, einem Betreibervertrag und einem Personalgestellungsvertrag. Im Betreibervertrag heißt es ua.:

5Nach der Präambel des Personalgestellungsvertrags vom blieben die zum Übernahmezeitpunkt beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der beklagten Gemeinde beschäftigt, wurden jedoch mit der Übernahme der „Aufgabe Betrieb der Kindertagesstätten durch den A im Rahmen einer Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD“ beschäftigt. In § 1 des Personalgestellungsvertrags hieß es:

6Die mit der Personalgestellung verbundenen Veränderungen in den Beschäftigungsverhältnissen wurden - wie ua. auch die Kosten der Personalgestellung - in den weiteren Bestimmungen des Personalgestellungsvertrags im Einzelnen geregelt. Die Klägerin wurde in den Anlagen zum Betreiber- und zum Personalgestellungsvertrag als Erzieherin der Kindertagesstätte G genannt. Mit Wirkung zum schlossen drei der vier Erzieherinnen der Kindertagesstätte H einen Arbeitsvertrag mit dem A.

7Die beklagte Gemeinde teilte der Klägerin, die im Zeitraum vom Ausspruch der Änderungskündigung im August 2009 bis Ende Juli 2011 krankheitsbedingt nicht gearbeitet hatte, mit Schreiben vom den Abschluss des Personalgestellungsvertrags mit.

8Zum wurde die Arbeitsfähigkeit der Klägerin bescheinigt, die ihrerseits der beklagten Gemeinde ihre Tätigkeit entsprechend anbot. Mit Schreiben vom , der Klägerin am selben Tag zugegangen, sprach die Beklagte eine außerordentliche Kündigung mit sofortiger Wirkung, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist, aus. Zuvor hatten Erzieherinnen der Kindertagesstätte H sowohl mündlich als auch schriftlich gegenüber dem Bürgermeister der beklagten Gemeinde eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin abgelehnt und für den Fall der Rückkehr der Klägerin als Leiterin angekündigt, eine Versetzung anzustreben bzw. das Arbeitsverhältnis zu lösen. Der Personalrat hat der beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt.

9Die Klägerin ist der Auffassung, die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Als Druckkündigung sei sie nicht gerechtfertigt, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten und der Personalrat nicht vollständig unterrichtet worden. Die beklagte Gemeinde sei über den hinaus ihre Arbeitgeberin und die Beschäftigungsmöglichkeit sei auch nicht entfallen. Falls die Weiterführung der Kindertagesstätte durch den A als Betriebsübergang anzusehen sei, sei nicht die beklagte Gemeinde, sondern nur der A kündigungsberechtigt.

10Die Klägerin hat beantragt

11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Nach Übertragung des Kindertagesstättenbetriebs auf den A habe sie keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für die Klägerin. Die Leitungsposition in der Kindertagesstätte H sei mittlerweile durch eine Mitarbeiterin des A besetzt worden. Die Frage eines Betriebs(teil)übergangs iSd. § 613a BGB sei von der Gemeinde zu keinem Zeitpunkt geprüft worden. Falls ein solcher vorliege, gehe die streitgegenständliche Kündigung ins Leere.

12Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der beklagten Gemeinde das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Kündigungsschutzantrag weiter.

Gründe

13Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

14A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung wie folgt begründet: Zum Zeitpunkt der Kündigung habe kein Arbeitsverhältnis mehr zwischen den Parteien bestanden. Bereits am sei das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund Betriebsteilübergangs iSv. § 613a BGB auf den A übergegangen. Dem stünden weder anderslautende Regelungen im Betreiber- und Personalgestellungsvertrag, noch die Bezugnahme darin auf § 4 Abs. 3 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) entgegen. Ein eventuelles Widerspruchsrecht sei nicht ausgeübt worden, daher auch nicht entscheidungsrelevant.

15B. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Feststellungsklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist bereits vor der von der beklagten Gemeinde ausgesprochenen Kündigung vom im Wege eines Betriebsteilübergangs (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) auf den A übergegangen. Die Kündigung ging mangels bestehenden Arbeitsverhältnisses ins Leere.

16I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung zum Betriebsteilübergang ausgegangen und hat sie entsprechend auf den Streitfall angewendet.

171. Ein Betriebsübergang oder Betriebsteilübergang iSv. § 613a Abs. 1 BGB iVm. der Richtlinie 2001/23/EG liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt (vgl. nur [Amatori ua.] - Rn. 30 mwN;  - Rn. 40 mwN; - 8 AZR 197/11 - Rn. 39 mwN). Dabei muss es um eine auf Dauer angelegte Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck ( [Amatori ua.] - Rn. 31 f. mwN). Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (näher und C-233/04 [Güney-Görres und Demir] - Rn. 35 mwN, Slg. 2005, I-11237;  - Rn. 40 ff. mwN). Im öffentlichen Dienst kommt § 613a Abs. 1 BGB grundsätzlich bei einer Übertragung wirtschaftlicher Tätigkeiten - jedoch nicht bei einer Übertragung von Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse - zur Anwendung (vgl. [Scattolon] - Rn. 54, Slg. 2011, I-7491; - Rn. 33 ff.). Ohne Bedeutung ist, ob das Eigentum an den eingesetzten Betriebsmitteln übertragen worden ist (vgl. [Abler] - Rn. 41 mwN, Slg. 2003, I-14023;  - BAGE 87, 296).

18Dem Übergang eines gesamten Betriebs steht, soweit die Vorrausetzungen des § 613a BGB erfüllt sind, der Übergang eines Betriebsteils gleich. Dies ist unabhängig davon, ob die übergegangene wirtschaftliche Einheit ihre Selbständigkeit innerhalb der Struktur des Erwerbers bewahrt oder nicht (vgl. [Amatori ua.] - Rn. 30 f. mwN; - C-466/07 [Klarenberg] - Rn. 50, Slg. 2009, I-803); es genügt, wenn die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten und es dem Erwerber derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen ( [Klarenberg] - Rn. 53, aaO;  - Rn. 16).

192. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend einen Betriebsteilübergang iSv. § 613a BGB auf den A bejaht.

20a) Die bestehende, auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit der Kindertagesstätten in der beklagten Gemeinde wird ab dem vom A unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt. Das ergibt sich bereits aus und wegen der Regelungen des Betreiber- und des Personalgestellungsvertrags vom , sowie nach den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen.

21aa) Ab dem hat die beklagte Gemeinde dem A die Grundstücke und Gebäude der drei Kindertagesstätten einschließlich der Außenbereiche mit vorhandenen Spielgeräten, Spiel- und Lehrmitteln sowie einer kindgerechten Möblierung zur Nutzung überlassen (§ 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Betreibervertrag). Der A hält darin ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes pädagogisches Betreuungsangebot vor (§ 2 Abs. 1 Betreibervertrag), das nach wie vor auf die Aufnahme und Betreuung der Kinder aus der Gemeinde S ausgerichtet ist (§ 6 Abs. 1 Betreibervertrag). Sowohl nach dem Betreiber- als auch nach dem Personalgestellungsvertrag bleibt das zum Stichtag in den drei Kindertagesstätten beschäftigte Personal dort tatsächlich tätig (ua. § 6 Abs. 4 Betreibervertrag, Präambel des Personalgestellungsvertrags) und setzt die Betreuung der Kinder aus der Gemeinde S fort.

22bb) Es handelt sich bei der Kindertagesstätte H, die über eine eigene Leitungsstruktur (Leitungsstelle in der Kindertagesstätte) verfügt, um eine hinreichend strukturierte und selbständige Gesamtheit von Personen (jedenfalls eine Leitung, vier Erzieherinnen) und Sachen (Gebäude, Gruppenräume mit kindgerechter Möblierung, Außenbereiche mit Spielgeräten, Spiel- und Lehrmittel) zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit dem eigenen Zweck „Kinderbetreuung“. Der A hat ohne Unterbrechung und Änderungen den Betrieb bei Beibehaltung des Betreuungsgebiets (einschließlich der „Kundschaft“, vgl. zu diesen und weiteren Teilaspekten der vorzunehmenden Gesamtbewertung ua. [CLECE] - Rn. 34 mwN, Slg. 2011, I-95) mit Hilfe der Gesamtheit des Personals sowie den gesamten materiellen Betriebsmitteln fortgeführt. Die vor und nach dem Übergang verrichtete Tätigkeit ist nicht nur ähnlich, sondern ersichtlich identisch.

23Dahinstehen kann, ob es sich bei den Kindertagesstätten H, B und G um drei je einzelne, abgrenzbare Betriebsteile mit je eigener Identität oder insgesamt um einen Betriebsteil „Kindertagesstätten“ unter einer den einzelnen Kindertagesstätten übergeordneten einheitlichen Gesamtleitung handelt, der innerhalb der Kommunalverwaltung einen Teilzweck verfolgt (für eine solche Situation:  - Rn. 20, BAGE 130, 90). In beiden Fällen gilt das oben unter B I 2 a aa Gesagte.

24b) Dem steht nicht entgegen, dass ausweislich der Regelungen des Betreiber- und des Personalgestellungsvertrags vom die beklagte Gemeinde und der A nicht von einem Betriebs(teil)übergang ausgegangen sind, sondern im Gegenteil in § 6 Abs. 4 Betreibervertrag vereinbart haben, das am Stichtag in den Kindertagesstätten beschäftigte Personal verbleibe in der Anstellung bei der Gemeinde und werde aus dieser Position heraus im Rahmen einer Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD für den A tätig. Bei § 613a BGB handelt es sich um zwingendes Recht, der Übergang erfolgt von Rechts wegen (vgl. ua. [Celtec] - Rn. 38, Slg. 2005, I-4389; - C-362/89 [d’Urso ua.] - Rn. 20, Slg. 1991, I-4105; - C-324/86 [Foreningen af Arbejdsledere i Danmark, „Daddy’s Dance Hall“] - Rn. 14, Slg. 1988, 739;  - Rn. 81) und ungeachtet anderslautender Abmachungen. Es ist ohne Bedeutung, in welchem (vermeintlichen) Rechtsverhältnis der Übernehmer die bisherigen Arbeitnehmer nach der Übernahme (weiter-)beschäftigt (vgl.  - BAGE 91, 41). Die Verträge und Arbeitsverhältnisse, die im Zeitpunkt des Übergangs - bei Ablauf des auf den  - zwischen dem Veräußerer und den im übertragenen Betrieb(steil) beschäftigten Arbeitnehmern bestehen, sind als zu diesem Zeitpunkt vom Veräußerer auf den Erwerber übergegangen anzusehen, unabhängig davon, welche Einzelheiten dazu zwischen beiden vereinbart worden sind. § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD findet in der Folge - entgegen der Regelungen in § 6 Abs. 4 Betreibervertrag und im Personalgestellungsvertrag, denen § 613a BGB vorgeht - auf diese Situation keine Anwendung. Ob § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD iVm. § 6 Abs. 4 des Betreibervertrags sowie der Regelungen des Personalgestellungsvertrags von Bedeutung sein kann, falls Mitarbeiterinnen von ihrem Widerspruchsrecht (§ 613a Abs. 6 BGB) Gebrauch gemacht haben, ist hier nicht zu entscheiden.

25c) Ohne Bedeutung ist auch, dass eine Rückübertragung des Betriebsteils auf die beklagte Gemeinde nicht ausgeschlossen ist (dazu beispielsweise § 5 Betreibervertrag). Es handelt sich um eine auf die Laufzeit des Betreibervertrags (dazu dessen §§ 1 und 2) und damit auf Dauer angelegte Weiterführung der Kindertagesstätten H, B und G durch den A.

26II. Da in Folge des Betriebsübergangs am bei Zugang der Kündigung vom zwischen der beklagten Gemeinde und der Klägerin kein Arbeitsverhältnis mehr bestand und diese Kündigung deshalb ins Leere ging, kommt es auf die Frage ihrer Wirksamkeit als solche nicht mehr an.

27Ein Erfolg im Kündigungsschutzprozess setzt nach der punktuellen Streitgegenstandstheorie voraus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung (noch) ein Arbeitsverhältnis besteht. Dies gilt auch im Falle des Betriebsübergangs. Die Kündigung eines Betriebsveräußerers nach der Betriebsübertragung geht mangels eines mit ihm bestehenden Arbeitsverhältnisses ins Leere. Eine gleichwohl erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung ist unbegründet (ua. - Rn. 21; - 8 AZR 202/05 - Rn. 37 mwN).

28C. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
BB 2014 S. 1652 Nr. 27
BB 2014 S. 2430 Nr. 40
DStR 2014 S. 12 Nr. 31
NJW 2014 S. 2604 Nr. 35
ZIP 2014 S. 1992 Nr. 41
FAAAE-67674