Bemessung einer Jugendstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes: Fehlerhafte Berücksichtigung des tatbestandlichen Regelbildes bei Feststellung des Unrechtsgehaltes
Gesetze: § 176 StGB, § 176a StGB, § 17 Abs 2 Alt 2 JGG
Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 10 Js 39746/11 - 14 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu der Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Das auf zwei Verfahrensrügen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Nach den Feststellungen missbrauchte der zu Beginn des mehr als dreijährigen Tatzeitraums achtzehnjährige Angeklagte in drei Fällen seine um elf Jahre jüngere Schwester, wobei er sie in jedem Fall zum Oralverkehr veranlasste. In einem Fall verursachte er ihr Schmerzen bei dem Versuch, anal in sie einzudringen.
3Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat keinen Bestand. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in vergleichender Beurteilung der Taten nach Erwachsenenstrafrecht jeweils das Vorliegen eines minder schweren Falles (§ 176a Abs. 4 StGB) verneint sowie die konkret zu verhängende Jugendstrafe auf drei Jahre bemessen hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4Zutreffend ist die Jugendkammer zwar davon ausgegangen, dass sowohl bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG wie bei der Zumessung der konkreten Jugendstrafe der äußere Unrechtsgehalt der Tat insofern von Belang ist, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. , BGHSt 15, 224, 226). Dabei ist zur Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters das Tatunrecht am Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts heranzuziehen; denn die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts behalten insoweit ihre Bedeutung, als in ihnen die Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck kommt. Dies gilt namentlich dort, wo sich die Tat, nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, als minder schwerer Fall darstellen würde (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 482/87, BGHR JGG § 18 Abs. 1 Satz 3, minder schwerer Fall 3; vom - 4 StR 157/12, NStZ-RR 2013, 50 f.; vom - 2 StR 189/13, NStZ-RR 2013, 291; Urteil vom - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216).
5Im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Gesamtwürdigung hat das Landgericht u.a. indes zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich aus egoistischen Gründen in gravierender Form und mit einem erheblichen Maß an krimineller Energie über die Rechtsordnung hinweggesetzt und seine eigenen sexuellen Bedürfnisse über die Integrität des Kindes gestellt habe. Damit hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Straftaten überhaupt begangen hat. Denn dass sich der Angeklagte über die Interessen des missbrauchten Kindes hinwegsetzt, gehört zum Regelbild der Tatbestände der §§ 176 und 176a StGB und bildet deshalb für sich keinen Umstand, der den Unrechtsgehalt der Tat erhöht (, juris Rn. 11; vgl. auch , NStZ-RR 2013, 291). Da das Landgericht diese rechtsfehlerhafte Erwägung im Rahmen der in Anlehnung an das Erwachsenstrafrecht vorzunehmenden Bestimmung des Unrechtsgehalts der Taten angestellt hat, ist es vorliegend ohne Bedeutung, dass § 46 Abs. 3 StGB bei der Bemessung der Jugendstrafe grundsätzlich keine Bedeutung zukommt (, NStZ-RR 1997, 21, 22; Beschlüsse vom - 1 StR 617/06, NStZ 2008, 693; vom - 5 StR 335/06, NStZ 2007, 522, 523; vom - 1 StR 662/08, NStZ-RR 2009, 155).
6Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Gericht ohne Berücksichtigung der vorgenannten Erwägung eine niedrigere Jugendstrafe verhängt hätte.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol
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SAAAE-57069