Notwendige Feststellungen im Strafurteil: Ausschöpfen des Unrechtsgehalts der angeklagten Tat
Gesetze: § 264 StPO, § 52 Abs 1 Nr 1 WaffG, § 24 StGB, § 211 StGB, § 306a StGB
Instanzenzug: LG Kleve Az: 220 KLs 1/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung sowie der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz freigesprochen. Mit ihrer - nachträglich auf den Freispruch vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung beschränkten - Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts warf der Angeklagte am gegen 0.50 Uhr eine mit einem Brandbeschleuniger gefüllte und einer Zündvorrichtung versehene Bierflasche (Molotow-Cocktail) in Richtung des geöffneten Fensters zum Zimmer der T. . Dabei nahm der Angeklagte, der zutreffend davon ausging, dass die Zeugin schlafend in ihrem Zimmer lag, deren möglichen Tod ebenso in Kauf wie einen durch die beabsichtigte Explosion verursachten Wohnungsbrand, der weitere Personen gefährden könnte. Der Brandsatz verfehlte allerdings sein Ziel, so dass die Flasche an der an das Fenster angrenzenden Hauswand abprallte und zunächst auf das Fensterbrett und dann auf den Erdboden fiel, wo sie zerbarst, ohne dass eine Detonation ausgelöst wurde. Einen von vornherein für den Fall des Fehlgehens des ersten Wurfes mitgeführten zweiten Brandsatz brachte der Angeklagte nicht mehr zum Einsatz. Vielmehr verließ er den Tatort. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Mord in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung gewertet. Von dem unbeendeten Versuch sei der Angeklagte jedoch strafbefreiend zurückgetreten, weshalb er freizusprechen sei.
3Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK/Kuckein, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
4Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 264 Rn. 10; KK/Kuckein, aaO Rn. 10).
5Dies hat das Landgericht unterlassen. Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Angeklagte mit zwei selbstgebauten "Molotow-Cocktails" zu dem von der Zeugin T. bewohnten Haus begeben. Die Strafkammer hätte deshalb prüfen und entscheiden müssen, ob er damit den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 und Anlage 2 Abschnitt 1 1.3.4. WaffG (vgl. Steindorf/Heinrich/Papsthart-Heinrich, Waffenrecht, 9. Aufl., § 52 WaffG Rn. 3 f.) erfüllt hat. Dass diese Strafvorschrift in der - unverändert zugelassenen - Anklage nicht aufgeführt war, änderte an der Kognitionspflicht des Landgerichts nichts (§ 264 Abs. 2 StPO).
6Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
7Der neue Tatrichter wird den festzustellenden Sachverhalt wiederum unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen haben.
Becker Pfister Hubert
Schäfer Spaniol
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Fundstelle(n):
EAAAE-51106