BGH Beschluss v. - 4 StR 272/13

Strafverfahren: Pflicht zur Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen außerhalb der Hauptverhandlung

Gesetze: § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 273 Abs 1a S 2 StPO

Instanzenzug: Az: 36 KLs 81/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 30 Fällen unter Einbeziehung einer noch nicht erledigten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es ihn wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 38 Fällen zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

21. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

3Der Verteidiger des Angeklagten bat nach Verlesung der Anklageschrift und der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht um ein Rechtsgespräch. Weiter heißt es im Protokoll über den Verlauf der Hauptverhandlung vom :

„Die Hauptverhandlung wurde um 09.25 Uhr unterbrochen und um 10.37 Uhr fortgesetzt.

Die Kammer stellte dem Angeklagten nach Beratung in Aussicht, dass sie gegen ihn im Falle einer vollumfänglich geständigen Einlassung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil vom zwei Gesamtstrafen verhängen werde, die in ihrer Summe in einem Rahmen von 6 Jahren 6 Monaten bis 7 Jahren 6 Monaten insgesamt liegen werden.“

4Nach Belehrung des Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO stimmten dieser und der Vertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorschlag der Strafkammer zu. Der Verteidiger gab eine Einlassung im Namen des Angeklagten ab, welche dieser sich „voll umfänglich zu eigen“ machte.

5Der Beschwerdeführer rügt einen „Verstoß gegen § 257c i.V.m. § 244 Abs. 2 und § 243 Abs. 4 StPO“ und macht hierzu u.a. geltend, der wesentliche Inhalt des „immerhin mehr als einstündigen Rechtsgesprächs“ hätte im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung im Einzelnen dargelegt und protokolliert werden müssen.

62. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.

7a) Es handelt sich nicht um eine unzulässige Protokollrüge (vgl. etwa , StV 2012, 73); denn der Beschwerdeführer leitet einen Verfahrensfehler aus dem Umstand her, dass die Sitzungsniederschrift den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Eine solche Rüge ist zulässig (vgl. , NJW 2013, 3046).

8b) Der vom Beschwerdeführer in der Sache gerügte Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt vor.

9aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu , NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013, § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. , StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1065; , StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.

10bb) Hier weist die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom den wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs in dem vorstehend dargestellten Sinn nicht aus. Das Fehlen der Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067); er wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen.

11c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt – ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung – regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067).

12Wie der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Grundsatzentscheidung vom (2 StR 195/12, NJW 2013, 3046, 3048) näher ausgeführt hat, will das Gesetz die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten, herbeiführen: Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO und durch deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a StPO werde nicht nur das Ergebnis der Absprache, sondern auch der dahin führende Entscheidungsprozess festgeschrieben und der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Die Mitteilung und deren Dokumentation sowie die Nachprüfbarkeit in einem einheitlichen System der Kontrolle seien jeweils Grundlage einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Angeklagten darüber, ob er dem Vorschlag des Gerichts gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustimme. Schon durch das Fehlen der Dokumentation könne das Prozessverhalten des Angeklagten beeinflusst werden.

13Umstände, wonach es im vorliegenden Fall ausnahmsweise anders liegen könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

143. Der Senat neigt dazu, dass das Gericht in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden, in dem die Zäsurwirkung einer rechtskräftigen, noch nicht erledigten Vorverurteilung die Bildung mehrerer Gesamtstrafen erfordert, zunächst diesen Umstand bekannt geben muss (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO). Will es nach seinem Ermessen Angaben zu der zu erwartenden Strafe machen (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO), muss es für jede Gesamtstrafe gesondert die jeweilige Ober- und Untergrenze bezeichnen. Nur dies – und nicht die Angabe eines einheitlichen Rahmens für ein im Gesetz nicht vorgesehenes „Gesamtstrafübel“ – entspricht dem Wortlaut des § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO.

Sost-Scheible                       Cierniak                           Franke

                        Bender                           Quentin

Fundstelle(n):
RAAAE-48865