Mitbestimmung der Personalvertretung des fliegenden Personals bei der Anpassung von Flugplänen
Gesetze: § 1 TVG, § 94 ArbGG, § 117 BetrVG
Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 6 BV 692/10 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 5 TaBV 144/11 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über das Bestehen von Mitbestimmungsrechten der Gesamtvertretung bei der Anpassung des Flugplans.
2Antragstellerin ist ein Luftfahrtunternehmen, das ca. 4.500 Cockpitmitarbeiter beschäftigt. Beteiligte zu 2. ist die nach dem Tarifvertrag Personalvertretung für das Bordpersonal vom (TVPV) iVm. § 117 Abs. 2 BetrVG gebildete Personalvertretung der Gruppenvertretungen des fliegenden Personals (Gesamtvertretung).
3Die Beteiligten legten für die bis zum laufende Sommerperiode einen Umlaufplan Frankfurt/Main - Shanghai - Frankfurt/Main (FRA - PVG - FRA) fest. Bei dessen Umsetzung trat auf dem Rückflug in mehr als 33 % der durchgeführten Flüge eine Überschreitung der höchstzulässigen Flugdienstzeit von mehr als 15 Minuten ein. Daraufhin verlängerte die Arbeitgeberin die Flugdienstzeit für den Rückflug am Dienstag um 25 Minuten und für die übrigen Tage um 30 Minuten. Hiervon setzte sie die Gesamtvertretung in Kenntnis. Nachdem diese für die erfolgte Änderung der Flugdienstzeit ein Mitbestimmungsrecht reklamierte, beschloss eine auf ihren Antrag eingesetzte Einigungsstelle am für die verbleibende Zeit des Sommerflugplans eine weitere Verlängerung der örtlichen Ruhezeit in Shanghai um 24 Stunden und eine Verkürzung der Sonderruhezeit nach dem Umlauf auf 72 Stunden.
4Im Manteltarifvertrag Nr. 5a für das Cockpitpersonal der DLH idF vom (MTV) ist Folgendes bestimmt:
5Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, die erfolgte Anpassung des Flugplans unterliege nicht der Mitbestimmung der Gesamtvertretung. Sie hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - beantragt
6Die Gesamtvertretung hat die Abweisung dieses Antrags sowie im Rahmen von Wideranträgen beantragt festzustellen,
7Die Gesamtvertretung hat zur Begründung ihrer Wideranträge ausgeführt, die Anpassung der Flugzeit ändere den Umlaufplan und sei deshalb mitbestimmungspflichtig.
8Die Arbeitgeberin hat Abweisung der Wideranträge beantragt.
9Das Arbeitsgericht hat den im ersten Rechtszug von der Arbeitgeberin gestellten Antrag, die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs festzustellen, wegen fehlenden Feststellungsinteresses rechtskräftig als unzulässig abgewiesen, da dieser allein den Sommerumlauf 2010 betroffen und zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Wirkung mehr entfaltet habe. Dem weiteren Feststellungsantrag der Arbeitgeberin hat es stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Gesamtvertretung zurückgewiesen und die von dieser erstmals im zweiten Rechtszug gestellten Wideranträge als unzulässig abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gesamtvertretung ihren Abweisungsantrag und ihre Wideranträge weiter.
10B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen und die Wideranträge der Gesamtvertretung abgewiesen.
11I. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Abweisung des Widerantrags zu 1. richtet, ist sie unzulässig.
121. Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, welche rechtliche Bestimmung durch den angefochtenen Beschluss verletzt sein soll und worin diese Verletzung besteht. Dazu hat sie den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzuzeigen, dass Gegenstand und Richtung ihres Angriffs erkennbar sind. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Beschlusses ( - Rn. 30). Ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts über einen Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Rechtsbeschwerdebegründung alle Erwägungen angreifen, denn sie muss im Falle ihrer Berechtigung geeignet sein, die Entscheidung insgesamt infrage zu stellen. Setzt sie sich nur mit einer der Begründungen auseinander, ist die Rechtsbeschwerde in Bezug auf diesen Streitgegenstand unzulässig (vgl. - Rn. 19).
132. Das Landesarbeitsgericht hat den Widerantrag zu 1. der Gesamtvertretung in der Hauptbegründung wegen seines Vergangenheitsbezugs und des daraus resultierenden fehlenden rechtlichen Interesses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO abgewiesen. Des Weiteren hat es ausgeführt, auf das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei einer Anpassung des Flugplans an die tatsächlichen Verhältnisse könne nicht abgestellt werden, da dies bereits Gegenstand des negativen Feststellungsantrags der Arbeitgeberin sei. Damit hat das Landesarbeitsgericht in einer zweiten selbständig tragenden Begründung angenommen, der Antrag sei auch dann abzuweisen, wenn man ihn so verstehe, dass mit ihm das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts geltend gemacht werde, da ein solcher bereits anderweitig rechtshängig sei (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). In ihrer Rechtsbeschwerdebegründung greift die Gesamtvertretung lediglich die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum fehlenden Feststellungsinteresse an, setzt sich jedoch nicht mit dem Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit auseinander. Die Rechtsbeschwerde ist daher in Bezug auf diesen Antrag unzulässig.
14II. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.
151. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.
16a) Streitigkeiten über Rechte und Pflichten einer gemäß § 117 BetrVG errichteten Personalvertretung gehören zu den Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz iSv. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG (vgl. - zu B III 1 der Gründe). Die Gesamtvertretung ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren beteiligtenfähig (vgl. zur Gruppenvertretung - Rn. 11 mwN).
17b) In der gebotenen Auslegung ist der Antrag der Arbeitgeberin hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
18aa) Die begehrte Feststellung, dass die nach § 4 Abschn. 2 Abs. (9) des Manteltarifvertrags Nr. 5a für das Cockpitpersonal der DLH AG erforderliche Anpassung von Flugplänen nicht der Mitbestimmung der Personalvertretung unterliegt, bezieht sich nach dem gesamten Vorbringen der Arbeitgeberin nur auf den Teil eines Umlaufs, der die Einzelheiten eines Flugs betrifft, im Anlassfall den Rückflug von Shanghai nach Frankfurt am Main. Gegenstand des Antrags ist dagegen nicht eine Änderung des Umlaufs oder der höchstzulässigen Flugzeit.
19bb) So verstanden handelt es sich um einen Globalantrag, der eine unbestimmte Vielzahl möglicher Fallgestaltungen der Anpassung von Flugplänen erfasst. Damit ist er zulässig, jedoch grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn einzelne Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist ( - Rn. 16, BAGE 140, 113).
20c) Der Antrag betrifft ein Rechtsverhältnis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts der Gesamtvertretung bei einem bestimmten Regelungstatbestand ist ein Rechtsverhältnis, das einer gerichtlichen Feststellung zugänglich ist (vgl. - Rn. 16, BAGE 140, 223). Hierfür besteht auch das erforderliche Feststellungsinteresse, da zwischen den Betriebsparteien ein fortdauernder Streit über das streitgegenständliche Mitbestimmungsrecht besteht.
212. Der Antrag der Arbeitgeberin ist begründet. In den vom Antrag erfassten Fällen besteht kein Mitbestimmungsrecht der Gesamtvertretung.
22a) Nach § 77 Abs. 1 Nr. 2 TVPV haben die Personalvertretungen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei Regelungen von Arbeitszeitfragen entsprechend den Bestimmungen des Tarifvertrags Bordpersonal mitzubestimmen. An die Stelle dieses Tarifvertrags ist für das Cockpitpersonal der MTV vom getreten. Das hat zur Folge, dass Mitbestimmungsrechte der Personalvertretung in Arbeitszeitfragen des Cockpitpersonals nur dann bestehen, wenn der MTV dies vorsieht. Damit wird den Besonderheiten des Flugbetriebs von Luftfahrtunternehmen Rechnung getragen. Dies ist verfassungsgemäß ( - zu B II 1 der Gründe, BAGE 97, 52). Ein Rückgriff auf § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG zur Bestimmung des Umfangs der Mitbestimmung der Personalvertretung des Cockpitpersonals in Arbeitszeitfragen ist ausgeschlossen.
23b) Nach der tarifvertraglichen Regelung in § 4 Abschn. 8 Abs. 1 MTV bezieht sich das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung nur auf die Feststellung der Umlaufpläne des Cockpitpersonals auf den einzelnen Flugstrecken und nicht auch auf die Anpassung des Flugplans nach § 4 Abschn. 2 Abs. (9) Satz 1 MTV.
24aa) Ein Umlaufplan umfasst nach den Darlegungen der Beteiligten neben der Flugzeit und Flugdienstzeit auch Aspekte des Einsatzes des Flugpersonals, wie zB die Anzahl der Besatzungsmitglieder, Ruhezeiten, höchstzulässige Flugdienstzeiten, Anzahl der Zwischenlandungen sowie im Einzelfall Regelungen zu Teilstrecken. Er betrifft damit die über einen oder mehrere Tage hinweggehende Ablauffolge von Einsätzen des Flugpersonals auf Fluggeräten mit dazwischen liegenden Unterbrechungen und Ruhezeiten. Demgegenüber sind Gegenstände des Flugplans nur Teilaspekte des Umlaufplans, wie die Abflugzeit, Ankunftszeit, Flugzeit und Flugdienstzeit. Diese beruhen auf einer bei der Feststellung des Umlaufplans von beiden Betriebsparteien vorgenommenen Prognose. Erweist sich diese als unzutreffend und sind die in § 4 Abschn. 2 Abs. (9) MTV aufgeführten Schwellenwerte überschritten, hat die Arbeitgeberin den Flugplan als Teil des Umlaufplans den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen. Hierdurch werden die geplanten Flugzeiten und Flugdienstzeiten verlängert und das geplante Flugende im Flugplan entsprechend der festgestellten Überschreitungen verschoben. Eine Anpassung des Flugplans hat sich im Rahmen der Vorgaben des MTV zu halten, weil § 4 Abschn. 2 Abs. (9) Satz 1 MTV - anders als § 4 Abschn. 8 Abs. 2 und Abs. 3 MTV - eine Abweichung von diesen Vorgaben nicht ausdrücklich zulässt.
25bb) Nach der Systematik des MTV ist die Mitbestimmung der Personalvertretung in § 4 Abschn. 8 MTV unter der Überschrift „Mitwirkung der Personalvertretung“ für die in § 4 MTV geregelten Angelegenheiten zusammengefasst geregelt. Daneben enthält § 4 MTV im Abschn. 1 Abs. (3), Abschn. 2 Abs. (5), Abschn. 6 Abs. (2), Abschn. 7 Abs. (6) und Abs. (9) MTV noch ausdrückliche Regelungen über die Mitwirkung der Personalvertretung in Einzelfällen. Bei der Anpassung des Flugplans nach § 4 Abschn. 2 Abs. (9) Satz 1 MTV hat die Arbeitgeberin nach Satz 2 dieser Vorschrift der Personalvertretung lediglich die Zahl der Überschreitungen der höchstzulässigen Flugdienstzeit im Monat bekanntzugeben. Ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht besteht nach dem tariflichen Regelungszusammenhang nicht. Erst wenn die Arbeitgeberin nicht nur innerhalb des Umlaufplans die geplanten Flug- und Flugdienstzeiten verlängert, sondern darüber hinaus von dem mitbestimmten Umlauf abweichen will oder muss, greift das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung nach § 4 Abschn. 8 Abs. 1 MTV ein. Die Anpassung nach § 4 Abschn. 2 Abs. (9) MTV ist auch keine Abweichung „von den vorstehend festgesetzten Ruhezeiten, höchstzulässigen Flugdienstzeiten, Dead-Head-Zeiten und Standby-Zeiten“ iSv. § 4 Abschn. 8 Abs. 2 MTV, die der Zustimmung der Personalvertretung bedürfte. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf die nach Abs. 1 dieser Tarifnorm festgestellten Umlaufpläne, sondern auf die im MTV selbst erfolgten Festlegungen. Für ein derartiges Verständnis spricht, dass die Umlaufpläne nach § 4 Abschn. 8 Abs. 1 MTV „festgestellt“ werden, § 4 Abschn. 8 Abs. 2 Satz 1 MTV jedoch nicht auf „festgestellte“ Zeiten, sondern auf die „vorstehend festgesetzten“ Zeiten abstellt. Hinzu kommt, dass sich diese Tarifregelung auch auf Reservezeiten iSd. § 4 Abschn. 6 MTV erstreckt, die nicht Gegenstand des Umlaufplans sind.
26c) Hiernach ist der Antrag der Arbeitgeberin begründet. Die von ihr begehrte Feststellung bezieht sich allein auf das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der nach § 4 Abschn. 2 Abs. (9) MTV erforderlichen Anpassung des Flugplans ohne Änderung des Umlaufplans.
273. Die Wideranträge zu 2. und 3. der Gesamtvertretung sind unzulässig. Sie sind nicht hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem Vortrag der Gesamtvertretung ist nicht zu entnehmen, was sie unter Schichtzeiten im Sinne ihrer Anträge versteht. Einmal führt sie aus, die Schichtdauer entspreche nach dem MTV der Dauer der höchstzulässigen planmäßigen Flugdienstzeit. An anderer Stelle setzt sie den Begriff Schichtplandauer mit der geplanten Flugdienstzeit oder den Begriff Schichtplan mit dem Begriff Umlaufplan gleich. Da auch der MTV hierzu keine Begriffsbestimmung enthält, ist nicht mit der gebotenen Klarheit erkennbar, welche Bedeutung dem Begriff Schichtzeit nach dem Antragsverständnis der Gesamtsamtvertretung zukommen soll.
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Fundstelle(n):
NAAAE-52409