Fluggastrechte: Ausgleichsleistungsanspruch bei Versäumung eines Anschlussfluges infolge eines weniger als drei Stunden verspäteten Zubringerflugs; Verspätung von mehr als drei Stunden bei Erreichen des Endziels
Gesetze: Art 3 Abs 1 EGV 216/2004, Art 7 Abs 1 Buchst c EGV 261/2004
Instanzenzug: Az: C-436/11 und C-437/11vorgehend Az: X ZR 150/10 EuGH-Vorlagevorgehend LG Frankfurt Az: 2-24 S 88/10vorgehend AG Frankfurt Az: 30 C 142/10 - 71
Tatbestand
1Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für sich und seine Ehefrau Hin- und Rückflüge für die Strecke Frankfurt am Main - Lissabon - Recife. Der Flug von Frankfurt am Main nach Lissabon sollte am um 13.30 Uhr starten, der Abflug verzögerte sich jedoch um 1 Stunde und 40 Minuten. Bei der Landung in Lissabon war der vorgesehene Anschlussflug bereits gestartet. Die Beklagte beförderte den Kläger und seine Ehefrau am folgenden Tag. Sie erreichten Recife infolgedessen mit einer Verspätung von 25 Stunden.
2Der Kläger verlangt für sich und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau eine Ausgleichszahlung von je 600 € nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.
3Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
4I. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen Verspätung verneint. Bei der Flugreise von Frankfurt am Main nach Recife via Lissabon handele es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um einen einheitlichen Flug; die Reise habe vielmehr aus zwei getrennt zu betrachtenden Flügen bestanden. Selbst wenn man die beiden Flüge als Einheit betrachten wolle, löse allein eine um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft den Ausgleichsanspruch nicht aus. Verspätete Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung seien nur solche, bei denen sich der Abflug - wie hier nicht - um eine in Art. 6 FluggastrechteVO genannte Zeitdauer verzögere.
5II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Da der Rechtsstreit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden und die Klage zuzusprechen.
61. Die Fluggastrechteverordnung ist, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, anwendbar, da die Reisenden auf einem Flughafen in Deutschland einen Flug, nämlich den ersten gebuchten Flug von Frankfurt am Main nach Lissabon, angetreten haben (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO).
72. Der verspätete Abflug dieses Flugs hat dazu geführt, dass die Reisenden ihr Endziel Recife erst einen Tag nach der geplanten Ankunft erreicht haben. Dies begründet den mit der Klage geltend gemachten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO.
8Den Fluggästen eines verspäteten Flugs steht ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung zu, soweit sie infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen. Die Ausgleichsleistung ist, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, davon unabhängig, ob die verspätete Erreichung des Endziels darauf beruht, dass sich der Abflug des verspäteten Flugs um die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c FluggastrechteVO genannten Zeiten verzögert hat, und von dem Luftverkehrsunternehmen auch dann zu erbringen, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst worden ist (, NJW-RR 2013, 1065 im Anschluss an , NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor; Urteil vom - C581/10 - Nelson/Lufthansa; Urteil vom - C11/11 - Air France/Folkerts). Bedenken gegen diese Auslegung der Fluggastrechteverordnung ergeben sich weder aus dem Primärrecht der Europäischen Union noch aus dem Grundgesetz (BGH aaO Rn. 14 ff.).
9III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 286 Abs. 1, 288 BGB, § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
TAAAE-47473