Keine Stromsteuerentlastung für die Herstellung von Trockenstabilat aus Haus- und Gewerbemüll
Gesetze: StromStG § 2 Nr. 2a, StromStG § 2 Nr. 3, StromStG § 10 Abs. 1, FGO § 69 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) verarbeitet Gewerbe- und Hausmüll zu sog. Trockenstabilat. Der gelieferte Müll wird zunächst grob zerkleinert und mit Hilfe eines Magnetscheiders von eisenhaltigem Material befreit. Nach einer biologischen Trocknung (Entzug von Wasser) werden durch eine vollautomatische Sieb-, Zerkleinerungs- und Sortieranlage weitere verwertbare Stoffe (z.B. Buntmetalle) aussortiert. Der verbleibende Abfall wird einem siebentägigen Rottevorgang unterzogen, bei dem eine biologische Zersetzung stattfindet. Dadurch kommt es zu einer Extrahierung der brennbaren Bestandteile des Abfalls, die nach dem Entzug von Schwermetallen in Ballen und Pellets gepresst werden. Dieses Trockenstabilat verkauft die Antragstellerin industriellen Abnehmern zur Nutzung als Brennstoff. Der Anteil der daraus resultierenden Umsatzerlöse betrug im Streitjahr 94,3 v.H. der Gesamtumsätze der Antragstellerin.
2 Mit Vergütungsbescheid vom gewährte der Antrags- und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt —HZA—) der Antragstellerin eine Steuerentlastung nach § 10 Abs. 1 des Stromsteuergesetzes in der für das Streitjahr 2009 geltenden Fassung (StromStG 2009) in Höhe von 56.840,16 €. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das HZA diesen Vergütungsbescheid mit Bescheid vom auf, da die Herstellung des Trockenstabilats nach der statistischen Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003) als Abfallbeseitigung einzuordnen sei. Das hiergegen gerichtete Einspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Antragstellerin zahlte den Rückforderungsbetrag fristgerecht an das HZA.
3 Ein Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (AdV) hatte weder beim HZA noch beim Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG führt in seinem ablehnenden Beschluss vom aus, der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Antragstellerin, die Herstellung von Trockenstabilat aus Gewerbe- und Hausmüll, sei im Rahmen der WZ 2003 nicht dem Unterabschnitt DG (Herstellung von chemischen Erzeugnissen), sondern dem Unterabschnitt OA (Erbringung von sonstigen öffentlichen oder persönlichen Dienstleistungen) zuzuordnen. Denn bei der Herstellung des Trockenstabilats handele es sich nicht um ein chemisches Verfahren. Außerdem sei das Trockenstabilat kein Grundstoff im Sinne der Gruppe 24.1 des Unterabschnitts DG der WZ 2003. Schließlich sei die Herstellung von Trockenstabilat auch nicht mit der in den Erläuterungen zur Klasse 24.14 der WZ 2003 genannten Herstellung von Holzkohle vergleichbar, da der Ausgangsstoff Holz und das Produkt Holzkohle in unterschiedliche Positionen des Warenverzeichnisses des Harmonisierten Systems (HS) einzureihen seien. Entsprechendes gelte für die Herstellung von Tiermehl sowie für die Herstellung von stabilisiertem und getrocknetem Klärschlamm. Auch hier seien die Ausgangsstoffe (ungenießbare Schlachtabfälle bzw. unaufbereiteter Klärschlamm) und das Produkt (Tiermehl bzw. stabilisierter und getrockneter Klärschlamm) unterschiedlichen HS-Positionen zuzuordnen. Dagegen seien im Streitfall der Ausgangsstoff Gewerbe- und Hausmüll und das Produkt Trockenstabilat der identischen Pos. 3825 HS zuzuweisen.
4 Die Antragstellerin macht mit ihrer vom FG zugelassenen Be-schwerde geltend, der Streitfall sei mit dem Sachverhalt des VSt (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 2010, Beilage 3, 39) vergleichbar, nämlich mit der Herstellung von Tiermehl und Tierfett aus Schlachtabfällen zur Nutzung als Brennstoff. Das FG Düsseldorf sei hier von einer Zuordnung zum Unterabschnitt DG (Klasse 24.14 – Herstellung von sonstigen organischen Grundstoffen und Chemikalien) der WZ 2003 ausgegangen. Entsprechendes müsse im Streitfall gelten, da das Trockenstabilat ebenfalls nicht zur Entsorgung durch Verbrennen, sondern zur Vermarktung als Brennstoff hergestellt werde. Im Vergleich zum Ausgangsstoff Abfall sei ein neues Produkt entstanden. Hierin liege auch der Unterschied zu den Entscheidungen des VSt (juris) und des (juris). Im Übrigen werde in dem ablehnenden Beschluss vom nicht erläutert, weshalb eine Einordnung in Unterabschnitt DN (Klasse 37.20.5 – Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) ausscheide.
5 Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Vollziehung des Bescheids vom aufzuheben.
6 Das HZA beantragt sinngemäß, den AdV-Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
7 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat eine AdV des Be-scheids vom zutreffend abgelehnt.
8 Nach § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts neben Umständen, die für seine Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei müssen die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe nicht überwiegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom VII B 110/06, BFH/NV 2007, 2361).
9 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids vom verneint.
10 Die Steuerentlastung nach § 10 Abs. 1 StromStG 2009 gilt nur für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. des § 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2a StromStG, d.h. für Unternehmen, die dem Abschnitt C (Bergbau und Gewinnung von Steine und Erden), D (Verarbeitendes Gewerbe), E (Energie- und Wasserversorgung) oder F (Baugewerbe) der WZ 2003 zuzuordnen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei dieser statischen Verweisung auf die WZ 2003 um eine an das Unionsrecht angelehnte und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Typisierung (Senatsurteil vom VII R 25/11, BFH/NV 2013, 1342, m.w.N.). Die Entscheidungen der Statistikämter über die Einordnung der Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen in die WZ 2003 sind allerdings in vollem Umfang zu überprüfen (vgl. , BVerfGE 129, 1; , BFH/NV 2013, 86, jeweils zur Investitionszulage).
11 Im Streitfall bestehen bei summarischer Prüfung keine ernsthaften Zweifel, dass der nach § 15 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung anhand der Umsätze bestimmte Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Antragstellerin zur Klasse 90.02 (Abfallbeseitigung) und damit zu dem nicht nach § 10 Abs. 1 StromStG 2009 begünstigten Abschnitt O der WZ 2003 gehört. Insbesondere scheiden sowohl eine Zuordnung zur Klasse 24.14 (Herstellung von sonstigen organischen Grundstoffen und Chemikalien) als auch eine Zuordnung zur Unterklasse 37.20.5 (Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) aus.
12 Dass die Herstellung von Trockenstabilat nicht als Recycling im Sinne der Abteilung 37 der WZ 2003 anzusehen ist, wird zwar nicht ausdrücklich vom FG erläutert, folgt aber aus den Erwägungen des Senats in BFH/NV 2013, 1342. Trockenstabilat ist kein Sekundärrohstoff, der für einen direkten Einsatz in einem industriellen Verarbeitungsprozess aufbereitet worden ist. Vielmehr stellt die Antragstellerin einen Ersatzbrennstoff her, dessen bestimmungsgemäße Verwendung sich in der Erzeugung von Energie durch Verbrennen erschöpft. Die Abnehmer der Antragstellerin nutzen also nicht das Trockenstabilat selbst, um es zu neuen Produkten zu verarbeiten, sondern lediglich die durch die Beseitigung des Trockenstabilats freigesetzte Wärmeenergie. Dies reicht für die in Abteilung 37 der WZ 2003 geforderte Wiederverwendung in einem industriellen Herstellungsprozess nicht aus.
13 Auch eine Zuordnung zur Klasse 24.14 (Herstellung von sonstigen organischen Grundstoffen und Chemikalien) scheidet im Streitfall aus. Das FG hat die Tätigkeit der Antragstellerin stattdessen zutreffend als Abfallbeseitigung im Sinne der Klasse 90.02 der WZ 2003 eingeordnet. Hierfür ist entscheidend, dass die Antragstellerin kein chemisches Erzeugnis im Sinne der Erläuterungen zu Unterabschnitt DG der WZ 2003 herstellt. Vielmehr ist der Haus- und Gewerbemüll auch nach der Aufbereitung als Trockenstabilat weiterhin als Abfall anzusehen, der entsorgt werden muss und soll. Allein die Nutzbarkeit und Vermarktung als Ersatzbrennstoff reichen nicht aus, um ein neues Produkt anzunehmen. Dies wird durch die unveränderte Einreihung in die Pos. 3825 HS bestätigt (vgl. auch Tz. 2.3 der Vorbemerkungen zur WZ 2003).
14 Weder die in den Erläuterungen zur Klasse 24.14 WZ 2003 ausdrücklich genannte Herstellung von Holzkohle noch eine von der Klasse 90.02 der WZ 2003 abweichende Klassifizierung von aufbereitetem Klärschlamm, der als Düngemittel genutzt wird, bzw. von Tiermehl, das zumindest grundsätzlich auch als Futtermittel genutzt werden kann, führen zu einem anderen Ergebnis. Das FG hat hierzu zutreffend herausgearbeitet, dass die entsprechenden Produkte —anders als bei der Herstellung von Trockenstabilat aus Haus- und Gewerbemüll— im Rahmen des HS in andere Positionen als die Ausgangsstoffe einzuordnen sind. Ob dies auch dann für eine Klassifizierung in Abteilung D der WZ 2003 ausreicht, wenn das Tiermehl, wie in dem vom FG Düsseldorf mit Urteil in ZfZ 2010, Beilage 3, 39 entschiedenen Fall, aufgrund gesetzlicher Vorschriften ausschließlich zur Verbrennung genutzt werden darf, kann im Streitfall dahingestellt bleiben. Daraus können sich keine ernsthaften Zweifel für diejenigen Fälle ergeben, bei denen die Ausgangsstoffe und Produkte im Rahmen der HS unverändert als Abfall einzuordnen sind. Jedenfalls dann steht trotz der Nutzbarkeit und Vermarktung als Ersatzbrennstoff die Entsorgung des Abfalls und damit eine Abfallbeseitigung im Sinne der Klasse 90.02 der WZ 2003 im Vordergrund.
15 Schließlich hat die Vollziehung auch unter Berücksichtigung des (Deutsches Steuerrecht 2010, 2296) keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Hierzu hätte die Antragstellerin ihre wirtschaftliche Lage im Einzelnen darlegen und glaubhaft machen müssen (vgl. , BFH/NV 2007, 868, m.w.N.). Dies hat sie nicht getan. Aus den Akten sind hierzu keine ausreichenden Anhaltspunkte erkennbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 387 Nr. 3
AAAAE-52610