BVerwG Beschluss v. - 3 B 60.13

Instanzenzug:

Gründe

I

1Die Klägerin ist Inhaberin der Zulassung für das Arzneimittel "Penciclovir-SB Creme" mit dem einzigen arzneilich wirksamen Bestandteil Penciclovir.

2Die von ihr angezeigte Änderung der Bezeichnung des Arzneimittels in "Fenistil® Pencivir bei Lippenherpes" akzeptierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht, weil das Arzneimittel nicht den Wirkstoff Dimetinden enthalte, der in den von der Klägerin unter der Dachmarke Fenistil vertriebenen Arzneimitteln enthalten sei. Damit werde eine entsprechende Wirkung durch ein nicht vorhandenes Antihistaminikum suggeriert; für die zugelassene dermatologische Indikation sei ein Antihistaminikum zudem deplatziert.

3Nachdem die Klägerin zunächst die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, die gewünschte Bezeichnungsänderung vorzunehmen, hat sie nach Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht während des Berufungsverfahrens eine nochmalige Änderung des Arzneimittels bei der Behörde angezeigt, nunmehr in "Pencivir bei Lippenherpes", und gleichzeitig unter hilfsweiser Aufrechterhaltung ihres bisherigen Klageantrages die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und sich auf ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung berufen.

4Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und dazu ausgeführt: Zwar habe sich das ursprüngliche Verpflichtungsbegehren tatsächlich erledigt; die Beklagte habe aber ein berechtigtes Interesse an einem klageabweisenden Sachurteil, weil zwischen den Beteiligten eine Wiederholungsgefahr bestehe. Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin sei unbegründet gewesen; denn die zunächst angezeigte Änderung der Arzneimittelbezeichnung sei mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes - AMG- unvereinbar, wonach es verboten sei, Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die mit irreführender Bezeichnung versehen seien.

II

5Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Es sind weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel erkennbar, noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

61. Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO, weil das Berufungsgericht ihren Antrag,

eine repräsentative Verbraucherumfrage in Auftrag zu geben zum Nachweis, dass die Bezeichnung "Fenistil® Pencivir bei Lippenherpes" nicht irreführend sei oder zu Verwechslungen mit anderen Produkten führe,

rechtsfehlerhaft abgelehnt habe.

7Zwar trifft es zu, dass das Gericht Beweisanträge, die für die Entscheidung erheblich sein können, berücksichtigen muss und die Ablehnung eines Beweisantrages jedenfalls dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet ( - BVerfGE 69, 141 <144>; stRspr); die Klägerin nimmt jedoch nach wie vor nicht zur Kenntnis - obwohl sie bereits von der Beklagten im Berufungsverfahren darauf hingewiesen worden ist, wo sie bereits dieselbe Rüge gegen die Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts erhoben hatte -, dass Beweisanträge im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO nur solche sind, die in der mündlichen Verhandlung gestellt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sind ( BVerwG 9 B 53.11 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 70 Rn. 6 m.w.N.; stRspr). Einen solchen Antrag hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht gestellt; sie beruft sich vielmehr auf ein entsprechendes Begehren in ihrer schriftlichen Berufungsbegründung. Dabei handelt es sich jedoch um nicht mehr als die Ankündigung eines Beweisantrages, die, wenn sie in der mündlichen Verhandlung nicht wahrgemacht wird, als bloße Anregung zu verstehen ist, in der gewünschten Weise im Rahmen der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO zu ermitteln. Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG oder § 108 Abs. 2 VwGO nur in Betracht, soweit das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen; darin läge zugleich ein Mangel der Sachaufklärung, den die Klägerin im Abschnitt II Nr. 3 ihrer Beschwerdebegründung ebenfalls sinngemäß rügt.

8Dass das Gericht die Beweisanregung von vornherein aus seinen Erwägungen ausgeblendet hat, scheidet angesichts der ausdrücklichen Auseinandersetzung mit dieser Frage in den Urteilsgründen aus und wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Ebenso wenig ist aber eine willkürliche Nichtbefolgung der Beweisanregung und eine darin liegende Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung erkennbar. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass es sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, sich zur Beurteilung einer möglichen irreführenden Wirkung der umstrittenen Arzneimittelbezeichnung einer repräsentativen Verbraucherumfrage zu bedienen.

9Die Tatsachengerichte entscheiden über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Stützt sich das Gericht auf eigene Sachkunde, verletzt es seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn es eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es darlegt, dass ihm das erforderliche Wissen in genügendem Maße zur Verfügung steht, oder wenn die Entscheidungsgründe sonst auf eine mangelnde Sachkunde schließen lassen (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 5 B 5.12 - ZOV 2012, 289 Rn. 7 und vom - BVerwG 1 B 1.90 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 55 S. 35, jeweils m.w.N. sowie Beschlüsse des Senats vom - BVerwG 3 B 62.12 - [...] Rn. 12 und vom - BVerwG 3 B 64.12 - [...] Rn. 8; stRspr). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht ist dem Aufklärungsbegehren nicht gefolgt, weil sich die Richter zum Kreis der durchschnittlichen Verbraucher gezählt und sich daher für hinreichend sachkundig gehalten haben, die aufgeworfene Frage zu beantworten. Dies ist nicht zu beanstanden; denn es gehört zum gesicherten Stand höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass es unter solchen Voraussetzungen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens bedarf (vgl. - BGHZ 156, 250 <254> und vom - I ZR 230/11 - BGHZ 194, 314 Rn. 32 m.w.N. sowie BVerwG 1 B 45.00 - Buchholz 418.711 LMBG Nr. 34 S. 1 f. m.w.N.).

10Die Klägerin macht diese Rechtsprechung zwar zur Grundlage ihrer Rüge und gesteht den Gerichten durchaus zu, sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit zu verlassen; sie beanstandet jedoch, dass das Oberverwaltungsgericht sich bei der Einschätzung der irreführenden Wirkung der Arzneimittelbezeichnung gerade nicht auf das Verständnis des typischen Durchschnittsverbrauchers bezogen habe, sondern durch Heranziehung der eigenen Sachkunde auf die durch die Befassung mit der Sache überdurchschnittlich informierten und damit nicht mehr zu dem Kreis der Durchschnittsverbraucher gehörenden Richter abgestellt habe, die von den überzogenen Vorgaben der Beklagten beeinflusst worden seien. Dieser Einwand ist nicht berechtigt; denn er bedeutet der Sache nach, dass das Gericht, selbst wenn die Richter zum Kreis der Durchschnittsverbraucher zählen, schon deshalb keine hinreichende eigene Sachkunde über die typischen Verbrauchervorstellungen haben kann, weil es aufgrund seiner beruflichen Befassung mit dem Streitgegenstand "überinformiert" ist. Dies widerspricht im Ergebnis der Rechtsprechung, auf deren Boden sich die Klägerin selbst stellt und deren selbstverständliche Grundlage es ist, dass von den mit der Sache befassten Richtern erwartet werden darf und von der Prozessordnung auch erwartet wird, zwischen ihren Erfahrungen und Erwartungen als Durchschnittsverbraucher und dem Wissen, dass sie sich durch die dienstliche Befassung mit der Sachmaterie erworben haben, differenzieren zu können.

11Sollte die Klägerin demgegenüber rügen wollen, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung nicht die Vorstellungen des typischen Durchschnittsverbrauchers, sondern bewusst die durch größeres berufliches Erfahrungswissen geprägten eigenen Erwartungen zugrunde gelegt habe, würde es sich um einen materiellrechtlichen Einwand handeln, der nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein kann.

122. Die Rechtssache weist auch nicht die für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderliche grundsätzliche Bedeutung auf.

13a) Soweit die Klägerin diesen Revisionszulassungsgrund allein daraus ableiten will, dass das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen und das Oberverwaltungsgericht das besondere Interesse der Beklagten an einer Sachentscheidung trotz tatsächlicher Erledigung des Verpflichtungsbegehrens bejaht hat, genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer Grundsatzrüge; denn die Klägerin formuliert in diesem Zusammenhang keine über den Fall hinausweisende klärungsfähige Rechtsfrage, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.

14b) Ebenso wenig genügt es den formellen Anforderungen einer Grundsatzrüge, wenn die Klägerin sich auf das Erfordernis beruft, "klare und allgemein gültige Kriterien für die ... Feststellung einer Irreführung im Sinne des § 8 AMG festzulegen". Auch hier reicht es nicht aus, wenn die Klägerin im Einzelnen darlegt, warum das Berufungsgericht ihrer Meinung nach die Verkehrsauffassung fehlerhaft ermittelt hat, ohne eine konkrete Grundsatzfrage zu bezeichnen, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden müsste.

15c) Der anschließende Fragenkomplex, mit dem die Klägerin sinngemäß geklärt wissen will, welche Rechtsnatur die nach § 29 Abs. 2 Satz 1 AMG vorzunehmende Änderung der Arzneimittelbezeichnung hat, unter welchen Voraussetzungen die Zulassungsbehörde die Änderung des Zulassungsbescheides verweigern kann und ob das mit der abgelehnten Bezeichnung in Verkehr befindliche Arzneimittel ohne Zulassung vertrieben wird, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.

16Die Frage nach der Rechtsnatur der Änderung des Zulassungsbescheides müsste in einem Revisionsverfahren nicht zwingend beantwortet werden. Da dieses zum Gegenstand haben würde, ob die Beklagte ein fortbestehendes Interesse an einem klageabweisenden Urteil hat und ob ein Anspruch auf die angestrebte Änderung bestand, wäre es im Ergebnis ohne Belang, ob dieser Anspruch im Wege eines Verwaltungsakts oder durch schlichtes Verwaltungshandeln zu erfüllen ist. Dennoch liegt es auf der Hand und ergibt sich auch - zumindest indirekt - aus den Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom - BVerwG 3 B 91.07 - ([...] Rn. 4), dass eine Änderung des Zulassungsbescheides, der fraglos ein Verwaltungsakt ist, notwendigerweise Regelungswirkung hat. Ebenso wenig dürfte es ernstlichen Zweifeln unterliegen, dass die hier ausgesprochene Ablehnung, den Zulassungsbescheid in der gewünschten Weise zu ändern, gleichfalls eine Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG- ist.

17Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Behörde die Änderung des Zulassungsbescheides ablehnen kann, stellt sich hier nur im Hinblick auf die Anzeige einer irreführenden Arzneimittelbezeichnung. Dass eine solche Änderung abgelehnt werden darf, ist mit dem genannten Beschluss des Senats vom (a.a.O. [...] Rn. 5) bejaht worden und damit hinreichend geklärt.

18Die weitere Frage, ob das mit der abgelehnten Bezeichnung in Verkehr befindliche Arzneimittel ohne Zulassung vertrieben wird, würde sich in einem Revisionsverfahren, in dem allein über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung gestritten wird, nicht stellen und kann schon deswegen nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Im Übrigen ordnet § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG unmissverständlich an, dass es verboten ist, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die mit einer irreführenden Bezeichnung versehen sind.

193. Die folgenden Ausführungen der Klägerin zum Grundrechtsschutz nach Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, den die Nutzung der Marke Fenistil genießt, und zu den Anforderungen, die sie aus diesen Grundrechten für die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 1 AMG herleitet (Abschnitt III der Beschwerdebegründung), verdeutlichen nicht, welchen Bezug sie zu der angestrebten Revisionszulassung haben sollen. Insoweit wendet sich die Klägerin in der Art der Begründung eines bereits zugelassenen Rechtsmittels gegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, ohne in der gebotenen Weise Gründe herauszuarbeiten, die erst den Zugang zu der Revisionsinstanz eröffnen. Dasselbe gilt für ihre Ausführungen in den Abschnitten IV und V ihrer Beschwerdebegründung, mit denen sie ihr Vorbringen weiter erläutert und daraus Kritik an Einzelpunkten des angegriffenen Urteils ableitet.

20Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
SAAAE-60795