Die Absicherung von Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten vor dem Hintergrund von Naturkatastrophen (Zusammenfassung)
In diesem Artikel werden die Gründe für das eingeschränkte Angebot an Betriebsunterbrechungsversicherungen in Lieferketten erörtert und Vorschläge zur Verbesserung der Absicherungsmöglichkeiten für derartige Risiken gemacht. Die versicherungstechnisch größte Herausforderung ist die Kumulproblematik, die besonders bei Betriebsunterbrechungen ohne vorherigen Sachschaden aufgrund katastrophenbedingter Störungen der Infrastruktur vorhanden ist. Eine Erweiterung der Deckungskapazität kann durch die Verbriefung dieser Risiken erreicht werden. Aus Sicht der Unternehmen stellt außerdem die bedingte Finanzierung ein zusätzliches Instrument für das Risikomanagement dar, welches bei Bedarf neben der ex-ante-Diversifikation und Flexibilisierung der Lieferkette eingesetzt werden kann.
1 Einleitung
Betriebsunterbrechungen können viele unterschiedliche Ursachen haben. [1] Sie können zum einen innerhalb des Betriebes entstehen oder zum anderen außerhalb des Betriebes von externen Ursachen wie Naturkatastrophen und konjunkturellen Risiken ausgelöst werden. Insbesondere die Lieferkette eines Unternehmens ist anfällig für solche außerbetrieblichen Störungen. Die ehemals interne Lieferkette eines Unternehmens hat sich durch die zunehmende Globalisierung zu einer externen, unternehmensübergreifenden Lieferkette entwickelt. [2] Die Betriebsunterbrechungsrisiken erstrecken sich somit über den Betrieb hinaus auch auf andere Unternehmen und Regionen. Einhergehend mit dieser regionalen und unternehmensübergreifenden Ausweitung der Risiken muss sich das Risikomanagement auch mit möglichen Betriebsunterbrechungen auseinandersetzen, die durch Störungen außerhalb des Unternehmens ausgelöst werden. Diese Störungen können durch Risiken verursacht werden, die ursprünglich für das Unternehmen allein betrachtet keine Rolle spielen. So können außerbetriebliche Risikoquellen wie Naturkatastrophen Betriebsunterbrechungen auslösen, selbst wenn sich das Unternehmen in einer nicht gefährdeten Region befindet.
In den vergangenen Jahren gab es unterschiedliche Störungen in Lieferketten, die durch außerbetriebliche Risikoquellen hervorgerufen wurden. Im Jahr 2000 fiel durch einen Blitzeinschlag in New Mexico eine Mikrochip Fabrikanlage von Royal Phillips Electronics N. V. aus, welche die Handyhersteller Nokia Corp. und AB L. M.S. 590Ericsson belieferte. Für Ericsson hatte der Ausfall in der Lieferkette und die damit verbundene Betriebsunterbrechung einen Verlust von 400 Mio. US-Dollar zur Folge. Nokia reagierte hingegen schnell auf die Unterbrechung, wechselte den Lieferanten und konnte durch Diversifikation in der Lieferkette nach nur kurzer Unterbrechung weiter produzieren. [3]
Die Aschewolke aus Island zeigt hingegen, welche Folgen Naturkatastrophen auch auf die Transportwege haben können. Infolge des Vulkanausbruchs wurde für einige Tage der Luftraum über weiten Teilen Europas gesperrt und aus diesem Flugverbot sind wirtschaftliche Schäden durch die Verzögerung oder den Ausfall der Transporte entstanden. [4]
Durch die Überschwemmungen in Thailand im Jahr 2011 wurden nicht nur Unternehmen vor Ort geschädigt, sondern indirekt über die Schäden bei Zulieferern auch ausländische Unternehmen aus der ganzen Welt, die Verluste durch Lieferengpässe nach flutbedingten Produktionsausfällen in Thailand hinnehmen mussten. [5] Auch das Erdbeben und der Tsunami in Japan im Jahr 2011 wirkten sich durch Störungen in Lieferketten weltweit aus. [6]
Es existieren verschiedene Maßnahmen, die ex ante ergriffen werden können, um das Betriebsunterbrechungsrisiko aufgrund von Lieferkettenstörungen zu vermindern. So können beispielsweise Verträge mit mehreren Zulieferern abgeschlossen werden. Eine derartige Diversifikation auf Zuliefererebene kann das Betriebsunterbrechungsrisiko wirksam reduzieren, da der Ausfall eines Zulieferers durch die anderen Zulieferer kompensiert werden kann. Diese Art des Risikomanagements ist jedoch sehr aufwendig in der Vertragsgestaltung und insbesondere für spezialisierte Produkte mit hohen Qualitätsanforderungen oft nicht möglich. Zudem muss bei der Diversifikation auch auf eine regionale Aufteilung geachtet werden, da sich sonst Störungen in der Lieferkette, die insbesondere bei Naturkatastrophen ganze Regionen betreffen, nicht verhindern lassen. In vielen Branchen ist diese regionale Diversifikation schwierig oder unmöglich. Auch das Risiko der Insolvenz von Zulieferern aufgrund konjunktureller Entwicklungen lässt sich auf diese Art häufig nicht sinnvoll absichern, da es sich um ein systemisches Risiko handelt. Eine weitere Möglichkeit des ex-ante Risikomanagements ist die Lagerhaltung, durch die eine Unterbrechung der Lieferkette für einen gewissen Zeitraum abgefedert werden kann. Lagerhaltung bedeutet aber stets eine hohe Kapitalbindung und wird im Rahmen der Just-In-Time-Produktion bei vielen Unternehmen abgeschafft um Kosten zu sparen. Die Flexibilisierung der Lieferketten kann auch durch Integration von Zulieferern in das eigene Unternehmen erfolgen.
Die beschriebenen Maßnahmen zur Flexibilisierung der Lieferkette sind jeweils mit hohen Kosten verbunden und können das Risiko von Betriebsunterbrechungen zwar verringern aber nicht beseitigen. Daraus resultiert ein Bedarf von Unternehmensseite zur Absicherung dieser außerbetrieblichen Betriebsunterbrechungsrisiken. Diese Absicherung gestaltet sich aber in der Realität durchaus schwierig, da Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten nur eingeschränktS. 591und dann zu deutlich höheren Prämien als die traditionelle Betriebsunterbrechungsversicherung eines einzelnen Betriebes angeboten wird.
Die Ziele dieses Beitrages bestehen erstens darin, die versicherungstechnischen Gründe für das eingeschränkte Angebot an Betriebsunterbrechungsversicherungen in Lieferketten aufzuzeigen. Zweitens wird eine Möglichkeit erörtert, das Angebot an Versicherungsschutz durch so genannten Alternativen Risikotransfer zu verbessern. Schließlich werden drittens, angesichts der Probleme bei der Versicherung des Betriebsunterbrechungsrisikos in Lieferketten, alternative Möglichkeiten aufgezeigt, wie Unternehmen die finanziellen Folgen von Schäden aus einer Betriebsunterbrechung in der Lieferkette bewältigen können. Dazu werden im Folgenden zunächst die am Markt bestehenden Versicherungslösungen zur Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken vorgestellt. Danach werden die versicherungstechnischen Implikationen der Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden dargestellt, die Versicherbarkeit dieser Risiken geprüft und insbesondere die Kumulproblematiken bei der Versicherung von Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten detailliert beleuchtet. Anschließend werden in Kapitel 4 alternative Konzepte für die Absicherung dieser Risiken vorgestellt. Der Aufsatz schließt mit einem kurzen Fazit.
2 Versicherungslösungen zur Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken
2.1 Klassische Betriebsunterbrechungsversicherung
Traditionell können Unternehmen bestimmte Betriebsunterbrechungsrisiken mittels einer Betriebsunterbrechungsversicherung absichern. Diese deckt grundsätzlich Vermögensschäden ab, die dem Unternehmen aufgrund der Unterbrechung des Betriebes entstehen. In ihrer einfachsten Form setzt die klassische Betriebsunterbrechungsversicherung stets einen durch eine versicherte Gefahr entstandenen Sachschaden voraus. Tritt ein solcher Sachschaden beim Unternehmen auf, in dessen Folge der Betrieb unterbrochen wird, werden die finanziellen Schäden, die durch die Unterbrechung des Betriebes entstehen, vom Versicherer erstattet. [7] Voraussetzung ist hierbei, dass der Sachschaden auf dem „Versicherungsgrundstück”, d. h. auf dem Betriebsgelände des versicherten Unternehmens, entstanden ist. [8] Umfasst das Betriebsgelände mehrere Standorte, so können Betriebsunterbrechungen bspw. bei der Endfertigung, die aufgrund von Sachschäden in einem anderen Werk auftreten, im Rahmen der Wechselwirkungsschäden in der klassischen Betriebsunterbrechungsversicherung mit versichert werden.
Was passiert jedoch, wenn nicht an einer Betriebsstätte des Unternehmens selbst der Sachschaden entsteht, sondern ein wichtiger Zulieferer aufgrund eines entsprechenden Sachschadens vorübergehend nicht liefern kann und daher auch die eigene Produktion unterbrochen wird? Die klassische Betriebsunterbrechungsversicherung in ihrer einfachsten Form würde bei einer derartigen Betriebsunterbrechung leistungsfrei bleiben, da kein Sachschaden bei dem versicherten Unternehmen entstanden ist. Wie in der Einleitung dargestellt, ist in Zeiten globalisierter Lieferketten derS. 592Einschluss von Betriebsunterbrechungen aufgrund von Störungen eben dieser Lieferketten essentiell, um das Betriebsunterbrechungsrisiko wirkungsvoll absichern zu können. Aus diesem Grund kann eine klassische Betriebsunterbrechungsversicherung um die sogenannte Rückwirkungsschadenklausel erweitert werden. Rückwirkungsschäden sind Vermögensschäden, die aufgrund der Störung der Lieferkette eintreten. Voraussetzung dafür, dass eine klassische Betriebsunterbrechungsversicherung mit Rückwirkungsschadenklausel im Schadenfall leistet, ist, dass beim Zulieferer ein Sachschaden eingetreten ist, für den im Rahmen der klassischen Betriebsunterbrechungsversicherung Deckung bestanden hätte, sofern er auf dem Versicherungsgrundstück des versicherten Unternehmens eingetreten wäre. [9] Insbesondere muss dieser Sachschaden also auch durch eine versicherte Gefahr entstanden sein, weshalb die Entscheidung über den Einschluss bestimmter Gefahren dies berücksichtigen sollte. Dieser Aspekt ist besonders vor dem Hintergrund von Naturkatastrophen hochgradig relevant, da üblicherweise unterschiedliche Regionen verschiedenen Naturgefahren unterschiedlich stark ausgesetzt sind. [10]
2.2 Betriebsunterbrechungsversicherung ohne vorherigen Sachschaden
Der Einschluss der Rückwirkungsschadenklausel bezieht zwar, wie dargestellt, gewisse Störungen der Lieferkette in die Betriebsunterbrechungsabsicherung mit ein, jedoch liegen weiterhin zahlreiche Betriebsunterbrechungsereignisse außerhalb dieser Deckung. [11] Voraussetzung dafür, dass im Falle einer Betriebsunterbrechung die Versicherung zahlt, ist, dass ein Sachschaden eingetreten ist, der die Betriebsunterbrechung zur Folge hat. Was sind jedoch Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden und wie lassen sich diese absichern? Ein Beispiel ist der in der Einleitung beschriebene Stromausfall, bei dem weder bei dem Zulieferer noch bei dem betroffenen Unternehmen ein Sachschaden vorlag, so dass auch eine Betriebsunterbrechungsversicherung mit Rückwirkungsschadenklausel in diesem Fall leistungsfrei geblieben wäre. Neben dem Ausfall der öffentlichen Versorgung stellen eine Störung der Lieferwege oder die Insolvenz von Zulieferern substantielle Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden dar. Insbesondere durch Naturereignisse ausgelöste Störungen der Lieferkette weisen neben den üblichen Sachschäden bei Zulieferern aus der betroffenen Region auch eine erhebliche und häufig nachhaltige Störung der Transportwege auf. Versicherungsschutz für derartige Betriebsunterbrechungen ohne vorherigen Sachschaden wird mittlerweile vereinzelt am Markt angeboten. [12] Neben speziellen Angeboten, wie bspw. der Absicherung gegen den Ausfall der öffentlichen Versorgung, existieren Policen, die speziell die Störung von Lieferwegen aufgrund von bestimmten,S. 593vorab zu definierenden Ereignissen absichern. [13] Diese werden vorwiegend auf dem englischen Markt angeboten, was eine erhebliche Hürde insbesondere für mittelständische deutsche Unternehmen darstellt. Desweiteren werden vereinzelt auch allgemeine Lieferkettenversicherungen angeboten, die allerdings substantielle Ausschlüsse enthalten. [14] Obwohl ein grundsätzlicher Bedarf für derartige Absicherungen bei Unternehmen besteht, wurden solche Versicherungen bislang nur äußerst selten abgeschlossen. Ein Grund hierfür ist, dass diese Art der Deckung sehr teuer ist. Neben der im Vergleich zur traditionellen Betriebsunterbrechungsversicherung ohnehin schon extrem hohen Prämie ist vorab eine umfassende Risikoanalyse notwendig, für die ebenfalls eine Gebühr gezahlt werden muss. [15] Das Risiko der Insolvenz von Zulieferern lässt sich in vielen Branchen nicht versichern. In den Bereichen, in denen derartige Deckungen angeboten werden, sind die Preise meist prohibitiv hoch. Des Weiteren gibt es bei der Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden auch Unklarheiten aufgrund von Schadenereignissen, mit denen die Vertragspartner ex ante nicht gerechnet haben. Beispielsweise wurde in Folge der vulkanischen Aschewolke der Luftraum in der betroffenen Region weiträumig gesperrt, was eine erhebliche Störung der Lufttransportwege bedeutet hat. Da die Luftraumsperrung von den Flugsicherheitsbehörden veranlasst wurde, handelte es sich dabei um einen hoheitlichen Eingriff. Hoheitliche Eingriffe sind ein regelmäßiger Ausschluss in den entsprechenden Versicherungsverträgen, wobei das eigentliche Ziel dieser Vereinbarung etwaige Zwangsverstaatlichungen von Betrieben sind. Ob die Sperrung des Luftraums infolge einer Aschewolke als ein hoheitlicher Eingriff zu werten ist, der einen Leistungsausschluss des Versicherers nach sich zieht, ist unklar, und muss künftig einzelvertraglich geregelt werden.
Daneben existieren bei der Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden ganz grundsätzliche versicherungstechnische Herausforderungen, die zu Deckungslücken sowie hohen Sicherheitszuschlägen und somit hohen Prämien führen. Im folgenden Kapitel werden diese Herausforderungen ausführlich diskutiert.
3 Versicherungstechnische Implikationen der Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorherigen Sachschaden
3.1 Versicherbarkeit
Versicherungsdeckungen für Betriebsunterbrechungen, die innerhalb des betreffenden Betriebes entstehen, werden problemlos und mit hohen Deckungssummen am Markt angeboten, während für Betriebsunterbrechungen in Lieferketten nur sehr eingeschränkte und kostspielige Deckungen verfügbar sind. Dies wirft die Frage auf, warum anscheinend manche Risiken weitgehend problemlos versichert werden können, während es für andere Risiken sehr schwierig oder im Extremfall unmöglich ist, Versicherungsschutz zu erhalten. Um hier zu einer Antwort zu kommen, müssenS. 594Eigenschaften von Risiken identifiziert werden, die ihre Versicherbarkeit erleichtern bzw. erschweren. In der Versicherungsbetriebslehre wird diese Diskussion unter dem Stichwort „Versicherbarkeit von Risiken” seit langer Zeit geführt. Auch wenn diese Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, so gibt es doch Konsens über zentrale Eigenschaften, die für die Versicherbarkeit von Risiken relevant sind. [16] Im Folgenden werden diese Eigenschaften vorgestellt und ihre jeweilige Relevanz für die Versicherung von Betriebsunterbrechungen in Lieferketten erörtert. Die Kriterien zu der Versicherbarkeit von Einzelrisiken sind: Zufälligkeit, Eindeutigkeit, Schätzbarkeit, Größe, Unabhängigkeit.
Zufälligkeit
Zufälligkeit bedeutet, dass Versicherungsnehmer den Versicherungsfall nicht beeinflussen können, da der Sinn eines Versicherungsvertrages gerade in einer Absicherung gegen ungünstige Zufallsereignisse besteht. Anders ausgedrückt ist Zufälligkeit dann gegeben, wenn in der Versicherungsvertragsbeziehung kein Moral-Hazard-Problem auftritt. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Studien, die verschiedene Formen von Moral Hazard auf Versicherungsmärkten empirisch nachweisen. [17] Dies zeigt deutlich, dass Zufälligkeit nicht als ein absolutes Kriterium zu interpretieren ist, bei dessen Verletzung Risiken nicht mehr versichert werden können. Vielmehr handelt es sich bei der Zufälligkeit um ein graduelles Kriterium: Damit ein Risiko versicherbar ist, muss das Moral-Hazard-Problem in Grenzen gehalten werden können. Dies geschieht durch Anreiz- und Kontrollmechanismen im Versicherungsvertrag, wie etwa der Vereinbarung von Selbstbeteiligungen und pauschalierten Entschädigungen sowie der Festlegung von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, bei deren Verletzung eine Leistungspflicht des Versicherers entfallen kann. Die Grenzen der Versicherbarkeit werden erreicht, wenn es auch bei einer entsprechenden Ausgestaltung des Versicherungsvertrages nicht möglich ist, Moral Hazard so weit zu reduzieren, dass eine Risikoübernahme durch Versicherer ökonomisch sinnvoll wäre.
Die Moral-Hazard-Problematik ist bei Betriebsunterbrechungen in Lieferketten etwas gravierender als bei internen Betriebsunterbrechungen, aber sie ist sicher noch kontrollierbar. Der Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages könnte die in der Einleitung beschriebenen ex-ante-Maßnahmen verdrängen. Allerdings könnte ein entsprechendes Maß an ex-ante-Diversifikation oder Lagerhaltung im Versicherungsvertrag vereinbart werden. Daher sind die Probleme der Versicherung von Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten nicht primär auf eine Störung der Zufälligkeit zurückzuführen.
Eindeutigkeit
Das Kriterium der Eindeutigkeit verlangt, dass im Versicherungsvertrag eindeutig und intersubjektiv überprüfbar geregelt ist, in welchen Situationen und in welcher Höhe Versicherungsleistungen fällig werden. Diese Forderung ist für die VersicherS. 595barkeit von Risiken unabdingbar, da sie eine konstituierende Voraussetzung eines Versicherungsvertrages darstellt: Ein Versicherungsvertrag ist ein vollständig spezifizierter bedingter Vertrag. Allerdings ergeben sich im Hinblick auf das Kriterium der Eindeutigkeit üblicherweise keine Probleme für die Versicherbarkeit von Risiken, da durch eine entsprechende Gestaltung des Versicherungsvertrages die Eindeutigkeit immer gewährleistet werden kann. [18] Dies gilt auch für die Versicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten, so dass auch dieses Kriterium nicht weiterhilft. [19]
Schätzbarkeit
Dieses Kriterium besagt, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung eines Risikos bekannt bzw. hinreichend genau schätzbar sein müsse, damit es versicherbar wäre. Eine unbekannte oder nicht hinreichend bekannte Schadenverteilung würde somit zur Nichtversicherbarkeit von Risiken führen. Einer solchen Argumentation muss entgegengehalten werden, dass letztlich jede Entscheidung auf Basis subjektiver Einschätzungen getroffen wird, die nur mehr oder weniger gut statistisch abgesichert sind. Daher kann das Kriterium der Schätzbarkeit – wenn überhaupt – nur ein graduelles und kein prinzipielles Problem für die Versicherbarkeit von Einzelrisiken sein. Aber auch bei Fehlen jeglicher statistischer Informationen über Schadenverteilungen ist es theoretisch nicht einzusehen, warum es nicht auf Basis subjektiver Einschätzungen zu einem Versicherungsvertrag zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer kommen sollte. Die Realität auf Versicherungsmärkten bestätigt dies. Beispielsweise wurden die ersten Satelliten und Ölbohrinseln versichert, obwohl keine Erfahrung über die jeweiligen Schadenverteilungen existierten. [20] Daher ist die Schätzbarkeit von Risiken keine Voraussetzung für deren Versicherbarkeit. Allerdings werden Versicherer umso vorsichtiger kalkulieren, je größer ihre Unsicherheit über die zugrundeliegende Schadenverteilung ist, so dass die Sicherheitszuschläge in den Versicherungsprämien mit wachsenden Schätzbarkeitsproblemen steigen.
Das Betriebsunterbrechungsrisiko in Lieferketten stellt Versicherer aufgrund der deutlich vielfältigeren möglichen Schadenursachen vor größere SchätzbarkeitsproS. 596bleme als das Betriebsunterbrechungsrisiko mit vorhergehendem Sachschaden. Aus diesem Grund werden bei der Betriebsunterbrechungsversicherung von Lieferketten höhere Sicherheitszuschläge kalkuliert. Ein überzeugendes Argument für Versicherbarkeitsprobleme bei der Betriebsunterbrechung von Lieferketten sind die Schätzbarkeitsprobleme hingegen nicht.
Größe
Das Kriterium der Größe bezieht sich auf den maximalen Schaden eines einzelnen Risikos. Versicherbarkeitsprobleme können dann auftreten, wenn dieser maximale Schaden im Vergleich zur Deckungskapazität des Versicherungsmarktes zu groß wird. Für die Versicherbarkeitsdiskussion ist dieses Kriterium von untergeordneter Bedeutung, da es grundsätzlich immer durch die vertragliche Festlegung geeigneter Deckungsobergrenzen erfüllt werden kann. [21] Zudem können einzelne Betriebsunterbrechungsschäden zwar durchaus beträchtlich sein, ein für die Versicherbarkeit kritisches Ausmaß erreichen sie aber in aller Regel nicht.
Unabhängigkeit
Dieses Kriterium besagt, dass die einzelnen Risiken innerhalb eines versicherten Kollektivs möglichst stochastisch unabhängig sein sollen. Ist die Unabhängigkeit gestört, wird ein Risikoausgleich im Kollektiv beeinträchtigt und in gravierenden Fällen weitgehend verhindert. [22] In diesem Zusammenhang sind insbesondere sogenannte Kumulrisiken von Bedeutung. [23] Als Kumulrisiko bezeichnet man die Gefahr, dass mehrere einzelne Versicherungsverträge von einem Schadenereignis betroffen werden können. Kumule können auf wenige Verträge begrenzt und damit versicherungstechnisch unproblematisch sein. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn mehrere versicherte Personen in einem PKW fahren. Kumule können aber auch sehr viele einzelne Policen betreffen und damit ein extrem hohes Schadenpotential aufweisen. Dies trifft insbesondere auf Naturkatastrophen wie etwa Erdbeben oder Stürme, oder aber von Menschen verursachte Ereignisse wie etwa Terroranschläge zu.
Wenn das Kriterium der Unabhängigkeit verletzt ist, besteht die Gefahr, dass die bei einem Schadenereignis fälligen Versicherungsleistungen die Leistungsfähigkeit des Versicherers übersteigen. Die Schwierigkeit liegt somit allein in der Höhe der VersiS. 597cherungsleistungen, die bei bestimmten Ereignissen fällig werden können. Daher ist auch die fehlende Unabhängigkeit ein graduelles Problem für die Versicherbarkeit von Risiken. Kleinere Kumulrisiken können problemlos versichert werden, während bei sehr großen Kumulrisiken wie Naturkatastrophen die Grenzen der Versicherbarkeit erreicht werden können. Wo genau diese Grenzen liegen, hängt im Wesentlichen von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherer ab und ist somit auch durch risikopolitische Maßnahmen wie etwa dem Umfang von Rückversicherungsschutz gestaltbar. Hier gibt es allerdings Grenzen, da bei sehr großen Kumulrisiken die zu Verfügung stehende Rückversicherungskapazität begrenzt ist.
3.2 Kumulproblematiken bei der Versicherung von Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten
Das Kriterium der Unabhängigkeit ist zentral für das Verständnis, warum das Versicherungsangebot für Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten deutlich eingeschränkter ist als für Betriebsunterbrechungsschäden mit vorhergehendem Sachschaden. Interne Betriebsunterbrechungsschäden sind singuläre Ereignisse. Abhängigkeiten in den Versicherungskollektiven sind daher vergleichsweise schwach ausgeprägt. Sie können allenfalls bei Produktionsstätten in benachbarten Gebieten auftreten, bei denen Sachschäden durch Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Katastrophen ausgelöst werden und die eine Versicherungsdeckung gegen Elementarrisiken bzw. Terrorrisiken haben. Ein solches Ereignis wird aber in aller Regel nicht zu solch hohen kumulierten Schadenhöhen führen, dass daraus ernsthafte Probleme für die Deckungskapazität des Versicherungssektors entstehen würden. Daher steht Versicherern hinreichend Rückversicherungsschutz zur Verfügung, wenn sie solche Risiken zeichnen.
Gänzlich anders stellt sich die Situation bei Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten dar. Hier handelt es sich per definitionem nicht um singuläre Ereignisse, da der Ausfall eines Produzenten zu Betriebsunterbrechungen innerhalb der gesamten Lieferkette führen kann. So kann die Betriebsunterbrechung aufgrund eines Sachschadens bei einem hoch spezialisierten Zulieferer zu einer Betriebsunterbrechung bei vielen Unternehmen führen, die die vom Zulieferer hergestellten Komponenten für ihre Produktion benötigen. Kommt es in Gebieten mit starker Zulieferindustrie zu einer Naturkatastrophe, so kann dies zu weltweit extrem hohen Betriebsunterbrechungsschäden in den betroffenen Lieferketten führen. [24] Für ein solches Schadenszenario ist es im Übrigen gar nicht notwendig, dass eine Naturkatastrophe bei den Zulieferbetrieben Sachschäden verursacht, die eine Betriebsunterbrechung zur Folge haben. Es reicht aus, dass ein Naturereignis so nachhaltige Schäden an der Verkehrsinfrastruktur verursacht, damit es zu Betriebsunterbrechungen innerhalb der betroffenen Lieferketten kommt. Dabei können die Störungen der Verkehrsinfrastruktur sowohl im Gebiet der Zulieferer als auch an anderen Stellen auftreten. Ein Beispiel für letzteren Fall ist die Sperrung weiter Teile des europäischen Luftraums aufgrund des Ausbruchs des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010. [25]S. 598
Ein weiteres bedeutendes Betriebsunterbrechungsrisiko ist die Insolvenz eines Zulieferbetriebes innerhalb einer Lieferkette. Auch bei diesem Risiko gibt es erhebliche Störungen bei der Unabhängigkeit. Zum einen können Naturkatastrophen zu einer hohen Zahl von Insolvenzen bei geographisch benachbarten Zulieferbetrieben führen, zum anderen und noch bedeutsamer ist das Konkursrisiko von Unternehmen stark mit der konjunkturellen Entwicklung der jeweiligen Branche korreliert, so dass ein wirtschaftlicher Einbruch eine Vielzahl von Unternehmenszusammenbrüchen zur Folge hat.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten aus versicherungstechnischer Sicht ein fundamental anderes und für Versicherer deutlich gravierenderes Risiko darstellen als das interne Betriebsunterbrechungsrisiko. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten entweder gar nicht oder nur mit sehr aufwendigen und für kleinere Unternehmen nahezu prohibitiv teuren Risikoprüfungen und sehr hohen Prämien versichert werden können. Auf der anderen Seite gehören Betriebsunterbrechungen in Lieferketten zu den gravierenden Risiken von Unternehmen. Daher stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, die Grenzen der Versicherbarkeit auszudehnen, so dass sich Unternehmen wirkungsvoller gegen die finanziellen Folgen einer Betriebsunterbrechung in Lieferketten absichern können. [26]
4 Lösungsansätze
4.1 Alternativer Risikotransfer
Starke Abhängigkeiten der versicherten Risiken untereinander sind für Versicherungsunternehmen in erster Linie ein Kapazitätsproblem, da einzelne Schadenereignisse ihre finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigen können. Andererseits können Versicherungsunternehmen durch Risikodiversifikation, insbesondere in Form von Rückversicherungsnahme, ihre Deckungskapazität erhöhen. Sehr große Kumulrisiken, insbesondere Naturkatastrophen, weisen aber ein Schadenpotential auf, das die Deckungskapazität des gesamten Versicherungssektors übersteigt. Daher ist es naheliegend, nach Wegen zu suchen, die Deckungskapazität des Versicherungssektors gegenüber extremen Risiken zu erhöhen, indem solche Risiken auch über andere Märkte als den Versicherungsmarkt platziert werden. Insbesondere erscheint ein direkter Transfer von Versicherungsrisiken an den im Vergleich zum Versicherungsmarkt bei weitem liquideren Kapitalmarkt erfolgversprechend zu sein. Dies wird auch als Alternativer Risikotransfer (ART) bezeichnet.
Das bedeutendste Produkt des Alternativen Risikotransfers sind so genannte Katastrophen-Anleihen (Cat Bonds). [27] Cat Bonds sind festverzinsliche Wertpapiere, deren Verzinsung aus einem marktüblichen Zins und einer Risikoprämie besteht. Tritt während einer festgelegen Risikoperiode ein vorab definiertes Ereignis ein, so entS. 599fallen die weiteren Zinszahlungen und die Investoren können je nach Vertragsausgestaltung ihr eingesetztes Kapital ganz oder teilweise verlieren. Das vertraglich definierte Ereignis (Trigger) kann je nach Vertrag das durch eine Naturkatastrophe ausgelöste Überschreiten bestimmter Schadenhöhen bei einem (Versicherungs-)Unternehmen oder in einem Versicherungsmarkt sein, oder aber das Auftreten einer Naturkatastrophe mit bestimmten Mindesteigenschaften [28] in einem definierten Gebiet. [29]
Eingesetzt werden Cat Bonds momentan in erster Linie durch Erst- und Rückversicherungsunternehmen zur Ergänzung oder als Alternative zur traditionellen Rückversicherung beziehungsweise Retrozession. [30] Aber auch für das Risikomanagement von Unternehmen anderer Branchen kann die Emission eines Cat Bonds ein geeignetes Instrument darstellen. [31]
Cat Bonds haben eine Reihe von Vorteilen: Investoren können ganz gezielt bestimmte Katastrophenrisiken in ihr Portfolio nehmen. Durch den Erwerb von Aktien eines Versicherungsunternehmens wäre dies in der Form nicht möglich, da sie dann an allen versicherten Risiken, am Kapitalanlageergebnis sowie an der Qualität des Managements partizipieren würden. Für die Emittenten haben Cat Bonds die angenehme Eigenschaft, dass im Gegensatz zur traditionellen Versicherung die Gefahr eines Ausfalls der Deckung aufgrund eventueller Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners weitgehend vermieden wird, da das von den Investoren investierte Kapital ex ante bereitgestellt wird und somit bei Auslösung des Trigger zur Verfügung steht. Des Weiteren ist bei einer entsprechenden Triggerwahl jegliche Manipulationsmöglichkeit praktisch ausgeschlossen, so dass Moral Hazard vermieden werden kann.
Auf der anderen Seite besitzen Cat Bonds den gravierenden Nachteil, dass sie nur sehr unvollkommene Absicherungsinstrumente sind. Bei einem Cat Bond wird die bedingte Zahlung zu Gunsten des emittierenden Unternehmens in der Regel nicht direkt an dessen Schadenhöhe gebunden, sondern durch eine andere Zufallsgröße ausgelöst, die mit dem individuellen Schaden lediglich korreliert ist. Die resultierende Gefahr des Auseinanderfallens von Schadenhöhe und Deckung wird üblicherweise als Basisrisiko bezeichnet. [32]
Für die Versicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten sind Cat Bonds nur mittelbar geeignet. Sie ermöglichen es Erstversicherungs- und insbesondere Rückversicherungsunternehmen, sich gegen Schäden aus Naturkatastrophen in besonders exponierten Gebieten abzusichern und damit selbst in größerem Umfang solche Risiken zu übernehmen. Da Naturkatastrophen eine wesentliche Ursache für Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten sind, erhöht sich damitS. 600die Deckungskapazität des Versicherungssektors für diese Risiken. Als direktes Absicherungsinstrument für betroffene Unternehmen sind Cat Bonds hingegen in der Regel ungeeignet. Erstens ist die Emission eines Cat Bonds so aufwendig, dass sie nur für sehr große Unternehmen in Betracht kommt, zweitens wird das Basisrisiko für die meisten Unternehmen inakzeptabel hoch sein und drittens lässt sich in aller Regel das Betriebsunterbrechungsrisiko in Lieferketten geographisch nicht so eingrenzen, wie es für die Emission eines Cat Bonds erforderlich wäre, da es an verschiedensten Orten zu einer Störung der Lieferketten kommen kann. Daher können Cat Bonds dazu beitragen, die Deckungskapazität des Versicherungssektors für Betriebsunterbrechungsrisiken ohne vorhergehenden Sachschaden zu erhöhen, als direkte Absicherungsmöglichkeit für betroffene Unternehmen sind sie hingegen weniger geeignet.
4.2 Bedingte Finanzierung
Im Gegensatz zum Alternativen Risikotransfer ist die bedingte Finanzierung ein Instrument für das Risikomanagement der Unternehmen, die einem Betriebsunterbrechungsrisiko in Lieferketten ausgesetzt sind. Der Grundgedanke dabei ist, dass es für die betroffenen Unternehmen aufgrund der eingeschränkten, teuren und mit aufwendigen Prüfungen verbundenen Versicherungsmöglichkeiten attraktiv sein kann, die finanziellen Folgen von Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten selbst zu tragen. Dabei besteht allerdings das Problem, dass sich die Finanzierungsmöglichkeiten und -konditionen dramatisch verschlechtern können, wenn ein Schaden eingetreten ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der Schaden so erheblich ist, dass er die Bonität des Unternehmens fühlbar verringert. Hier setzt die bedingte Finanzierung an: Das Unternehmen sichert sich damit die Möglichkeit, bei Eintritt eines vertraglich definierten Schadenfalls Finanzmittel in festgelegter Höhe zu festgelegten Konditionen zu erhalten. Bei der bedingten Finanzierung erfolgt also keine Absicherung gegen das Risiko, sondern lediglich eine Absicherung gegen verschlechterte Finanzierungsmöglichkeiten infolge eines Schadenfalls. Daher sind die Kosten für eine solche Absicherung bedeutend geringer als bei einer Versicherungslösung.
Zu unterscheiden ist zwischen bedingter Fremdkapitalfinanzierung und bedingter Eigenkapitalfinanzierung. Ein Instrument der Fremdkapitalfinanzierung wäre beispielsweise eine Vereinbarung, die dem Unternehmen gegen die Zahlung einer Gebühr die Möglichkeit zusichert, nach einem Schadenereignis eine Kreditlinie zu einem vorher fixierten Zinssatz in Anspruch nehmen zu können, der unter dem Zinssatz liegt, zu dem sich nach einem Schadenfall Fremdkapital aufnehmen ließe. Instrumente der bedingten Eigenkapitalfinanzierung sind z. B. Wandelanleihen oder Put Optionen auf das eigene Eigenkapital. Letztere geben einem Unternehmen die Möglichkeit, bei Eintritt eines vorab definierten Ereignisses dem Gegenüber eigene Aktien zu einem bestimmten Ausübungskurs zu verkaufen. Put Optionen auf das eigene Eigenkapital sind in jüngster Zeit im Bereich des Risikomanagements von Versicherungsunternehmen zum Hedging von Katastrophenrisiken eingesetzt worden, [33] sie können aber grundsätzlich auch von börsennotierten Unternehmen mit Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten verwendet werden. [34]S. 601
5 Fazit
Die vorangehende Analyse hat gezeigt, dass sich die Absicherung von Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten schwierig gestaltet. Versicherungstechnisch stellt sich insbesondere die vorhandene Kumulproblematik als herausfordernd dar. Von besonderer Bedeutung sind hierbei Betriebsunterbrechungen ohne vorherigen Sachschaden, wobei die wesentlichen Risiken in diesen Fällen die Störung der Transportwege aufgrund von Naturereignissen oder Insolvenzen infolge ungünstiger konjunktureller Entwicklungen sind. Diese Kumulproblematik betrifft nicht nur die Erstversicherer, sondern auch die Rückversicherer, weshalb die Rückversicherungskapazität für diese Risiken begrenzt ist. Daher werden Versicherungsverträge für derartige Risiken, sofern sie überhaupt am Markt angeboten werden, mit hohen Sicherheitszuschlägen kalkuliert und sind somit sehr teuer. Eine Möglichkeit zur Ausweitung der Deckung besteht darin, dass die Versicherungsunternehmen diese Risiken mit Hilfe von Instrumenten des Alternativen Risikotransfers an den Kapitalmarkt weitergeben. Doch selbst wenn aufgrund einer erweiterten Deckungskapazität die Prämien sinken, ist es notwendig, dass Unternehmen ein ausgewogenes und möglichst effizientes Risikomanagement betreiben. Neben dem Kauf von Versicherungsschutz können die Unternehmen auch Instrumente der bedingten Finanzierung zum Post Loss Financing einsetzen. Während finanzielle Einbußen auf diese Art abgesichert werden können, wird der eventuelle Verlust von Kunden hierdurch nicht kompensiert. Somit ist es unerlässlich, das Betriebsunterbrechungsrisiko bereits ex ante durch Diversifikation und Flexibilisierung der Lieferkette zu vermindern.
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Treibmann, F. (2005), Betriebsunterbrechung als Chance – Nutzung unternehmerischer Entwicklungsmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Versicherung, Universität St. Gallen.
Supply Chain Risk Management in the Light of Natural Catastrophes
This paper analyzes the difficulties of insuring supply chain related business interruptions and shows how firms can enhance their supply chain risk management. The actuarially most challenging problem is the accumulation risk, which is especially high when insuring contingent business interruptions without prior material damage, e. g. due to disruptions of transport routes after a natural catastrophe. This leads to a lack of insurance coverage. One way to expand insurance coverage is securitization, e. g. by transferring risk directly to the capital market. Firms can also use contingent capital solutions as a means of post loss financing. These measures should be accompanied by an ex ante supply chain diversification.
JEL-Kennziffern: M2, L1, G10, G22S. 603
Fundstelle(n):
BFuP 6/2013 Seite 589
DAAAE-50049
1Vgl. Treibmann (2005). Für eine Kategorisierung dieser Ursachen vergleiche Franz (1962).
2Vgl. Geimer (2005).
3Vgl. Chopra/Sodhi (2004).
4Vgl. Swiss Re (2011).
5Vgl. Dembosky (2012).
6Vgl. RMS (2011).
7Ein Beispiel für einen solchen Sachschaden ist ein Maschinenbrand in einer Fabrik.
8Vgl. AON (2006).
9Rückwirkungsschäden erweitern also das Prinzip der Wechselwirkungsschäden über die Grenzen des Betriebs des Versicherungsnachfragers hinaus.
10Die Überschwemmungen in Thailand in 2011 haben die Zulieferer zahlreicher Betriebe zerstört oder erheblich beschädigt und so zu Betriebsunterbrechungen geführt. Die Policen jedoch, bei denen Elementarrisiken ausgeschlossen sind, bleiben leistungsfrei. Auch wenn die eigene Betriebsstätte nicht hochwassergefährdet ist, wäre hier also der Einschluss von Elementarrisiken notwendig gewesen.
11Vgl. Strauss (2008).
12Vgl. Fromme/Krieger (2011). Die versicherungstechnischen Implikationen derartiger Absicherungen werden im nächsten Kapitel näher beleuchtet.
13Die so genannte Trade Disruption Insurance ist ein Ableger der Transportversicherung.
14Vgl. Strauss (2008).
15Im Falle eines Vertragsabschlusses wird die Gebühr allerdings für gewöhnlich auf die Prämie angerechnet.
16Wir verwenden den Kriterienkatalog von Karten (1972), der als erster die Überlegungen zur Versicherbarkeit von Risiken systematisierte. Spätere Arbeiten haben die Versicherbarkeitskriterien leicht modifiziert, ohne zu einer substantiell anderen Einschätzung zu gelangen (vgl. etwa Berliner (1982).
17Vgl. beispielsweise Manning et al. (1987) oder Dionne/St. Michel (1991).
18Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass ex post keine Regelungslücken auftreten können, die dann zu Auseinandersetzungen zwischen den Vertragsparteien führen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die juristische Auseinandersetzung über die Frage, ob es sich bei den Flugzeugeinschlägen in das World Trade Center um ein oder zwei Schadenereignisse handelt. Die Frage ist nicht ganz unerheblich, da die Versicherungsleistung bei einem Schadenereignis bei 1,8 Mrd. US-Dollar liegt, während sie bei zwei Schadenereignissen 3,6 Mrd. US-Dollar beträgt. Der Versicherungsvertrag war hier nicht eindeutig, weil keiner der Vertragsparteien ein solches Szenario für möglich gehalten hatte. Für die Versicherbarkeit von Risiken ist aber entscheidend, dass der Vertrag ex ante aus Sicht der Vertragspartner eindeutig ist.
19Auch hier kann es selbstverständlich zu Regelungslücken kommen. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Frage, ob Schäden aus Flugverboten infolge einer Aschewolke gedeckt sind oder ob sie vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, da es sich um einen hoheitlichen Eingriff handelt.
20Gravierende Probleme aus fehlenden Informationen der Versicherer über die Schadenverteilung von Risiken können allerdings bei asymmetrischer Informationsverteilung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer auftreten, da dies zu einem Marktversagen durch adverse Selektion führen kann.
21Hierbei ist zwischen einer Versicherbarkeit im versicherungstechnischen Sinn und einer Versicherbarkeit im gesellschaftlichen Sinn zu unterscheiden. So kann ein Extremrisiko, wie etwa das Haftungsrisiko für die Betreiber von Atomkraftwerken, versicherungstechnisch problemlos durch die Vereinbarung von Deckungshöchstgrenzen versichert werden. Dies wird in Deutschland auch gemacht. Diese Deckungshöchstgrenzen sind im Vergleich zu den möglichen Schäden eines atomaren Unfalls allerdings so niedrig, dass de facto ein solcher Schadenfall nur in sehr geringem Umfang versichert ist.
22Insbesondere gilt dann nicht mehr das Gesetz der großen Zahl, so dass selbst bei einer den Erwartungsschaden übersteigenden Versicherungsprämie die Wahrscheinlichkeit eines versicherungstechnischen Verlusts bei wachsender Kollektivgröße nicht mehr gegen null konvergiert.
23Daneben existieren noch sogenannte Ansteckungsrisiken, bei denen der Eintritt eines Schadenereignisses weitere Versicherungsfälle nach sich ziehen kann. Die bedeutendsten Ansteckungsrisiken sind Epidemien. Die Bedeutung von Epidemien ist in den letzten Jahrzehnten (mit Ausnahme von Aids) in den industrialisierten Ländern mit hoher Versicherungsdichte stark zurückgegangen, so dass Ansteckungsrisiken aus versicherungstechnischer Sicht (momentan) eher unbedeutend sind.
24Vgl. Dembosky (2012).
25Die Betriebsunterbrechungsschäden durch den Vulkanausbruch waren aufgrund der relativ geringen Bedeutung des Transportweges „Luftverkehr” relativ gering, aber es sind gravierendere Szenarien mit Störungen anderer Transportwege möglich.
26Auf die große Bedeutung eines effizienten Risikomanagements in Lieferketten haben wir bereits hingewiesen. Da aber Betriebsunterbrechungsschäden in Lieferketten auch bei einem effizienten Risikomanagement nicht ausgeschlossen werden können, hat die Absicherung gegen die finanziellen Folgen einer solchen Betriebsunterbrechung große Bedeutung.
27Mitte 2011 umfasste der Markt für Katastrophenanleihen ca. 11,5 Mrd. US-Dollar (Bonds im Obligo), vgl. AON (2011), S. 5.
28Solche Mindesteigenschaften können bei einem Erdbeben etwa ein bestimmter Wert auf der Richter-Skala oder bei einem Sturm die Angabe einer Mindestwindgeschwindigkeit sein.
29Vgl. Härdle/López Cabrera (2010).
30Als Retrozession bezeichnet man die Rückversicherung eines Rückversicherungsunternehmens.
31So sicherte sich 1999 die Betreibergesellschaft des Disneyland Tokio durch Ausgabe eines Cat Bonds gegen die Ertragseinbußen infolge eines Erdbebens ab.
32Ein Basisrisiko besteht selbst dann, wenn als Trigger die Schadenhöhe des emittierenden Unternehmens gewählt wird, da aufgrund der Auszahlungsstruktur von Cat Bonds auch dann Schadenhöhe und Deckung auseinanderfallen.
33Diese Produkte werden als CatEPuts bezeichnet, vgl. Albrecht/Schradin (1998).
34Für weiterführende Informationen hierzu vgl. AON (2008) und Cummins/Weiss (2009).