BAG Urteil v. - 9 AZR 374/12

Kürzung der Urlaubsdauer wegen Krankheit

Gesetze: § 307 Abs 1 S 2 BGB, § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 7 Abs 3 S 3 BUrlG, § 286 Abs 2 Nr 3 BGB

Instanzenzug: ArbG Kaiserslautern Az: 8 Ca 1111/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 11 Sa 647/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Jahr 2011 arbeitsvertraglichen Mehrurlaub wegen krankheitsbedingter Fehltage des Klägers kürzen durfte.

2Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem - zunächst aufgrund des Arbeitsvertrags vom  - als Polsterer beschäftigt. Nach § 5 des weiteren Arbeitsvertrags vom erhält der Kläger „einen kalenderjährlichen Erholungsurlaub von 20 Arbeitstagen (= 4 Wochen)“ sowie unter den „in der Rahmenvereinbarung zum Beschäftigungsverhältnis festgelegten Voraussetzungen einen zusätzlichen freiwilligen Urlaub von 7 Arbeitstagen (1,4 Wochen)“.

3Die von den Parteien ebenfalls bereits am unterzeichnete „Rahmenvereinbarung zum Beschäftigungsverhältnis“ (Rahmenvereinbarung) enthält ua. die folgenden Regelungen:

4Der Kläger war ua. in der Zeit vom 1. bis zum , am und vom 14. bis zum arbeitsunfähig erkrankt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlte der Kläger im Jahr 2011 krankheitsbedingt an insgesamt 27 Arbeitstagen. Die Beklagte kürzte deshalb den Mehrurlaub des Klägers für das Jahr 2011 um insgesamt sechs Tage und zahlte ihm auch ein um 122,70 Euro brutto (= 6 Tage x 20,45 Euro/Tag) geringeres Urlaubsgeld.

5Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, seinem Urlaubskonto vier Urlaubstage gutzuschreiben. Die weiteren zwei Urlaubstage für das Jahr 2011, um die die Beklagte den Mehrurlaubsanspruch gekürzt hat, sind Gegenstand eines anderen Rechtsstreits.

6Das Kläger ist der Ansicht, dass die Regelungen der Rahmenvereinbarung gegen § 305 ff. BGB verstoßen. Sie seien als Allgemeine Geschäftsbedingungen intransparent. Zudem läge eine unangemessene Benachteiligung vor, weil nicht nach den Ursachen der Arbeitsunfähigkeit (zB aufgrund eines Arbeitsunfalls) differenziert würde.

7Der Kläger hat beantragt,

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Regelung in Abschn. VIII Ziff. 4 der Rahmenvereinbarung für wirksam.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

10A. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers vier Urlaubstage aus dem Jahr 2011 gutzuschreiben und damit nachträglich zu gewähren.

11I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger verlangt in Form der Leistungsklage, dass die Beklagte seinem Urlaubskonto vier Urlaubstage gutschreibt. Der Arbeitnehmer hat Anspruch darauf, dass sein Urlaubs- und Arbeitszeitkonto richtig geführt wird. Das Klageziel richtet sich darauf, dem Urlaubskonto vier Tage gutzuschreiben und damit diese Urlaubstage nachzugewähren ( - Rn. 9, BAGE 138, 58).

12II. Die Klage ist auch begründet. Der Anspruch folgt aus § 275 Abs. 1 und 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Beklagte war nicht berechtigt, den Urlaubsanspruch des Klägers wegen der Regelung in § 5 des Arbeitsvertrags iVm. Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung zu kürzen. Die Kürzungsregelung hält einer Kontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305 ff. BGB nicht stand. Sie ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB unwirksam.

131. Die Kürzungsregelung ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 iVm. Satz 2 BGB. Sowohl die Rahmenvereinbarung, die gemäß § 5 des Arbeitsvertrags vom bei der näheren Ausgestaltung des Anspruchs des Klägers auf Mehrurlaub zu berücksichtigen ist, als auch die Bezugnahmeklausel in § 5 des Arbeitsvertrags sind von der Beklagten vorformulierte Vertragsbedingungen, die sie nach dem äußeren Erscheinungsbild mehrfach verwendet hat und die sie als Verwenderin dem Kläger bei Vertragsschluss stellte. Der Text der Rahmenvereinbarung, die insgesamt acht Seiten umfasst, sowie der Arbeitsvertrag enthalten über die persönlichen Daten des Klägers zu Beginn des jeweiligen Textes hinaus keine individuellen Besonderheiten. Individuelle Vereinbarungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB, insbesondere im Hinblick auf die Kürzungsregelung in Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung, sind vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden.

142. Die Kürzungsregelung in § 5 des Arbeitsvertrags iVm. Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB und ist deshalb unwirksam.

15a) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB sind Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dazu gehört auch, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann ( - Rn. 29, BAGE 122, 64). Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Arbeitnehmer von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. In der Gefahr, dass er wegen unklar abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ( - Rn. 96 mwN, BAGE 130, 119).

16b) Hieran gemessen ist die Kürzungsregelung intransparent. Sie zeigt dem Arbeitnehmer nicht hinreichend klar auf, in welchem Umfang sein vertraglicher Mehrurlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit gekürzt wird. Hierdurch kann er gehindert werden, seinen (ungekürzten) Mehrurlaubsanspruch geltend zu machen.

17aa) Die Beklagte verwendet in Abschn. VIII Ziff. 4 Buchst. a der Rahmenvereinbarung die Begriffe „krankheitsbedingte Fehltage“ und „Krankheitstage“, ohne dass deutlich wird, ob beide Begriffe identisch angewandt werden sollen. Es ist damit nicht erkennbar, ob jeder „Krankheitstag“ zur Kürzung führen kann oder nur die „Krankheitstage“, an denen der Arbeitnehmer an sich seine Arbeitsleistung schuldet. Ausgehend davon, dass in ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen iSv. § 5 Abs. 1 EFZG die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anzugeben ist, schließt der Begriff „Krankheitstage“ sämtliche Tage ein, an denen der betroffene Arbeitnehmer erkrankt ist. Begrifflich können somit auch Samstage, Sonntage, gesetzliche Feiertage und „Krankheitstage“ während eines gewährten Urlaubs erfasst sein. Soweit die Beklagte mit dem Begriff „Krankheitstage“ beispielsweise Arbeitstage gemeint haben sollte, an denen eine durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit bestand und grundsätzlich eine Arbeitsleistung geschuldet war, kommt dies nicht einmal ansatzweise im Wortlaut der Klausel zum Ausdruck.

18bb) Schließlich ist auch die Kürzungsstaffelung als solche intransparent. So ist unklar, ob für die Berechnung des Kürzungsumfangs sämtliche Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit summiert werden (jährliche Gesamterkrankungsdauer) oder ob es ausschließlich auf die Dauer jeder einzelnen Erkrankung ankommt (Teilerkrankungsdauer). Im letztgenannten Fall würde eine Kürzung des Mehrurlaubs unterbleiben, wenn die einzelne Erkrankung eines Arbeitnehmers maximal drei Arbeitstage andauert, da die erste Kürzungsstaffel erst bei vier „Krankheitstagen“ beginnt. Somit wäre es möglich, dass ein Arbeitnehmer, der zB drei Mal jeweils drei Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt ist, keine Kürzung seines Mehrurlaubs hinnehmen müsste, während ein anderer Arbeitnehmer, der neun Arbeitstage (Gesamterkrankungsdauer) erkrankt war, eine Kürzung seines Mehrurlaubsanspruchs um zwei Tage hinnehmen müsste. Da zudem angesichts von Abschn. VIII Ziff. 5 der Rahmenvereinbarung etwaig zu viel gezahltes Urlaubsentgelt als Entgeltvorschuss behandelt wird, zeigt die Beklagte als Verwenderin der streitgegenständlichen Klausel den Arbeitnehmern im Ergebnis nicht hinreichend auf, in welchem Umfang ggf. der Mehrurlaub gekürzt wird und eine etwaige Überzahlung des Urlaubsentgelts nachträglich auszugleichen ist.

19c) Da die Kürzung des Mehrurlaubs bereits wegen der Unwirksamkeit der Kürzungsregelung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 iVm. Satz 1 BGB unberechtigt erfolgte, kommt es auf die vom Landesarbeitsgericht aufgeworfene Frage, ob und inwieweit eine Kürzung von arbeitsvertraglichen Mehrurlaubsansprüchen aufgrund von Arbeitsunfähigkeit am Maßstab des § 4a EFZG zu messen ist, nicht mehr an.

203. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus Verzug liegen vor. Der Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt ( - Rn. 24).

21a) Dieser Urlaubsanspruch für 2011 war nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums am verfallen.

22b) Zwar ist nicht festgestellt, dass der Kläger gegenüber der Beklagten die Gewährung dieser vier Urlaubstage vor Verfall verlangte. Der Verzug ergibt sich hier schon daraus, dass die Beklagte mit der Kürzung im Urlaubsjahr 2011 zu erkennen gab, die gekürzten Urlaubstage nicht gewähren zu wollen. Darin lag ihre ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung des Klägers entbehrlich macht ( - Rn. 14, BAGE 138, 58). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber aus dem Unionsrecht verpflichtet ist, auch ohne Aufforderung des Arbeitnehmers von sich aus den vollen Urlaubsanspruch im Urlaubsjahr zu erfüllen (vgl.  - zu C II 4 der Gründe, anhängig beim EuGH unter - C-118/13 - [Bollacke]).

23B. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Fundstelle(n):
TAAAE-54844