Rückforderung von Versorgungsbezügen wegen Zahlung der Jahressonderzahlung aus § 20 Abs. 1 TV-L
Leitsatz
Die Jahressonderzahlung aus § 20 Abs. 1 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (juris: TV-L) ist bei der Ruhensberechnung nach § 53 Abs. 7 BeamtVG anteilig auf alle zwölf Kalendermonate umzulegen.
Gesetze: § 52 Abs 2 S 1 BeamtVG, § 53 Abs 7 BeamtVG, § 20 Abs 1 TV-L
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 10 A 10330/12 Urteilvorgehend VG Trier Az: 1 K 850/11.TR Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin ist Witwe eines Beamten und erhält vom Beklagten Hinterbliebenversorgung. Als Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst des Landes Rheinland-Pfalz bezieht sie darüber hinaus Erwerbseinkommen aus unselbständiger Arbeit. Im November 2010 wurde ihr die Jahressonderzahlung aus § 20 Abs. 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in Höhe von 1 428,92 € ausbezahlt. Der Beklagte forderte daraufhin zu viel gezahltes Witwengeld in Höhe von 695,93 € zurück.
2Das Verwaltungsgericht hat den Rückforderungsbescheid aufgehoben. Die Jahressonderzahlung stelle ein Einkommen dar, das nicht in Monatsbeträgen erzielt werde und daher auf das Erwerbseinkommen aller zwölf Kalendermonate des Jahres 2010 umgelegt werden müsse. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage abgewiesen. Die Jahressonderzahlung habe das traditionelle Weihnachtsgeld abgelöst und wie dieses die Zweckbestimmung, den im öffentlichen Dienst Beschäftigten den Kauf von Weihnachtsgeschenken zu erleichtern. Die Zahlung sei daher auf den Auszahlungsmonat bezogen.
3Die Klägerin hat die bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom zurückzuweisen.
4Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
5Die zulässige Revision der Klägerin, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 141 Satz 1 VwGO), ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), nämlich § 53 Abs. 7 Satz 4 und 5 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes - BeamtVG - vom (BGBl I S. 150) in der Fassung von Art. 2 des Änderungsgesetzes vom (BGBl I S. 1288).
6Die Voraussetzungen für eine Rückforderung nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG liegen nicht vor, weil an die Klägerin nicht Versorgungsbezüge überzahlt worden sind. Die aufgrund § 20 TV-L gewährte Jahressonderzahlung war nicht zweckgerichtet für den Monat November geleistet worden. Der Betrag ist daher bei der Berechnung des Ruhens der Versorgungsbezüge nicht im Monat der Auszahlung, sondern verteilt auf die zwölf Kalendermonate anzusetzen.
7Angesichts der besonderen Bedeutung des Vertrauensschutzes im Bereich der Beamtenversorgung ( - BVerfGE 131, 20 <45>) und des durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Vertrauens versorgungsberechtigter Beamter, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein ( - BVerfGE 76, 256 <347>), ist im Beamtenversorgungsrecht grundsätzlich das bei Eintritt des Versorgungsfalls geltende Recht maßgeblich ( BVerwG 2 C 22.10 - Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 20 Rn. 8). Nachträgliche Rechtsänderungen haben zu berücksichtigen, dass es sich bei Versorgungsbezügen um ein erdientes Ruhegehalt handelt, welches durch Art. 33 Abs. 5 GG ebenso gesichert ist wie das Eigentum durch Art. 14 GG ( - BVerfGE 117, 372 <387>), und machen daher vielfach Übergangsvorschriften erforderlich (vgl. §§ 69 ff. BeamtVG). Hat der Gesetzgeber - wie für die Konstellation der Klägerin - auf eine Übergangsregelung verzichtet und war eine solche aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht geboten, ist das im Zeitpunkt des Ereignisses geltende Recht maßgeblich, sofern sich nicht eine spätere Regelung ausdrücklich Rückwirkung beimisst (vgl. zuletzt BVerwG 2 C 1.12 - juris Rn. 8 = ZBR 2014, 45 für das Dienstunfallrecht). Bezugspunkt der Versorgungsbezüge ist daher grundsätzlich das im Zahlungsmonat gültige Recht (vgl. § 49 Abs. 4 BeamtVG i.V.m. § 3 Abs. 4 BBesG). Die Rechtslage ist damit anders als in dem mit BVerwG 2 C 8.10 - (Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 21) entschiedenen Fall, weil die dort für das Jahr 2005 herangezogenen Absätze 3 und 4 des § 53 BeamtVG im hier maßgeblichen Zeitpunkt bereits außer Kraft getreten waren.
8Versorgungsbezüge - und damit auch die Hinterbliebenenversorgung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG) - werden auf der Grundlage eines Versorgungsfestsetzungsbescheids nach § 49 Abs. 1 BeamtVG gewährt. Dieser begründet den monatlichen Anspruch auf Zahlung der Versorgungsbezüge, die entsprechend der Festsetzung zu berechnen und auszuzahlen sind ( BVerwG 2 C 59.11 - BVerwGE 145, 14 Rn. 9). Entsprechende Leistungen erfolgen daher nicht ohne rechtlichen Grund.
9Beim Zusammentreffen von Versorgungsbezügen mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen finden aber die Ruhensvorschriften des § 53 BeamtVG Anwendung. Nach § 53 Abs. 1 BeamtVG erhält ein Versorgungsberechtigter, der Erwerbseinkommen bezieht, daneben seine Versorgungsbezüge nur bis zum Erreichen der in Absatz 2 bezeichneten Höchstgrenze. Dies begegnet im Hinblick auf das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn das anzurechnende Einkommen wie im vorliegenden Fall aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst erzielt wird (Grundsatz der Einheit der öffentlichen Kassen). Die Vorschrift gilt auch für das Ruhen der Bezüge aus der Hinterbliebenenversorgung ( BVerwG 2 C 20.03 - BVerwGE 120, 154 <164> = Buchholz 239.1 § 14 BeamtVG Nr. 8 S. 18).
10Soweit und solange die Summe aus Versorgungsbezügen und Erwerbseinkommen die für Witwen nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 BeamtVG zu ermittelnde Höchstgrenze übersteigt, ruht der Anspruch auf Zahlung der Versorgungsbezüge. In diesem Umfang steht der Auszahlung der Versorgungsbezüge kraft Gesetzes ein rechtliches Hindernis entgegen. Ein etwaiger Ruhensbescheid hat daher nur feststellenden Charakter. § 53 Abs. 1 und 2 BeamtVG beschränken die Anrechnungsfreiheit von Einkommen auf den Differenzbetrag zwischen den Versorgungsbezügen und der Höchstgrenze. Nur wenn das Einkommen den Differenzbetrag nicht übersteigt, werden die Versorgungsbezüge in der festgesetzten Höhe ausgezahlt (stRspr; vgl. zuletzt BVerwG 2 C 58.11 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 25 Rn. 9 m.w.N.).
11Zum Erwerbseinkommen gehören nach § 53 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einkommens- und Einkünftebegriff entspricht demjenigen des Einkommensteuerrechts, sofern Strukturprinzipien des Versorgungsrechts dem nicht entgegenstehen ( BVerwG 2 C 8.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 21 Rn. 11 ff., vom - BVerwG 2 C 31.10 - Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 22 Rn. 12 ff., vom - BVerwG 2 C 18.10 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 1 Rn. 13 und vom a.a.O. Rn. 11). Damit knüpfen diese Regelungen hinsichtlich des Begriffs der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit an § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG an. Danach sind Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Begriff des Vorteils bringt zum Ausdruck, dass sämtliche vermögenswerten Leistungen des Arbeitgebers erfasst werden sollen, die Arbeitnehmer aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses als Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung erhalten (Urteil vom a.a.O. Rn. 11).
12Die Berücksichtigung des Erwerbseinkommens erfolgt nach § 53 Abs. 7 Satz 4 BeamtVG monatsbezogen. Wird Einkommen nicht in Monatsbeträgen erzielt, ist nach § 53 Abs. 7 Satz 5 BeamtVG das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt durch zwölf Kalendermonate, anzusetzen.
13Maßgeblich für diese Abgrenzung ist nicht der Zeitpunkt der Auszahlung, sondern der Zeitraum, für den die betreffende Leistung eine Vergütung darstellt ( BVerwG 2 C 45.73 - Buchholz 238.41 § 53 SVG Nr. 1 S. 3 sowie BVerwG 2 B 67.99 - juris Rn. 5 = Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 10). Erzielt ein Versorgungsempfänger für einen bestimmten Zeitraum zusätzliche Einkünfte, ist für diese Zeitspanne ein sachlicher Grund für die Anrechnung auf die vom Dienstherrn gewährleistete Alimentation gegeben. Die Bezugnahme auf den Zahlungsmonat ist gerechtfertigt, wenn die geleistete Zahlung gerade auf diesen Monat bezogen ist - wie etwa bei einer zusätzlichen Vergütung für in diesem Monat erbrachte Dienstleistungen. Ist die Zahlung dagegen nicht für den Auszahlungsmonat bestimmt, sondern eine zusätzliche, auf das gesamte Kalenderjahr abgestellte Vergütung, kann die Leistung für jeden Monat auch nur mit dem Teilbetrag berücksichtigt werden, der auf diesen Monat entfällt (Urteile vom a.a.O. S. 4 und vom a.a.O. Rn. 20).
14Die Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L ist nicht für den Monat November bestimmt, sie wird auch nicht zweckgerichtet im Zusammenhang mit Weihnachten geleistet (vgl. - NZA 2012, 1246 Rn. 17 zur Sparkassensonderzahlung aus § 44 TVöD BT-S; ebenso - juris Rn. 30 zur Jahressonderzahlung aus § 20 TVöD). Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts stellt zu Unrecht ausschließlich auf den tarifvertraglich festgelegten Auszahlungszeitpunkt ab und ermittelt den Zweck der Leistung nicht aufgrund einer Gesamtwürdigung des § 20 TV-L.
15Diese Gesamtwürdigung ergibt, dass die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 1 TV-L leistungsorientiert konzipiert ist und eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer im Laufe des Jahres erbrachte Leistung darstellt. Sie knüpft nicht an den erhöhten Weihnachtsbedarf an - der auch für denjenigen besteht, der nicht in allen Monaten beschäftigt war -, sondern an die erbrachte Jahresarbeitsleistung und hat damit Vergütungscharakter (ebenso - NZA 2013, 384 Rn. 20). Hierfür sprechen folgende Regelungen:
16Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 TV-L bestimmt sich die Höhe der Jahressonderzahlung nach dem Durchschnittsgehalt der Kalendermonate Juli, August und September. Der Anspruch vermindert sich gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L aber um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Entgeltanspruch haben.
17Auch der in zeitlicher Nähe zum Weihnachtsfest liegende Zahlungszeitpunkt lässt den Rückschluss auf eine insoweit bestehende Zweckbestimmung nicht zu. Nach § 20 Abs. 5 Satz 2 TV-L kann ein Teilbetrag der Jahressonderzahlung vielmehr auch zu einem früheren Zeitpunkt ausgezahlt werden, so dass dem Zahlungszeitpunkt nach der Systematik der Vorschrift kein wesentliches oder zweckbestimmendes Merkmal zukommt. Die zeitliche Anknüpfung dürfte eher im Zusammenhang zu der in § 20 Abs. 1 TV-L vorausgesetzten Betriebstreue stehen.
18Schließlich lässt auch der Wortlaut der Jahressonderzahlung, die nicht nur an die Stelle des ehemaligen Weihnachtsgeldes sondern auch des Urlaubsgeldes getreten ist, keinen Bezug zum Weihnachtsfest erkennen.
19Die Jahressonderzahlung aus § 20 TV-L ist daher gemäß § 53 Abs. 7 Satz 5 BeamtVG auf zwölf Monate umzulegen. Bei dieser Berechnungsweise erreicht die jeweilige Summe aus monatlichen Versorgungsbezügen und Erwerbseinkünften der Klägerin im Jahr 2010 die Höchstgrenze nicht.
Fundstelle(n):
LAAAE-56189