Beitragspflicht - Sozialkasse für das Maler- und Lackiererhandwerk - Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 7 Ca 1727/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 18 Sa 752/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für die Jahre 2005 bis 2007.
2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Maler- und Lackiererhandwerks. Er ist nach näherer tarifvertraglicher Maßgabe zum Einzug der Beiträge für das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung in diesem Handwerk verpflichtet. Die Beklagte unterhielt im Klagezeitraum einen Betrieb, der sich gemäß Handelsregistereintrag mit der „Durchführung von Sandstrahl- und Korrosionsschutzarbeiten, einfachen Reinigungsarbeiten und damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, insbesondere für Schiffe und Industrieanlagen, sowie Hilfsarbeiten aller Art“ befasste. Die Beklagte hat arbeitszeitlich überwiegend als Subunternehmerin auf Großwerften Korrosionsschutzarbeiten in Form von Entrostungs- und Oberflächenbeschichtungsarbeiten an Schiffen einschließlich damit in Zusammenhang stehender Nebentätigkeiten erbracht und dabei ca. 450 ungelernte Arbeitskräfte aus Griechenland eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt kein Fachpersonal.
3Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk vom (VTV Maler) bestimmt Folgendes:
4Der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom (RTV Maler) hat in den im Streitzeitraum geltenden Fassungen Folgendes geregelt:
5Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 2 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom (VTV Bau) unterfallen Betriebe, die Eisenschutzarbeiten ausführen, dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV Bau. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 6 VTV Bau sind Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks vom Geltungsbereich des VTV Bau aber ausgenommen, sofern nicht Arbeiten ua. der in Abschnitt IV aufgeführten Art ausgeführt werden. Die Allgemeinverbindlichkeit des VTV Bau erstreckt sich nach Abschnitt III Nr. 1 des Ersten Teils der Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom nicht auf (Eisenschutzarbeiten ausführende) Betriebe, die vom RTV Maler erfasst werden.
6Der Kläger ist der Auffassung, der Geltungsbereich des VTV Maler erfasse den Betrieb der Beklagten; dieser sei handwerklich und nicht industriell geprägt.
7Der Kläger hat beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, Korrosionsschutz an Schiffen sei ein eigener Industriezweig, die Arbeiten seien durch umfangreichen Maschineneinsatz, sich ständig wiederholende und gleichförmige Arbeitsprozesse, Arbeitsteilung und Arbeitnehmer ohne fachliche Qualifikation geprägt.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
10Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen nach § 5 Nr. 1 VTV Maler. Die Beklagte führt keinen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks, sondern einen industriell geprägten Betrieb. Dieser wird nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler erfasst.
11I. Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich des VTV Maler erfasst, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks iSv. § 1 Nr. 2 Abs. 1 RTV Maler ausgeübt werden. Werden solche Tätigkeiten erbracht, sind ihnen diejenigen Nebentätigkeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der Tätigkeiten notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen (st. Rspr., zuletzt zum VTV Bau: - Rn. 12), auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an (st. Rspr., - Rn. 12; - 10 AZR 593/08 - Rn. 16; - 10 AZR 369/06 - Rn. 13; - 10 AZR 756/05 - Rn. 13). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb überwiegend Tätigkeiten des betrieblichen Geltungsbereichs eines Sozialkassentarifvertrags verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse (st. Rspr., zuletzt -).
12II. Der Betrieb der Beklagten verrichtet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitszeitlich überwiegend auf Großwerften Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen, wie Entrostungs- und Oberflächenbeschichtungsarbeiten einschließlich der Zusammenhangstätigkeiten. Dies können „Entrostungs- und Eisenanstricharbeiten“ sein, die vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler und RTV Maler erfasst werden. Dass Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen durchgeführt werden, ist dabei unerheblich; der betriebliche Geltungsbereich beider Tarifverträge ist unabhängig von der Art des zu bearbeitenden Objekts für alle Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks eröffnet.
13III. Der Betrieb wird aber deshalb nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler erfasst, weil er industriell und nicht handwerklich geprägt ist. Er ist kein Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks.
141. Tarifvertragspartei des VTV Maler und RTV Maler ist auf Arbeitgeberseite der Bundesinnungsverband des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV Maler und des RTV Maler erfasst ausschließlich Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks; Betriebe, die ihre Leistungen industriell erbringen, fallen nicht unter den Geltungsbereich ( -). Werden Eisenschutzarbeiten nicht in einer handwerklich, sondern industriell geprägten Arbeitsweise ausgeführt, ist der betriebliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 2 VTV Bau (Eisenschutzarbeiten) eröffnet.
152. Ob es sich im Einzelfall um einen Handwerks- oder Industriebetrieb handelt, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung der jeweiligen tariflichen Regelungen zu ermitteln (st. Rspr., - Rn. 16; - 10 AZR 838/09 - Rn. 23). Die Abgrenzung hat nicht nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien, sondern vorrangig danach zu erfolgen, ob die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer handwerklich oder nicht handwerklich geprägt ist. Eine etwaige Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, kann dabei ein wesentliches Kriterium für die Handwerkseigenschaft darstellen. Der Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen. Dafür ist entscheidend, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung und Unterstützung der Handfertigung dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und dass die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte - in der Regel immer wiederkehrende - und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden ( - Rn. 16; - 10 AZR 838/09 - Rn. 22; - 5 AZR 25/83 - zu II 2 c, d, e, g der Gründe). Die technische Entwicklung hat zwar dazu geführt, dass auch Handwerksbetriebe in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind; technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen können sogar dazu führen, dass einzelne Zweige des Handwerks oder einzelne Betriebe zu anderen Betriebsformen überwechseln (vgl. 6 B 5.04 - zu 1 a aa der Gründe). Allein die Nutzung technischer Hilfsmittel spricht aber nicht für einen Industrie- und gegen einen Handwerksbetrieb. Werden dagegen als Folge der Technisierung wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich und bleibt kein Raum mehr für das handwerkliche Können, liegt eine handwerksmäßige Betriebsform fern ( - Rn. 16).
163. Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen, sie haben insoweit einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ( - Rn. 17; - 10 AZR 838/09 - Rn. 23).
174. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es handele sich bei dem Betrieb der Beklagten um einen Industriebetrieb, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
18a) Entrostungs- und Korrosionsschutzarbeiten können handwerklich ausgeführt werden. Dies zeigt die Verordnung über die Berufsausbildung im Maler- und Lackierergewerbe vom (MalerLackAusbV, BGBl. I S. 1064, 1546), die in § 6 Nr. 3 als Gegenstand der Berufsausbildung die Fachrichtung Bauten- und Korrosionsschutz und die einzelnen Ausbildungsschritte benennt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 MalerLackAusbV sind in der Gesellenprüfung auch im Prüfungsbereich Korrosionsschutz und Bautenschutz fachliche Probleme mit verknüpften informationstechnischen, technologischen und mathematischen Kenntnissen zu analysieren, zu bewerten und zu lösen. Im Prüfungsbereich Korrosionsschutz soll der Prüfling zeigen, dass er die Ausführung des Kundenauftrags planen, Korrosionsschutzsysteme entsprechend der Belastung von Objekten und Bauwerken sowie erforderliche Entrostungsverfahren, Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung, Beschichtungssysteme und metallische Überzüge auswählen und beschreiben, den Einsatz von Anlagen und Geräten, Gerüsten und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt unter Beachtung von Normen, technischen Richtlinien und Merkblättern einbeziehen, sowie Flächen, Kosten und Mengen berechnen kann (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 MalerLackAusbV).
19b) Handwerkliche Korrosionsschutzarbeiten im vorbeschriebenen Sinn werden im Betrieb der Beklagten nicht verrichtet. Die Tätigkeit ist zwar insoweit „händisch“, als das Sandstrahlen und das Aufbringen des Anstrichs mit den eingesetzten maschinellen Hilfsmitteln durch einen Arbeitnehmer von Hand gesteuert wird, eine „handwerkliche“ Tätigkeit verrichten die Arbeitnehmer dabei jedoch nicht. Jede einzelne Arbeitskraft führt wiederkehrende eng begrenzte Teilarbeiten aus, wie dies typischerweise in einem Industriebetrieb der Fall ist. Großflächig an Schiffen vorgenommene Korrosionsschutzarbeiten werden nicht durch die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter, sondern durch die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel geprägt. Die Mitarbeiter müssen nicht Kundenaufträge planen und organisieren, geeignete Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung und Beschichtung auswählen und umsetzen; durch den großflächigen Einsatz technischer Hilfsmittel sind Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks weitgehend entbehrlich. Dem entspricht, dass im Betrieb der Beklagten ausschließlich ungelernte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Ein Betrieb, der sich mit einer Betriebsgröße von mehreren hundert Mitarbeitern deutlich von einem typischen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks unterscheidet und vollständig auf den Einsatz von Fachkräften verzichten kann, ist kein Betrieb des Maler- und Lackierhandwerks, sondern industriell geprägt, sodass jedenfalls zu den Sozialkassen des Maler- und Lackiererhandwerks keine Beiträge entrichtet werden müssen.
20IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 1588 Nr. 26
DB 2014 S. 1384 Nr. 24
GAAAE-66213