BGH Beschluss v. - 2 StR 459/13

Sexueller Missbrauch von Kindern: Auslegung der Regelung über die Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind; Nacktaufnahme als Kinderpornographie

Gesetze: § 176 Abs 4 Nr 1 StGB, § 184b Abs 1 StGB vom , § 184g Nr 2 StGB, EURaBes68/2004UmsG, EURaBes 68/2004

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 140 Js 3919/13 - 3 KLs jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 35 Fällen, davon in 32 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, in vier Fällen in (weiterer) Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines (anderen) Kindes, und wegen „Herstellens/Besitzes kinderpornographischer Schriften“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Auf den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin    S.       hat es den Angeklagten verurteilt, an diese 10.000 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Annahme des Tatgerichts, der Angeklagte habe in den Fällen II.28, 30, 31 neben anderen Tatbeständen tateinheitlich auch denjenigen des sexuellen Missbrauchs eines (weiteren) Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt, wird von den Feststellungen nicht getragen.

3Danach kam in diesen Fällen das Kind     W.         hinzu, als der Angeklagte bereits sexuelle Handlungen zum Nachteil des Kindes    S.     vornahm oder an sich vornehmen ließ. Er erkannte, dass das weitere Kind das Geschehen beobachtete, setzte aber seine Handlungen dennoch fort. Das reicht zum Beleg des subjektiven Tatbestands nicht aus.

4Seit der Neufassung der Vorschrift durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom (BGBl. I S. 164) setzt das Vergehen der Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind zwar nicht mehr voraus, dass der Täter dabei in der Absicht handelt, sich, das Kind oder einen anderen sexuell zu erregen. Um eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Ausdehnung der Strafbarkeit zu vermeiden, hat der Bundesgerichtshof die Regelung der § 176 Abs. 4 Nr. 1, § 184g Nr. 2 StGB aber insoweit einengend ausgelegt, als für die Annahme einer sexuellen Handlung vor einem Kind über deren Wahrnehmung durch das Tatopfer hinaus erforderlich ist, dass der Täter das Kind so in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Tatopfer von handlungsleitender Bedeutung ist (, BGHSt 49, 376, 381; Urteil vom - 4 StR 699/10, NStZ 2011, 633; offen gelassen von , NStZ 2013, 278). Dafür fehlen entsprechende Feststellungen des Landgerichts.

52. In den Fällen II.24 und 25 ist die Eigenschaft der vom Angeklagten angefertigten Fotographien, die „den nackten Genitalbereich des Kindes“ betrafen, als pornographische Schriften durch die Feststellungen nicht belegt.

6Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder eines Geschlechtsteils ist Pornographie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornographische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den dargestellten sexuellen „Handlungen“ gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom (BGBl. I 2008, 2149) nach herrschender Auffassung auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (vgl. Röder NStZ 2010, 113 ff. mwN; anders zur früheren Gesetzesfassung , BGHSt 50, 370, 371). Auch dies ist den knapp gehaltenen Urteilsfeststellungen jedoch nicht zu entnehmen.

7Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die genaue Bezeichnung der Tathandlung im Sinne von § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB klarzustellen haben.

83. Die Strafzumessung ist rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht auch zu Fall II.29 der Urteilsgründe („in den Fällen 28 - 31“) als strafschärfend gewertet hat, dass der Angeklagte „zwei kindliche Opfer“ geschädigt habe. Es hat deshalb insoweit dieselbe Einzelstrafe verhängt wie in den Fällen II.28 und 30 - 32. Die Tat im Fall II.29 ist aber nur als versuchter schwerer sexueller Missbrauch zum Nachteil des Kindes    S.      bewertet worden. Das Kind      W.         war davon nach den Feststellungen nicht betroffen. Dies zwingt zur Aufhebung der Einzelstrafe zu Fall II.29.

94. Die Aufhebung der Verurteilung in den genannten Fällen führt auch zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

105. Der Ausspruch über den Adhäsionsantrag ist nicht ausreichend begründet worden. Die Urteilsgründe erschöpfen sich in der Bemerkung: „Den zuerkannten Schmerzensgeldbetrag erachtet die Kammer angesichts der festgestellten Tatumstände als angemessen, um einerseits einen Ausgleich zu schaffen und zum anderen der mit dem Schmerzensgeld bezweckten Genugtuung gerecht zu werden“. Anhand dieser formelhaften Begründung kann nicht geprüft werden, ob die Strafkammer alle relevanten Aspekte in die notwendige Gesamtschau einbezogen hat. So ist u.a. nicht ersichtlich, ob die Strafkammer die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin berücksichtigt hat (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 206/12).

Appl                   Krehl                       Eschelbach

             Ott                      Zeng

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Fundstelle(n):
GAAAE-52459