BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 10/13

Anwaltliches Berufsrecht: Aufwendungsersatzanspruch der Rechtsanwaltskammer für Kosten eines Gutachtens über den Gesundheitszustand ihres Mitglieds

Gesetze: § 15 Abs 1 BRAO, § 112e S 2 BRAO, § 670 BGB, § 677 BGB, § 679 BGB, § 683 BGB, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 2 AGH 10/12 Urteil

Gründe

I.

1Der Beklagte ist im Bezirk der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom gab die Klägerin ihm auf, ein Gutachten der ärztlichen Direktorin und Abteilungsärztin Allgemeine Psychiatrie II der L.   -Klinik in K.   über seinen Gesundheitszustand beizubringen. Die Gutachterin erklärte, sie lasse sich nur von Gerichten oder Institutionen beauftragen. Daraufhin erteilte die Klägerin den Auftrag zur Erstattung des Gutachtens. Sie zahlte an die Gutachterin 1.063,86 € (brutto). Diesen Betrag verlangt sie vom Beklagten ersetzt. Sie hat zunächst bei dem für den Wohnsitz des Beklagten örtlich zuständigen Amtsgericht Klage erhoben. Auf ihren Antrag hin ist die Sache mit Zustimmung des Beklagten an den Anwaltsgerichtshof verwiesen worden. Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.063,86 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem zu zahlen.

2Der Beklagte hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. festzustellen, dass der der Kostenforderung der Klägerin zugrunde liegende Verwaltungsakt vom nichtig ist.

3Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

4Der Anwaltsgerichtshof hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Nunmehr beantragt der Beklagte die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.

II.

5Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

61. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

7a) Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542, 543 f.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO Rn. 77).

8b) Der Bescheid vom ist nicht nach § 32 BRAO, § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig. Nichtig nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ist ein Verwaltungsakt, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Das war hier nicht der Fall. Der Umstand, dass das dem Beklagten aufgegebene Verhalten - die Vorlage des Gutachtens - nicht von dessen Willen allein abhing, sondern der Mitwirkung der von der Klägerin bestimmten Gutachterin bedurfte, reicht insoweit nicht aus. Ebenso wenig führte deren Weigerung, im Auftrag des Beklagten tätig zu werden, zu einer Nichtigkeit des Bescheides vom . Der Beklagte konnte der Anordnung, ein Gutachten der von der Klägerin bestimmten Ärztin vorzulegen, mit Hilfe der Klägerin nachkommen.

9c) Die Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff., 679 BGB) sind erfüllt.

10aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. , BGHZ 191, 325 Rn. 15) können öffentlich-rechtliche Pflichten eine Haftung als Geschäftsherr im Sinne der (zivilrechtlichen) Vorschriften der §§ 677 ff. BGB auslösen. Ob der geltend gemachte Anspruch dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht zuzuordnen ist (vgl. § 112a Abs. 1 BRAO), bedarf nach der bindenden Verweisung des Rechtsstreits an den Anwaltsgerichtshof (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG) jedoch keiner Entscheidung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Bestimmungen der §§ 677 ff. BGB im öffentlichen Recht bei Vorliegen einer planwidrigen Lücke im jeweiligen Regelungszusammenhang Anwendung finden können (vgl. etwa BVerwGE 80, 170, 172 f.; , Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 2). Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechen denjenigen der §§ 677 ff. BGB.

11bb) Die Bundesrechtsanwaltsordnung sieht nicht vor, dass der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO bestimmte Gutachter im Auftrag der Kammer tätig wird. Sie schließt einen Auftrag der Kammer anstelle des betroffenen Rechtsanwalts aber auch nicht aus. Erteilt die Kammer den Auftrag selbst, liegt hierin kein zusätzlicher Eingriff in die Rechte des Rechtsanwalts, der einer gesonderten rechtlichen Grundlage bedürfte. Mit der Beauftragung der Gutachterin hat die Klägerin objektiv ein Geschäft des Beklagten geführt, dem die Beibringung des Gutachtens aufgegeben worden war (§ 15 Abs. 1 BRAO). Der Fremdgeschäftsführungswillen wird in einem solchen Fall vermutet. Ein etwa der Geschäftsführung entgegenstehender Wille des Beklagten war nach § 679 BGB unbeachtlich. Der Erstattungsanspruch (§§ 683, 670 BGB) steht nicht im Widerspruch zu der Kostenregelung des § 15 Abs. 1 Satz 3 BRAO; denn die Kosten des vom Rechtsanwalt beizubringenden Gutachtens sind von diesem selbst zu tragen.

12d) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Bescheid vom nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Die Ausführungen des Beklagten dazu, dass die Gutachterin von der Klägerin "in Abstimmung mit den deutschen Geheimdiensten ausgesucht" worden sei und ein Zusammenhang mit dem "Fukushimadesaster" bestehe, sind unverständlich.

132. Der Beklagte hat keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Anwaltsgerichtshof hat nicht gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Die Entscheidung über den geltend gemachten Zahlungsanspruch erforderte keine Feststellungen zu einem "Spitzelwahn" oder "Vergiftungswahn" des Beklagten. Der Anwaltsgerichtshof war auch nicht deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt, weil der Vorsitzende im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits das "Ruhestandsalter" erreicht hatte. Wie sich im Umkehrschluss aus § 103 Abs. 2, § 94 Abs. 3 Satz 1, §§ 65 ff., § 67 Nr. 1 BRAO ergibt, kann ein Rechtsanwalt, der das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hat, Mitglied des Anwaltsgerichtshofs sein. Der Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde nicht verletzt. Der Vortrag, dessen fehlende Protokollierung der Beklagte rügt, war unerheblich.

143. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Generalbundesanwalt war nicht zu beteiligen.

154. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Bescheid vom ist nicht nichtig. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage einer "Umgehung des nichtigen Verwaltungsaktes" stellt sich damit nicht.

III.

16Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 3 GKG.

Kayser                   Lohmann                      Seiters

              Stüer                         Martini

Fundstelle(n):
NJW-RR 2014 S. 439 Nr. 7
WAAAE-50235