Keine Revisionszulassung wegen Divergenz bei Gesamtwürdigung anhand aller Umstände des Einzelfalls (hier: Reihengeschäft)
Gesetze: UStG § 4 Nr. 1 Buchstabe b, UStG § 3 Abs. 6, UStG § 3 Abs. 7, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, betrieb im Jahr 2007 (Streitjahr) ein Autohaus. Sie lieferte im Streitjahr zwei PKW der Marke Volkswagen (VW) an die P mit Sitz in T, Königreich Spanien (Spanien).
2 Aufgrund einer Bestellung der P vom , über die die Klägerin am der P eine Rechnung erteilt hatte, übergab die Klägerin am einen VW Passat Sportline (PKW I) an die Firma G, die die P am zur Abholung des PKW I bei der Klägerin bevollmächtigt hatte. Bereits am hatte die P der Klägerin eine „Ausfuhrbestätigung” erteilt und darin versichert, den PKW I nach T in Spanien zu übernehmen und „ordnungsgemäß aus Deutschland auszuführen”. In dem Frachtbrief der G vom ist dagegen als „donneur d´ordre” (Auftraggeber) und „destinataire” (Empfänger) eine französische Firma (F) und als Abladeort eine Adresse in der Französischen Republik (Frankreich) angegeben. Im Feld „expéditeur” (Absender) finden sich ein Firmenstempel der Klägerin und eine Unterschrift.
3 Außerdem übergab die Klägerin aufgrund einer Bestellung der P und Rechnung vom am einen PKW VW Passat Comfortline (PKW II). Eine Empfangsbestätigung eines konkreten Abholers, dass dieser den PKW II übernommen habe, fehlt; allerdings versicherte P in einer Ausfuhrbestätigung vom , sie werde den PKW II aus der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) „ausführen” und an ihren Firmensitz in T in Spanien „übernehmen”. P hatte außerdem dem französischen Staatsbürger X mit Wohnsitz in Frankreich am eine Vollmacht zur Abholung des PKW II erteilt. In der Vollmacht wird von P nochmals bestätigt, dass der PKW II Deutschland „verlässt”.
4 Die Klägerin behandelte beide Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) folgte dem nach Durchführung einer Außenprüfung in dem auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung gestützten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2007 vom nicht, sondern vertrat die Auffassung, dass die Lieferung vom aufgrund Rechnung vom (Lieferung I) im Rahmen eines sog. Reihengeschäfts ausgeführt worden sei, wobei die Lieferung der Klägerin an P als ruhende Lieferung im Inland umsatzsteuerpflichtig sei. In Bezug auf die Lieferung vom (Lieferung II) sei der Belegnachweis nicht geführt, weil sich der Bestimmungsort der Lie-ferung nicht aus den Belegen ergebe. Gutglaubensschutz sei deshalb ebenfalls nicht zu gewähren. Der Einspruch blieb erfolglos.
5 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es entschied, der Beleg- und Buchnachweis für beide Lieferungen sei nicht geführt. Die Lieferung I sei aufgrund der Auftragserteilung von F an G als ruhende Lieferung im Inland umsatzsteuerpflichtig. Zu der Lieferung II habe das FA ebenfalls festgestellt, dass P den PKW II an einen französischen Abnehmer weitergeliefert habe. Es stehe nicht zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen des § 6a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) objektiv vorlägen; zwar seien beide PKW nach Frankreich gelangt, aber es sei unklar, ob dies aufgrund der Lieferungen der Klägerin an P geschehen sei. Vertrauensschutz sei der Klägerin schon deshalb nicht zu gewähren, weil sie ihren Nachweispflichten nicht nachgekommen sei.
6 Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin hinsichtlich der Lieferung I sämtliche in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Zulassungsgründe geltend und rügt in Bezug auf die Lieferung II als Verfahrensfehler, das Urteil des FG sei „widersprüchlich, inkonsistent und…willkürlich”.
7 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen entweder nicht vor oder sind nicht hinreichend dargelegt.
8 1. Soweit die Klägerin geltend macht, die Rechtssache habe in Bezug auf die Lieferung I grundsätzliche Bedeutung, liegt dieser Zulassungsgrund nicht vor.
9 a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 84/12, BFH/NV 2013, 771; vom XI B 120/13, BFH/NV 2014, 686). Fragen, die sich nur stellen können, wenn man von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgeht, können in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 23/10, BFH/NV 2011, 614; vom XI B 99/12, BFH/NV 2014, 366).
10 b) Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam, „ob die zufällige Kenntnisnahme des Verkäufers - nach Übergabe der Sachgewalt an einem Gegenstand -, dass er Teil eines innergemeinschaftlichen Reihengeschäfts ist, zu einer neuen umsatzsteuer[recht]lichen Beurteilung führen kann”.
11 Diese Rechtsfrage ist im Streitfall nicht klärbar; denn das FG ist auf S. 8 seines Urteils davon ausgegangen, dass der Frachtbrief, aus dem sich ergebe, dass G den PKW I für F abgeholt habe, vom stammt. Dass die Klägerin erst nach „Übergabe der Sachgewalt” (gemeint wohl: Verschaffung der Verfügungsmacht) von der Einbeziehung in ein Reihengeschäft erfahren habe, hat das FG nicht festgestellt. Deshalb ist das FG auch auf den S. 8 und 11 des Urteils weiter davon ausgegangen, dass die Klägerin eine „ruhende” Lieferung ausgeführt habe, d.h. die Versendung nicht der Lieferung der Klägerin an P zuzuordnen sei, und hat auf S. 12 des Urteils ausgeführt, dass der Klägerin kein Vertrauensschutz zu gewähren sei.
12 2. Die hinsichtlich der Lieferung I gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des BFH oder des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt.
13 a) Zur Darlegung einer Divergenz ist erforderlich, dass sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, in welcher konkreten Rechtsfrage das FG in der angefochtenen Entscheidung nach Ansicht des Beschwerdeführers von der Rechtsprechung anderer Gerichte abgewichen ist. Ein Beschwerdeführer muss rechtserhebliche abstrakte Rechtssätze im angefochtenen Urteil und in den von ihm angeführten Divergenzentscheidungen so genau bezeichnen, dass die Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273; vom XI B 116/12, BFH/NV 2013, 1640, jeweils m.w.N.). Des Weiteren ist darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 257/12, BFH/NV 2014, 3; vom XI B 75/12, BFH/NV 2014, 164, jeweils m.w.N.).
14 b) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht.
15 aa) Die Klägerin behauptet zwar in ihrer Beschwerdebegründung, das Urteil der Vorinstanz weiche von den EuGH-Urteilen vom C-409/04 —Teleos— (Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 42, 48, 70), C-184/05 —Twoh International— (Slg. 2007, I-7897, BStBl II 2009, 83, Rz 23), C-146/05 —Collée— (Slg. 2007, I-7861, BStBl II 2009, 78), vom C-430/09 —Euro Tyre Holding— (Slg. 2010, I-13335, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2011, 176, Rz 27, 31 ff. und 41 ff.) und vom C-587/10 —VSTR— (UR 2012, 832, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2012, 1212, Rz 32 und 37), von den BFH-Urteilen vom V R 3/10 (BFHE 235, 43, BFH/NV 2011, 2208, Rz 17 und 27) und vom XI R 11/09 (BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524, Rz 77) sowie von dem (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2014, 223, Orientierungssatz 3) ab.
16 bb) Allerdings hat sie diesen Urteilen keine Rechtssätze der Vorinstanz so gegenübergestellt, dass eine Abweichung erkennbar wird. Ebenfalls ist nicht dargelegt, dass die Sachverhalte vergleichbar sind. Vielmehr wendet sich die Klägerin mit dem Vorwurf der angeblichen Abweichung gegen das Ergebnis der Tatsachenwürdigung durch das FG und dessen Subsumtion unter § 6a UStG. Für die Annahme einer Divergenz reichen aber weder eine unzutreffende Tatsachenwürdigung noch eine (angeblich) fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls noch schlichte Subsumtionsfehler des FG aus (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 89/11, BFH/NV 2013, 778; vom IX B 154/12, BFH/NV 2013, 1239).
17 cc) Soweit das FG von Rz 17 und 18 des BFH-Urteils in BFHE 235, 43, BFH/NV 2011, 2208 (s.a. , BFH/NV 2012, 281, Rz 2 f.) dadurch abgewichen sein könnte, dass es —unter Berufung auf das EuGH-Urteil —Euro Tyre Holding— (Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176)— auf S. 9 seines Urteils eine Würdigung der Gesamtumstände der vorliegenden Lieferung vorgenommen hat, ist die Auffassung des V. Senats des BFH durch das EuGH-Urteil —VSTR— (UR 2012, 832, HFR 2012, 1212) überholt (vgl. Senatsurteil in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524, Rz 63 ff.).
18 3. Der für beide Lieferungen gerügte Verfahrensfehler, das FG habe den Sachverhalt nicht vollständig erfasst, gegen Denkgesetze verstoßen sowie „widersprüchlich, inkonsistent und…willkürlich” entschieden, worin ein Verstoß gegen § 96 FGO liege, ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.
19 a) Die Nichtberücksichtigung von Umständen, die —ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts— richtigerweise in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, kann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt oder seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachkommt.
20 aa) Insbesondere sind der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (z.B. BFH-Beschlüsse vom VI B 138/11, BFH/NV 2012, 970; vom III B 122/12, BFH/NV 2013, 1798). Das FG verletzt seine Pflicht zur vollständigen und zutreffenden Berücksichtigung des Streitstoffs, wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache oder einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX B 1/13, BFH/NV 2013, 1624; vom IV B 107/12, BFH/NV 2013, 1928).
21 bb) Die Rüge eines derartigen Verfahrensmangels setzt die Darlegung voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen des Beteiligten nicht entspreche oder eine aus den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen habe (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 209/11, BFH/NV 2013, 722; vom X B 165/12, BFH/NV 2013, 954).
22 cc) Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt hingegen nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint; insoweit könnte es sich um einen materiell-rechtlichen Fehler handeln, nicht indes um einen Verfahrensverstoß (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803; vom XI B 194/06, BFH/NV 2008, 87; vom III S 23/13 (PKH), BFH/NV 2014, 553). Selbst Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sind in der Regel materiell-rechtliche Fehler und können nicht als Verfahrensmangel gerügt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 1/12, BFH/NV 2012, 1616; vom III B 47/13, BFH/NV 2014, 72).
23 b) Die Klägerin rügt für beide Lieferungen, es sei widersprüchlich, ein Verstoß gegen Denkgesetze, inkonsistent und willkürlich, dass das FG einerseits angenommen habe, die beiden PKW seien nach Frankreich (und damit in das übrige Gemeinschaftsgebiet) gelangt, aber die Steuerfreiheit gerade deshalb verneint habe, weil die Fahrzeuge nach Frankreich gelangt seien. Abgesehen davon, dass dies so nicht zutrifft, weil das FG im Übrigen die Voraussetzungen von steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht für gegeben hielt, wendet sich die Klägerin damit lediglich gegen die Würdigung der festgestellten Tatsachen durch das FG.
24 c) Soweit das Vorbringen der Klägerin, die Würdigung des FG sei „widersprüchlich”, „inkonsistent” und „willkürlich” dahin gehend verstanden werden kann, dass damit nicht nur ein Verfahrensfehler, sondern gleichzeitig auch das Vorliegen einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung geltend gemacht wird, ist zwar nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Revision auch dann zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer „greifbar gesetzwidrigen” Entscheidung geführt hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I B 8/13, BFH/NV 2014, 378; vom X B 181/13, BFH/NV 2014, 523).
25 Eine Tatsachenwürdigung ist jedoch nur dann willkürlich, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Tatsachenwürdigung zuwiderläuft, so dass ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung besteht (z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 10/11, BFH/NV 2012, 1315; vom IX B 25/13, BFH/NV 2013, 1604). In der Beschwerdebegründung muss bei Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes substantiiert dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschlüsse vom V B 9/04, BFH/NV 2006, 248; vom VIII B 135/12, BFH/NV 2013, 1556).
26 Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht, die in ihrem Kern die Würdigung der Klägerin an die Stelle der Würdigung des FG setzt. Außerdem beachtet die Klägerin nicht, dass bei —vom FG angenommenen— Reihengeschäften die Beförderung oder Versendung nur einer der beiden Lieferungen zugerechnet werden kann (vgl. —EMAG Handel Eder—, Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294). Davon konnte sich das FG in Bezug auf die beiden Lieferungen der Klägerin an P auf den S. 8 und 10 seines Urteils nicht überzeugen. Deshalb besteht auch der von der Klägerin gesehene Widerspruch in der Sache nicht.
27 4. Der Senat sieht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer weiteren Begründung ab.
28 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1228 Nr. 8
DAAAE-66321