BAG Urteil v. - 4 AZR 968/11

Eingruppierung einer Sozialpädagogin

Gesetze: § 22 Abs 2 UAbs 1 BAT, § 17 Abs 1 S 1 TVÜ-VKA, Anl C Entgeltgr S14 TVöD BT-V

Instanzenzug: Az: 12 Ca 6773/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 5 Sa 657/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2Die Klägerin ist ausgebildete Diplom-Sozialpädagogin und seit 1989 bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist seit dem Jahr 2007 in der Abteilung Soziale Dienste des Jugendamts tätig und dort ausschließlich mit der Bearbeitung von Fällen im Bereich Kinderschutz/Hilfen zur Erziehung (HzE) befasst. Diesen liegt regelmäßig ein Antrag nach § 27 SGB VIII zugrunde. In ca. 30 bis 35 vH der von ihr zu bearbeitenden Fälle führt sie eine gerichtliche Entscheidung herbei.

3Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Besonderer Teil Verwaltung - (BT-V) vom gelten für die Eingruppierung der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ab dem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der „Anlage zu Abschnitt VIII Sonderregelungen (VKA) § 56“ die Tätigkeitsmerkmale des Anhangs zur Anlage C, die Entgeltgruppen S. Die Klägerin erhält seither eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 11 TVöD-BT-V/VKA.

4Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA. Sie hat die Auffassung vertreten, im Bereich HzE sei sie ausnahmslos zur Vermeidung einer Gefährdung des Kindeswohls tätig. Entsprechend der bei der Beklagten bestehenden „Arbeitsrichtlinie ‚Sicherstellung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII‘ durch den Bezirkssozialdienst der Abteilung Soziale Dienste im Jugendamt D“ werden Fälle, in denen die Beschäftigten im Bereich der Eingangsberatung Anzeichen für eine Gefährdung des Kindeswohls feststellten, an sie oder andere Beschäftigte im Bereich HzE abgegeben. Bei ihrer sich anschließenden, nach den Bestimmungen des SGB VIII und den Richtlinienvorgaben der Beklagten ausgerichteten Tätigkeit müsse sie Informationen über die betroffene Person sowie deren familiäres und soziales Umfeld einholen und prüfen, ob das Kindeswohl gefährdet sei. Sei dies der Fall, entscheide sie, wie die Gefährdung abgewendet werden könne. Da ihre Tätigkeit auf ein einheitliches Arbeitsergebnis ausgerichtet sei und einen Arbeitsvorgang bilde, reiche es aus, dass sie in einem erheblichen Umfang mit den Gerichten zusammenarbeite.

5Die Klägerin hat zuletzt beantragt

6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA enthalte zwei „selbständig bewertbare Arbeitsvorgänge“ und erfordere sowohl Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls als auch die Einleitung von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Gerichten, die zur Gefahrenabwehr erforderlich seien. Es sei aber nicht erkennbar, dass die Klägerin mindestens zur Hälfte ihrer Arbeitszeit Tätigkeiten ausübe, die eine solche Zusammenarbeit zum Inhalt habe.

7Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Nach Abschluss des Berufungsverfahrens hat die Beklagte entschieden, die Klägerin ab dem nach der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA zu vergüten. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren für die Zeit bis zum Ende des Jahres 2010 weiter.

Gründe

8Die Revision der Klägerin ist begründet.

9Die sog. Eingruppierungsfeststellungsklage der Klägerin, für die nach der zeitlichen Begrenzung in der Revisionsinstanz (zur Berücksichtigung des neuen Sachvortrags s. nur  - Rn. 12, BAGE 118, 159) das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche und von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu prüfende ( - Rn. 14 mwN, BAGE 124, 240) Feststellungsinteresse besteht, ist begründet. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit erfüllt die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

10I. Für das Arbeitsverhältnis gelten aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Vorschriften des TVöD-BT-V/VKA und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA). Für die Eingruppierung der Klägerin sind neben § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nach wie vor maßgebend ist, ua. die nachstehenden Bestimmungen der Entgeltgruppen S des TVöD-BT-V/VKA von Bedeutung:

11II. Danach erfüllt die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

121. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die der Klägerin übertragene Tätigkeit einen einheitlichen großen Arbeitsvorgang (zum Begriff:  - Rn. 14; - 4 AZR 13/08 - Rn. 39 mwN, BAGE 129, 208) iSd. Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT bildet.

13a) Die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT hat folgenden Inhalt:

14Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis (st. Rspr., etwa  - Rn. 24; - 4 AZR 5/09 - Rn. 22 mwN). Mit dem Begriff des Arbeitsvorgangs wurde durch den 37. Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung des BAT (vom ) ein einheitliches und allgemein verwertbares rechtliches Kriterium für die tarifrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Angestellten eingeführt, das darauf abstellt, welchem konkreten Arbeitsergebnis die jeweilige Tätigkeit des Angestellten bei natürlicher Betrachtung dient (grdl.  - zu II 3 bis 4 der Gründe, BAGE 29, 364). Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bildet nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang, sondern erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus (vgl.  - zu II 3 b der Gründe). Anderenfalls käme es zu einer tarifwidrigen Atomisierung solcher Tätigkeiten ( - zu II 2 b der Gründe, BAGE 82, 272).

15b) Ausgehend von diesen Maßstäben handelt es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Arbeitsergebnis ihrer Tätigkeit ist es, für den Schutz von Kindern Sorge zu tragen, bei denen Anzeichen für die Gefährdung ihres Wohls festgestellt wurden.

16aa) Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit ist nach Übernahme der von der Eingangsberatung aufgenommenen Fälle insgesamt darauf ausgerichtet, auf Grundlage der Bestimmungen der §§ 27 ff. SGB VIII und der von der Beklagten vorgegebenen Arbeitsrichtlinie darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche Maßnahmen zu einer (weiteren) Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls, ggf. in Zusammenarbeit mit den Familiengerichten (nachdem die Vormundschaftsgerichte durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FamFG, vom , BGBl. I S. 2586] zum abgeschafft wurden), zu ergreifen sind.

17Bei der Bestimmung von Arbeitsvorgängen ist eine vorherige Aufteilung der von der Klägerin auszuübenden Tätigkeit in Fälle, die zu einer Entscheidung führen, um eine Gefährdung des Kindeswohls zu vermeiden und solche, in denen es einer solchen Entscheidung nicht bedarf und schließlich denen, die zu einer Zusammenarbeit mit den Familiengerichten führen, nicht möglich. Diese Arbeitsschritte sind tatsächlich nicht trennbar. Nach der Arbeitsorganisation der Beklagten stellt sich erst im Verlauf der Fallbearbeitung heraus, ob und welche Maßnahmen erforderlich sind (dazu  - Rn. 27; - 4 AZR 507/03 - zu I 4 c der Gründe, BAGE 111, 216; - 4 AZR 950/93 - zu II 3 b der Gründe). Dem entspricht auch die ständige Rechtsprechung des Senats zur Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, die auf ein einheitliches Arbeitsergebnis, die Beratung und Betreuung des zugewiesenen Personenkreises gerichtet ist. Die einzelnen von ihnen auszuübenden Tätigkeiten sind regelmäßig tatsächlich und deshalb tariflich einheitlich zu bewerten ( - Rn. 18; - 4 AZR 985/93 - zu II 2 der Gründe; - 4 AZR 950/93 - aaO mwN).

18bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, die Tarifvertragsparteien des TVöD hätten für die Ausgestaltung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA zwei rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitsvorgänge vorgegeben. Die Beklagte verkennt, dass nach der Definition der Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT grundsätzlich das Arbeitsergebnis für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs maßgebend ist (oben II 1 a). Erst dann ist der Arbeitsvorgang anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (vgl.  - Rn. 58; - 4 AZR 757/06 - Rn. 36, BAGE 122, 244). Dass die Tarifvertragsparteien mit der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA von ihren eigenen Vorgaben abweichen wollten, ist nicht erkennbar.

192. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfüllt die auszuübende Tätigkeit der Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

20a) Bei den hier einschlägigen Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen S 11 und S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA handelt es sich nicht um Aufbaufallgruppen im Sinne der ständigen Senatsrechtsprechung. Solche liegen im Tarifsinne nur dann vor, wenn das Tätigkeitsmerkmal ein „Herausheben” aus dem in Bezug genommenen Tätigkeitsmerkmal der niedrigeren Entgeltgruppe durch eine zusätzliche Anforderung ausdrücklich vorsieht, nicht aber dann, wenn ein Tätigkeitsmerkmal im Vergleich zu einem anderen lediglich höhere Anforderungen stellt ( - Rn. 20 mwN).

21b) Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut müssen für eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA die genannten Anforderungen „Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls“ sowie „Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht“ kumulativ Inhalt der auszuübenden Tätigkeit sein.

22c) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch verkannt, dass innerhalb des einheitlichen Arbeitsvorgangs beide tariflichen Anforderungen „Treffen von Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls“ und „die Einleitung von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht, welche zur Gefahrenabwehr erforderlich sind“ nicht mindestens die Hälfte der Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausmachen müssen.

23aa) Bei der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgänge ist das sich aus der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT ergebende sog. Aufspaltungsverbot zu beachten. Danach ist jeder einzelne Arbeitsvorgang als solcher zu bewerten und darf hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht weiter aufgespalten werden ( - Rn. 48, BAGE 140, 311).

24bb) Danach ist für die Zuordnung der Tätigkeit zur Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA entscheidend, dass die Klägerin innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtserheblichem Ausmaß Tätigkeiten auszuüben hat, die beide tariflichen Anforderungen erfüllen und ohne die ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden könnte (zu Heraushebungsmerkmalen und höheren Anforderungen:  - Rn. 49, BAGE 140, 311; - 4 AZN 1105/94 -; - 4 AZR 461/93 - zu B 4 c der Gründe; - 4 AZR 45/93 - zu III 3 b bb der Gründe mwN; grdl. - 4 AZR 642/84 - zu 6 der Gründe, BAGE 51, 282). Dagegen ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich, dass mindestens die Hälfte der auf den Arbeitsvorgang entfallenden Tätigkeit die höhere tarifliche Wertigkeit erfüllt (s. nur  - Rn. 43; - 4 AZR 568/09 - Rn. 58 mwN).

25cc) Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt in rechtserheblichem Ausmaß die tariflichen Anforderungen.

26(1) Die Klägerin arbeitet im Bereich HzE und wird ausschließlich mit Fällen betraut, bei denen nach der Auffassung der Eingangsberatung eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegen kann. Hierbei trifft sie „Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls“. Davon gehen die Parteien übereinstimmend aus.

27(2) Darüber hinaus führt die Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in 30 bis 35 vH der von ihr zu bearbeitenden Fälle gerichtliche Entscheidungen herbei. Ohne die Einleitung von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Familiengerichten könnte sie das Arbeitsergebnis, die Vermeidung einer Gefährdung des Kindeswohls, in denjenigen Fällen nicht erzielen, bei denen nach der jeweiligen Prüfung gerichtliche Maßnahmen erforderlich sind. Daher ist auch die weitere tarifliche Anforderung der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA erfüllt, ohne dass der Senat vorliegend darüber befinden muss, ob und ggf. bei welchem quantitativen Umfang der höheren tariflichen Anforderung das rechtserhebliche Ausmaß stets gegeben ist (vgl. auch  - zu II der Gründe mwN). Dies führt dazu, wenn wie vorliegend unter Berücksichtigung der Anforderungen an die auszuübende Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal einer tariflich höher bewerteten Entgeltgruppe erfüllt wird, dass dieses für die Eingruppierung maßgebend ist (vgl. auch  - Rn. 49 mwN, BAGE 140, 311).

28III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Fundstelle(n):
YAAAE-54997