Keine Sachaufklärung durch das Gericht bei Versäumung der Klagefrist
Gesetze: FGO § 76 Abs. 1 Satz 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 155, ZPO § 227 Abs. 1, GG Art. 103
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wird im Streitjahr 2000 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er leidet seit Jahren unter einer bipolaren affektiven Störung („manisch-depressive Erkrankung”).
2 Im Rahmen einer andere Jahre betreffenden mündlichen Verhandlung am schloss der Kläger mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) eine tatsächliche Verständigung für das Streitjahr ab und erklärte die Rücknahme seines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für 2000 vom . In diesem Bescheid hatte das FA den zum festgestellten Verlust berücksichtigt. Im Feststellungsbescheid über den verbleibenden Verlust auf den stellte das FA deshalb einen Verlust von 0 DM fest.
3 Mit Bescheid vom setzte das FA die tatsächliche Verständigung um und erließ einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr, der die Steuer auf 0 € festsetzte. Dieser Bescheid wurde nach erfolglosem Zustellversuch durch einen privaten Postanbieter unter dem Datum des erneut durch die Deutsche Post AG zugestellt. Da eine persönliche Zustellung erfolglos blieb, wurde eine Zustellnachricht am gleichen Tag in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen und der Bescheid in der örtlich zuständigen Postfiliale zur Abholung niedergelegt. Mangels Abholung wurde der Bescheid am ungeöffnet an das FA zurückgesandt.
4 Mit Telefax vom wandte sich der Kläger an das FA und übersandte in der Anlage ein Schreiben mit dem Datum vom . Nach dem Inhalt dieses Schreibens war es ihm nicht möglich gewesen, den Einkommensteueränderungsbescheid in der Postfiliale abzuholen, da dieser dort nicht mehr verwahrt worden sei. Er bat deshalb um erneute Bekanntgabe des Bescheides.
5 Das FA wertete das Telefax als Einspruch des Klägers, den es hinsichtlich des Einkommensteueränderungsbescheides mit der Entscheidung vom als unzulässig verwarf. Zugleich lehnte es den Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum als unbegründet ab, da ein solcher nicht festzustellen sei. Die Zustellung beider Einspruchsentscheidungen erfolgte durch die Deutsche Post AG. Da die persönliche Zustellung wiederum erfolglos blieb, wurde der Brief mit den beiden Einspruchsentscheidungen erneut in der örtlichen Postfiliale niedergelegt und eine Zustellnachricht in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Am wurde der Brief ungeöffnet an das FA zurückgesandt, da er nicht abgeholt worden war.
6 Am übersandte das FA dem Kläger auf dessen Verlangen hin Abschriften der Bescheide und der Einspruchsentscheidungen mit einfacher Post. Im Telefax vom bestritt der Kläger daraufhin die wirksame Bekanntgabe des geänderten Einkommensteuerbescheides und der Einspruchsentscheidungen und brachte beim FA eine Klage gegen die Bescheide an.
7 Im Klageverfahren wurde der Kläger mit Schreiben vom zur mündlichen Verhandlung am geladen.
8 Per Telefax vom , beim Finanzgericht (FG) am eingegangen, teilte die Mutter des Klägers mit, dass dieser unter Herz-Rhythmusstörungen leide und am in der Notaufnahme eines Krankenhauses erstversorgt worden sei. Er habe sich gegen den ärztlichen Rat auf eigene Verantwortung entlassen, um sich auf die mündliche Verhandlung vorbereiten zu können. Nun habe er eingesehen, dass sich eine ärztliche Behandlung nicht länger hinauszögern ließe. Aus diesem Grunde bat die Mutter des Klägers um Terminsverlegung. Diesem Schreiben lag eine Bescheinigung der Notaufnahme vom bei, wonach der Kläger sofort stationär zu behandeln sei, dies aber ablehne.
9 Mit Schreiben vom lehnte der Vorsitzende Richter den Terminsverlegungsantrag ab, da der Kläger sich nicht in stationärer Behandlung befinde und seine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit für den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aktuell nachgewiesen sei.
10 Zur mündlichen Verhandlung erschien der Kläger nicht. Das FG wies die Klage mit Urteil vom ab. Die Klage sei u.a. wegen Verfristung unzulässig gewesen. Sowohl der geänderte Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom als auch die Einspruchsentscheidungen vom seien gegenüber dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden. Die am eingereichte Klage sei deshalb verspätet erhoben. Die Klagefrist habe am geendet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist konnte das FG nicht erkennen, wobei aus seiner Sicht auch die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit dem Telefax vom nicht gewahrt worden ist. Daneben scheitere die Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung an der Rücknahme des Einspruchs in der mündlichen Verhandlung vom und der fehlenden Beschwer, da der angegriffene Einkommensteuerbescheid auf 0 € laute. Da der Kläger aufgrund der tatsächlichen Verständigung in dieser mündlichen Verhandlung auf die Geltendmachung weiterer Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung verzichtet habe, könne ein Verlust zum nicht festgestellt werden.
11 Einer Terminsverlegung hat es aus Sicht des FG auch nicht aufgrund der am nachgereichten Bescheinigung des Krankenhauses über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom bis bedurft, da diese erst nach Verkündung des Urteils zugegangen sei.
12 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger den Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das FG habe ungeprüft die unwahre Behauptung des FA übernommen, dass das Telefax vom bei diesem nicht eingegangen sei. Die fälschlicherweise vom FG abgelehnte Terminsverlegung habe dazu geführt, dass der Kläger in einem späteren Termin den Zugang des Telefaxes vom nicht anhand des ihm nun vorliegenden Faxempfangsjournals des FA habe belegen können.
13 Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
14 II. Die Beschwerde des Klägers ist zumindest unbegründet.
15 1. Die vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor. Zu Unrecht rügt der Kläger die Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO).
16 a) Soweit der Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) rügt und dabei auf die aus seiner Sicht fehlende Überprüfung der Akte des FA und die fehlende Heranziehung der Telefaxeingangsprotokolle des FA abstellt, rügt er letztlich die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch das FG.
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— (vgl. hierzu die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 70) sind insoweit u.a. Ausführungen zu den folgenden Punkten erforderlich:
welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte aufklären müssen oder welche Beweise zu welchem Beweisthema es von Amts wegen hätte erheben müssen;
aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen;
nwieweit eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
18 Zwar hat der Kläger dargelegt, dass aus seiner Sicht das FG von sich aus die in Frage stehende Problematik des Eingangs des Telefaxes vom weiter hätte aufklären müssen und in diesem Fall anhand des Faxempfangsjournals des FA dessen Eingang innerhalb der Einspruchsfrist des Einkommensteueränderungsbescheides vom erkannt hätte. Allerdings verkennt der Kläger, dass eine solche weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu keiner anderen Entscheidung hätte führen können. Das FG weist die Klage nämlich —zu Recht— deshalb ab, weil die Klage- und nicht die Einspruchsfrist versäumt worden ist. Folglich ist es unerheblich, ob das Telefax vom fristgerecht innerhalb der Einspruchsfrist eingegangen ist. Auch die Frage, ob insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, ist ohne Bedeutung.
19 Durch die Versäumung der Klagefrist sind die Einspruchsentscheidungen bestandskräftig geworden – was im Übrigen vom Kläger nicht gerügt worden ist. Zu Recht hat das FG deshalb ein Prozessurteil erlassen. Unerheblich ist das Abstellen des FG auch auf die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides für 2000 sowie die Folgen der abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung vom .
20 b) Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG, §§ 96 Abs. 2, 76 Abs. 2 FGO) nicht verletzt. Es konnte ohne Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung entscheiden.
21 Nach der Rechtsprechung des BFH wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angenommen, wenn einem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird, obwohl erhebliche Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen und glaubhaft gemacht werden. Im Allgemeinen reicht zur Glaubhaftmachung die Vorlage eines substantiierten privatärztlichen Attestes aus, aus dem sich die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar ergibt (vgl. , XI B 207/07, BFH/NV 2008, 1191, m.w.N.). Wird wie im Streitfall erst kurz vor dem Sitzungstag ein Antrag auf Terminsverlegung wegen des Vorliegens einer Erkrankung gestellt, dann sind die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob der betroffene Beteiligte verhandlungs- und/oder reisefähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 130/12, BFH/NV 2013, 228, m.w.N.).
22 Im vorliegenden Fall hat der Kläger seine fehlende Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit am Sitzungstag und damit das Vorliegen eines erheblichen Grundes i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat seine Mutter für ihn eine Herz-Rhythmusstörung als —gegenüber seiner gerichtsbekannten psychischen Erkrankung— neue Krankheit dargelegt und auch auf die akute Notwendigkeit einer sofortigen stationären Behandlung hingewiesen. Allerdings ist —auch nach der Ablehnung des Terminverlegungsantrags am Tag vor der mündlichen Verhandlung— der Beginn dieser stationären Behandlung nicht nachgewiesen worden. Eines solchen Nachweises bedurfte es im vorliegenden Fall aber schon deshalb, weil der Kläger nach den Angaben seiner Mutter und der eingereichten ärztlichen Bescheinigung eine stationäre Behandlung bislang abgelehnt hatte.
23 Die erst nach Verkündung des Urteils nachgereichte Bescheinigung über die stationäre Behandlung des Klägers ist unbeachtlich (, BFH/NV 2003, 1206).
24 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
25 3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 168 Nr. 2
PAAAE-50327