BAG Beschluss v. - 1 ABR 45/12

Berichtigung eines Einigungsstellenspruchs

Leitsatz

Der Vorsitzende einer Einigungsstelle kann die Formunwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs nicht durch eine § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG entsprechende Zuleitung der von ihm inhaltlich korrigierten Spruchfassung beseitigen.

Gesetze: § 76 Abs 3 S 4 BetrVG, § 319 ZPO, § 1058 ZPO, § 126 Abs 3 BGB

Instanzenzug: ArbG Frankfurt (Oder) Az: 8 BV 39/11 Beschlussvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 5 TaBV 141/12 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

2Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Maschinen- und Industrieanlagenbaus. Aus Anlass einer Betriebsänderung beschloss eine bei ihr gebildete Einigungsstelle am einen Sozialplan. Der Einigungsstellenvorsitzende leitete den von ihm unterzeichneten Spruch der Arbeitgeberin mit dem Protokoll der letzten Einigungsstellensitzung am als pdf-Datei im Anhang einer E-Mail zu.

3Am rügte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats gegenüber dem Einigungsstellenvorsitzenden einen Fehler in der Niederschrift des zugeleiteten Spruchs. Die Einigungsstelle habe als Entgeltausgleich für eine Vergütungsdifferenz in einem neuen Arbeitsverhältnis nicht - wie in der Niederschrift enthalten - den 12-fachen, sondern den 15-fachen monatlichen Unterschiedsbetrag beschlossen.

4Nach einem umfangreichen Schriftwechsel, in dem die Arbeitgeberin eine derartige Beschlussfassung bestritten hatte, änderte der Einigungsstellenvorsitzende am die Niederschrift des Einigungsstellenbeschlusses vom ab und leitete einen von ihm im Original unterzeichneten „berichtigten“ Einigungsstellenspruch, der die vom Betriebsrat geforderte Änderung enthielt, der Arbeitgeberin zu.

5Diese hat die Auffassung vertreten, der Einigungsstellenvorsitzende habe den Spruch vom nach Zustellung an die Betriebsparteien nicht mehr ändern können.

6Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt

7Der Betriebsrat hat Antragsabweisung beantragt.

8Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihm entsprochen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

9B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der „berichtigte Spruch der Einigungsstelle“ vom ist unwirksam.

10I. Das Einigungsstellenverfahren war mit der Zuleitung des Spruchs vom abgeschlossen.

111. Nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten.

12a) Das gesetzliche Formerfordernis des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG dient in erster Linie der Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und dokumentiert den Willen der Einigungsstellenmitglieder. Für die Betriebsparteien und für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer wird damit rechtssicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthält. Die Beurkundung und Dokumentation ist erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt und ihm erst dann die gleiche normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) zukommt wie einer von den Betriebsparteien geschlossenen Betriebsvereinbarung. Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform ist daher Wirksamkeitsvoraussetzung eines Einigungsstellenspruchs. Fehlt es hieran, ist der von der Einigungsstelle zuvor beschlossene Spruch wirkungslos ( - Rn. 19, BAGE 135, 377).

13b) Die Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann nach dem Rechtsgedanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) und auch nicht durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist eine auf dem Normcharakter des Einigungsstellenspruchs beruhende Sonderregelung. Ein in Form einer pdf-Datei übermittelter Einigungsstellenspruch genügt diesen Anforderungen deshalb auch dann nicht, wenn sich die Unterschrift des Einigungsstellenvorsitzenden darin in eingescannter Form befindet ( - Rn. 18 - 20, BAGE 141, 42).

14c) Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksamkeit ist der Zeitpunkt, in dem der Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der Absicht der Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermittelt ( - Rn. 18 f., BAGE 135, 377). Mit dem Zugang des mit Zuleitungswillen den Betriebsparteien übermittelten Einigungsstellenspruchs ist das Einigungsstellenverfahren grundsätzlich abgeschlossen. Nur bei einer durch das Arbeitsgericht festgestellten Unwirksamkeit des Spruchs ist das Einigungsstellenverfahren fortzusetzen.

152. Nach diesen Grundsätzen war das Einigungsstellenverfahren mit der Zuleitung des formunwirksamen Spruchs vom durch E-Mail des Vorsitzenden vom zunächst abgeschlossen. Hierin heißt es, er übersende in der Anlage das Protokoll der Einigungsstellensitzung und leite gleichzeitig den Spruch der Einigungsstelle zu. Abschließend bedankte sich der Vorsitzende für die „in der Sache teilweise harte aber dennoch immer sachliche und inhaltlich fundierte Verhandlung“. Dies macht hinreichend deutlich, dass aus Sicht des Vorsitzenden das Einigungsstellenverfahren abgeschlossen war und er den Beteiligten den Spruch der Einigungsstelle mit dem Willen der Zuleitung nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermitteln wollte. Dies wird von den Verfahrensbeteiligten auch nicht in Frage gestellt.

16II. Der Vorsitzende der Einigungsstelle konnte die Formunwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs nicht durch eine § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG entsprechende Zuleitung der von ihm inhaltlich korrigierten Spruchfassung vom beseitigen.

171. Eine nachträgliche, rückwirkende Heilung der Verletzung der Formvorschriften des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist nicht möglich. Dagegen spricht bereits die unmittelbare und zwingende Wirkung des Einigungsstellenspruchs, der vom Arbeitgeber ungeachtet einer Anfechtung durchzuführen ist und damit sowohl das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Betriebsparteien gestaltet als auch Rechte und Pflichten der normunterworfenen Arbeitnehmer unmittelbar bestimmt. Diese normative Wirkung erfordert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit grundsätzlich einen von Anfang an formwirksamen Beschluss der Einigungsstelle ( - Rn. 20, BAGE 135, 377).

182. Der Einigungsstellenvorsitzende konnte den formunwirksam zugeleiteten Einigungsstellenspruch vom auch nicht durch eine inhaltlich von ihm veränderte Spruchfassung ersetzen. Dabei kann offenbleiben, ob der für die Berichtigung von Schiedssprüchen in schiedsrichterlichen Verfahren geltende § 1058 ZPO analog angewendet werden kann. Auch wenn man hiervon ausginge, wäre der Vorsitzende der Einigungsstelle nicht allein befugt, einen zugeleiteten Spruch zu berichtigen, da nach § 1058 Abs. 3 ZPO über einen Berichtigungsantrag das Schiedsgericht entscheidet. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 1058 ZPO hätte daher über den Berichtigungsantrag die Einigungsstelle und nicht deren Vorsitzender alleine entscheiden müssen. Entsprechendes gilt für die von der Rechtsbeschwerde geforderte analoge Anwendung des § 319 ZPO. Auch hier entscheidet nicht der Vorsitzende allein, sondern derselbe Spruchkörper, der das Urteil gefällt hat. Dem steht nicht entgegen, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz die Urteilsberichtigung durch den Vorsitzenden allein erfolgt. Dies beruht auf der besonderen Verfahrensvorschrift des § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, die nach § 64 Abs. 7 ArbGG auch im Berufungsverfahren gilt. Die Rechtsstellung des Kammervorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter einerseits und die des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und deren Beisitzer andererseits sind jedoch nicht vergleichbar. Im Übrigen wäre auch bei einer entsprechenden Anwendung des § 319 ZPO die erfolgte Berichtigung des Beschlusses vom nicht zulässig gewesen, da der zugeleitete Beschluss nicht offenkundig unrichtig war. Weder aus dem Spruch noch aus dem Protokoll der Einigungsstellensitzung ergibt sich die vom Vorsitzenden behauptete Unrichtigkeit.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
DB 2014 S. 1027 Nr. 18
DB 2014 S. 7 Nr. 13
NJW 2014 S. 10 Nr. 27
EAAAE-60175