Insolvenzverfahren über das Vermögen eines selbständig tätigen Zahnarztes: Abführungspflicht für den pfändbaren Betrag eines erwirtschafteten Gewinns an den Insolvenzverwalter; gerichtliche Geltendmachung des abzuführenden Betrages; Darlegungs- und Beweislast zur Ermittlung dessen Höhe
Leitsatz
1. Der Schuldner ist nach Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit im eröffneten Insolvenzverfahren verpflichtet, aus einem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn dem Insolvenzverwalter den pfändbaren Betrag nach dem fiktiven Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO abzuführen (Fortführung von , WM 2013, 1612).
2. Der wegen der Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners von diesem an die Masse abzuführende Betrag ist vom Insolvenzverwalter auf dem Prozessweg geltend zu machen.
3. Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung der Höhe des an die Masse abzuführenden Betrags.
Gesetze: § 35 Abs 2 InsO, § 295 Abs 2 InsO
Instanzenzug: Az: 10 U 444/11vorgehend Az: 9 O 239/10
Tatbestand
1Mit wurde über das Vermögen des Beklagten, eines Zahnarztes (künftig auch: Schuldner), das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom gab der Kläger gegenüber dem Beklagten dessen Vermögen aus seiner selbständigen Tätigkeit als Zahnarzt ab dem , 24.00 Uhr, frei und forderte den Beklagten auf, nach § 295 Abs. 2 InsO Zahlungen zu leisten. Mit Schreiben vom stellte der Kläger klar, dass die Freigabe ab , 24.00 Uhr, habe erfolgen sollen.
2Der Kläger verlangt vom Beklagten für die Zeit ab bis Zahlung von 1.638,01 € monatlich, zusammen 24.570,15 €. Der selbständig tätige Beklagte habe als angestellter Zahnarzt einen monatlichen Bruttoverdienst von 6.005,57 € erzielen können, was einem Nettogehalt von 3.233,69 € entspreche. Hiervon sei ein Betrag von 1.638,01 € pfändbar. Den pfändbaren Betrag müsse der Schuldner an die Masse abführen. Der Beklagte meint, dass der Kläger keinen Anspruch auf Abführung fiktiver Einkünfte besitze. Mit seiner selbständigen Tätigkeit als Zahnarzt erziele er keine Einnahmen in der genannten Höhe.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
4Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5Das Berufungsgericht hat gemeint, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht aus §§ 148, 80 InsO. Der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterlägen nur reale, nicht fiktive Vermögensgegenstände. Dass der Beklagte aufgrund der frei gegebenen Tätigkeit tatsächlich Einkünfte erzielt habe, gar in der vom Kläger genannten Höhe, habe dieser nicht vorgetragen.
6Soweit der Kläger Herausgabe von Gegenständen der Masse begehre, fehle hierfür schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil er diese ohnehin nach § 148 InsO in Besitz und Verwaltung zu nehmen habe. Soweit der Schuldner die Herausgabe verweigere, könne der Verwalter aus dem Eröffnungsbeschluss vollstrecken, der gemäß § 148 Abs. 2 InsO selbst Titel sei. Allerdings gehe es hier gerade nicht um die Herausgabe von Gegenständen der Masse. Vielmehr wolle der Verwalter Zugriff nehmen auf Einkünfte, die er freigegeben habe und die deshalb nicht in die Masse fielen.
7Der geltend gemachte Anspruch finde seine Grundlage auch nicht in § 35 Abs. 2, § 295 InsO. Aus diesen Bestimmungen folge kein Zahlungsanspruch. Ein solcher könne sich ohnehin nur aus konkret erzielten, nicht aus fiktiven Einkünften ergeben. § 295 Abs. 2 InsO begründet zudem keinen klagbaren Anspruch, vielmehr werde dort lediglich eine Obliegenheit normiert, die der Schuldner bis zum Ende der Wohlverhaltensperiode vor der Entscheidung über die Restschuldbefreiung erfüllt haben müsse. Diese Obliegenheit treffe den Schuldner zudem erst von der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an. Die Obliegenheiten des § 295 InsO beanspruchten Geltung nicht bereits im eröffneten Verfahren, sondern erst in der Wohlverhaltensperiode, die noch nicht begonnen habe.
8Im Übrigen erscheine fraglich, ob der Kläger die vom Beklagten möglicherweise erzielbaren Einkünfte hinreichend dargelegt habe. Dazu genüge nicht die Darlegung des tarifvertraglichen Entgelts. Erforderlich sei auch, dass der im fortgeschrittenen Alter befindliche Schuldner derartige Einkünfte tatsächlich habe erzielen können.
9Da die Insolvenzordnung kein Verfahren zur Festlegung der nach § 295 Abs. 2 InsO zu zahlenden Leistungen vorsehe, könne hierüber erst bei der Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung befunden werden.
II.
10Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
111. Die Klage ist zulässig. Dem Kläger fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ein einfacherer Weg, sein Rechtsschutzziel zu erreichen, steht ihm nicht zur Verfügung.
12a) Nach § 148 Abs. 1 InsO ist es die Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Soweit der Schuldner seinen hierauf bezogenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, bildet gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses zugleich einen Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegen den Schuldner (, ZVI 2009, 74 Rn. 18; Urteil vom - IX ZR 46/11, NZI 2011, 979 Rn. 6).
13Die vom Schuldner begehrte Zahlung bezieht sich jedoch nicht auf einen vom Insolvenzbeschlag erfassten Gegenstand. Infolge der Freigabe fiel der Neuerwerb des Schuldners aus der freiberuflichen Tätigkeit ab dem nicht mehr in die Masse (, ZIP 2013, 1181). Die von dem Schuldner ab Wirksamwerden der Freigabeerklärung aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte stehen deshalb als ihm gehörendes Vermögen grundsätzlich nur den Neugläubigern, deren Forderungen nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung (, WM 2011, 1344 Rn. 11; Urteil vom - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 28; vom , aaO). Der Kläger muss deshalb seinen Anspruch gegen den Beklagten im Klageweg verfolgen.
14b) Der einfachere Weg der Entscheidung durch das Insolvenzgericht nach § 36 Abs. 4 InsO ist ihm verwehrt. Schon der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Gegenständen kann nur im Wege des Rechtsstreits vor dem Prozessgericht entschieden werden, wenn er keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft (, ZIP 2012, 1371 Rn. 6 mwN). Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht gemäß § 36 Abs. 4 InsO oder das Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hängt davon ab, ob die Auseinandersetzung um die Massezugehörigkeit als solche geführt wird - dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht - oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird - dann entscheidet das Insolvenzgericht - im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO ( aaO mwN). Zuständig wäre danach das Prozessgericht.
15Erst recht ist die Frage, ob und in welcher Höhe sich ein Anspruch des Verwalters gegen den Schuldner aus der gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechenden Anwendung des § 295 Abs. 2 InsO ergibt, von dem Prozessgericht zu entscheiden.
162. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers aus § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO abgelehnt hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
17Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, gehört es zu den vom Schuldner nach einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO zu beachtenden Pflichten, dass er die nach § 295 Abs. 2 InsO maßgeblichen Beträge schon im Laufe des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter abführt. Hierbei handele es sich nicht lediglich um eine Obliegenheit, die eine Versagung der Restschuldbefreiung zur Folge haben kann, sondern um eine eigenständige Abführungspflicht, auf deren Einhaltung der Insolvenzverwalter einen unmittelbaren Anspruch hat (, WM 2013, 1612 Rn. 20).
18Sie gebietet im Regelfall eine jährliche Zahlung (vgl. , ZInsO 2012, 1488 Rn. 14; vom , aaO). Der Kläger kann deshalb 15 Monate nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung für diesen Zeitraum im laufenden Insolvenzverfahren den Zahlungsanspruch der Masse gegen den Schuldner geltend machen.
III.
19Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Den Parteien wird Gelegenheit zu geben sein, ergänzend vorzutragen. Hierfür und für die erneute Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf folgendes hin:
20Die Frage, ob und in welcher Höhe den Schuldner eine Abführungspflicht trifft, hat der Senat nach Erlass der aufgehobenen Entscheidung des Berufungsgerichts im Einzelnen geklärt. Danach gilt folgendes:
211. Der Schuldner ist nur dann verpflichtet, nach § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO etwas an die Insolvenzmasse abzuführen, wenn er tatsächlich einen Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit erzielt hat, der den unpfändbaren Betrag bei unselbständiger Tätigkeit übersteigt. Die Abführungspflicht ist zudem nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO der Höhe nach beschränkt auf den pfändbaren Betrag, den er bei unselbständiger Tätigkeit erzielen würde.
22Den Schuldner trifft im laufenden Insolvenzverfahren nach derzeit geltendem Recht nicht die Pflicht, ein abhängiges Dienstverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit auszuüben, weil seine Arbeitskraft nicht in die Masse fällt (, BGHZ 167, 363 Rn. 16; Beschluss vom - IX ZB 249/07, WM 2009, 361 Rn. 11; vom , aaO Rn. 6 ff, 15). Übt er eine unselbständige Tätigkeit aus, fällt gleichwohl der pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens als Neuerwerb gemäß § 35 Abs. 1 InsO in die Masse; geht er einer selbständigen Tätigkeit nach, werden alle Einkünfte aus dieser Tätigkeit vom Insolvenzbeschlag erfasst ( aaO Rn. 6). Ist die selbständige Tätigkeit vom Insolvenzverwalter jedoch gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegeben, besteht gegenüber der Masse lediglich die Abführungspflicht entsprechend § 295 Abs. 2 InsO. Maßstab für die Höhe der Abführungspflicht ist das nach § 295 Abs. 2 InsO zu bestimmende pfändbare fiktive Nettoeinkommen ( aaO Rn. 16 ff mwN).
232. Der Schuldner ist dem Insolvenzverwalter gegenüber umfassend auskunftspflichtig hinsichtlich der Umstände, die für die Ermittlung des fiktiven Maßstabs erforderlich sind, aus denen sich die ihm mögliche abhängige Tätigkeit und das anzunehmende fiktive (Netto-)Einkommen ableiten lassen (, ZInsO 2009, 1268 Rn. 9; vom , aaO Rn. 9; vom , aaO Rn. 20).
24Im vorliegenden Prozess hat der Kläger für seine Leistungsanträge die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere die dem Schuldner mögliche Tätigkeit in abhängiger Stellung, darzulegen und zu beweisen. Das schließt auch die Frage ein, ob entsprechende Stellen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind. Hinsichtlich seiner Qualifikation und Leistungsfähigkeit trifft den Beklagten jedoch im Umfang seiner im Insolvenzverfahren bestehenden Auskunftspflicht eine sekundäre Darlegungslast.
253. Liegt der tatsächliche Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit im fraglichen Zeitraum unterhalb des pfändbaren Betrages bei abhängiger Tätigkeit, besteht, wie dargelegt, keine Abführungspflicht. Außerhalb des Rechtsstreits ist der Schuldner in diesem Falle hinsichtlich seiner Gewinnermittlung dem Verwalter umfassend auskunftspflichtig ( aaO Rn. 21). Im Streitverfahren trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast, dass sein Gewinn unterhalb des ermittelten pfändbaren Betrages bei abhängiger Tätigkeit bleibt und er deshalb von der Abführungspflicht entsprechend § 295 Abs. 2 InsO befreit ist.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2014 S. 6 Nr. 16
DB 2014 S. 888 Nr. 16
DStR 2014 S. 1557 Nr. 31
NJW-RR 2014 S. 617 Nr. 10
WM 2014 S. 751 Nr. 16
DAAAE-61733