BGH Urteil v. - VI ZR 319/12

Instanzenzug:

Tatbestand

1 Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen des Ankaufs von Aktien der Beklagten.

2 Nach Eingang der Klage am hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts in Zusammenhang mit der Zustellung nach § 183 ZPO durch Verfügung vom angeordnet, dass den Beklagten eine Notfrist von zwei Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt wird und dass sie innerhalb von zwei Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen haben. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und die Klageschrift sind den Beklagten am in der Türkei nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden: HZÜ) zugestellt worden. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am ist am zur Post gegeben worden. Das Landgericht hat im Termin vom , in dem die Beklagten nicht vertreten waren, ein Versäumnisurteil erlassen und die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Eine vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils ist am nach dem Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit der Belehrung über die Möglichkeit eines Einspruchs innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung unter der Anschrift der Beklagten zur Post gegeben worden. Auf Antrag der Kläger ist das Versäumnisurteil den Beklagten am erneut, nunmehr auf diplomatischem Weg, mit einer Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden. Dagegen haben die Beklagten mit am bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

3 Mit Urteil vom hat das Landgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit den vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen begehren die Beklagten, das Berufungsurteil und das aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

I.

4 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Die Einspruchsfrist habe nicht erst mit der förmlichen Zustellung des Versäumnisurteils in der Türkei am , sondern bereits am aufgrund der Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO) am zu laufen begonnen und sei am abgelaufen. Weder bestünden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der maßgebenden Bestimmung des § 184 ZPO noch verletze das vom Landgericht gewählte Verfahren das Haager Übereinkommen. Aufgrund der den Beklagten mit der Klageschrift zugestellten Anordnung im Sinne des § 184 ZPO hätten die Beklagten im weiteren Verfahren mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post rechnen müssen. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, eine rechtzeitige Kenntnis von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherzustellen.

5 Sowohl die Klageschrift als auch die Anordnung des Vorsitzenden im Sinne des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom seien wirksam zugestellt worden. Die Anordnung müsse nicht zwingend durch den gesamten Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer erfolgen. Sie sei durch den Vorsitzenden jedenfalls wirksam vorgenommen worden. Das Zustellungsreformgesetz vom (BGBl. I S. 1206), durch das § 184 ZPO an die Stelle des § 174 Abs. 1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in § 20 Nr. 7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger aufgehoben. Zwar scheine der Wortlaut der Vorschrift zunächst für die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers zu sprechen. Doch falle die Anordnung der Zustellung richterlicher Entscheidungen grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorsitzenden. Auch wenn bei der Anordnung Ermessen auszuüben sei, sei diese nicht schon deshalb unwirksam, weil die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht daraus erkennbar seien. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom ergebe sich, dass jeweils eine Ausfertigung des Versäumnisurteils des zwecks Übersendung an die Beklagten am zur Post aufgegeben worden sei.

6 Die erneute Zustellung des Versäumnisurteils nebst Rechtsmittelbelehrung am habe die bereits verstrichene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können, weil von einer solchermaßen unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung betroffene Rechte der Verurteilten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ausreichend gewahrt würden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme allerdings hier nicht in Betracht, weil bei der Frage des Verschuldens an der Fristversäumnis zu berücksichtigen sei, dass die Beklagten infolge der Zustellung der Klageschrift und der Anordnung des Vorsitzenden gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO von zukünftig bevorstehenden Zustellungen Kenntnis gehabt hätten.

II.

7 Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

8 1. Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagten die Einspruchsfrist nicht gewahrt haben, musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 f.; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 341 Rn. 1).

9 2. Rechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat.

10 a) Zur Frage, auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob - wie im Streitfall - der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder der Spruchkörper die Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende Senat zwischenzeitlich in zahlreichen Urteilen betreffend die Beklagte zu 1 umfassend geäußert (vgl. Senat, Urteile - VI ZR 230/11, [...] und - VI ZR 287/11, [...]; vom - VI ZR 225/11, NJW-RR 2012, 1459; vom - VI ZR 241/11, NJW 2012, 2588 = WM 2012, 1499; vom - VI ZR 227/11, [...] und - VI ZR 239/11, [...], sowie vom - VI ZR 222/11, [...], - VI ZR 226/11, [...] und - VI ZR 288/11, [...]). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so , [...] Rn. 14 bis 23, und - VI ZR 288/11, [...] Rn. 18 bis 27; vom - VI ZR 223/11, [...] Rn. 9 bis 18) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.

11 b) Die Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils vom ist auch nicht deshalb zweifelhaft, weil die Klageschrift und die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, den Beklagten nicht förmlich zugestellt worden wären.

12 Die förmliche Zustellung der Klageschrift und der Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO am ist bewiesen durch die von einem Richter unterschriebene Urkunde vom (Art. 6 HZÜ), die mit dem Schreiben des Generaldirektorats für Internationales Recht und Außenbeziehungen des Justizministeriums der Türkischen Republik an das Landgericht nach Erledigung des Rechtshilfeersuchens übersandt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 241/12, NJW-RR 2013, 435 Rn. 12, und Beschluss vom - VI ZB 9/01, NJW 2002, 521, 522). Erfolglos macht die Revision dagegen geltend, die förmliche Zustellung an die Beklagte zu 2 sei nicht nachgewiesen. Zwar ist grundsätzlich der Beweis der Unrichtigkeit gegen die inhaltliche Richtigkeit einer Zustellungsurkunde zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Doch ist ein solcher Beweis aufgrund des Vorbringens der Revision nicht erbracht. Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass sich den Zustellungsnachweisen des Türkischen Justizministeriums die Übergabe der zuzustellenden Urkunden an Rechtsanwalt P. für beide Beklagte entnehmen lässt. Tatsächliche Umstände, die Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung durch Aushändigung der Schriftstücke an Rechtsanwalt P. begründen könnten, werden von der Revision nicht aufgezeigt. Sie ergeben sich jedenfalls nicht schon daraus, dass den Zustellungsunterlagen eine Vollmacht für Rechtsanwalt P. nicht beigefügt worden ist.

13 3. Die nachträgliche förmliche Zustellung des Versäumnisurteils am mit Rechtsmittelbelehrung vermag die bereits mit Ablauf des eingetretene Rechtskraft nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine bereits abgelaufene Frist trotz der beigefügten unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom - NotZ 35/06, [...] Rn. 7; Versäumnisurteil vom - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 1631, 1632; , [...] Rn. 40, und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ein ausreichender Schutz der Rechte der Beklagten wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem mit Ablauf des in Rechtskraft erwachsenen Urteil keine Übersetzung der Entscheidung beigefügt war. Die Beklagten waren über den Inhalt des Rechtsstreits hinreichend durch die förmliche Zustellung der Klageschrift mit der Übersetzung in die türkische Sprache informiert. Trotz Kenntnis der gegen sie rechtshängigen Klage und der ebenfalls ins Türkische übersetzten Hinweise des Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten sind die Beklagten nach dem Zugang des Versäumnisurteils untätig geblieben. Soweit die Revisionen ohne Darlegung konkreter Umstände erstmals behaupten, dass das Versäumnisurteil den Beklagten trotz Aufgabe zur Post im Inland unter ihrer Anschrift nicht zugegangen sei, können sie damit nicht mehr gehört werden (§§ 233, 234 Abs. 1 ZPO).

Fundstelle(n):
KAAAE-49968