BAG Urteil v. - 5 AZR 231/12

Überstundenvergütung - Wechselschichtzulage - verlängerte Arbeitszeit nach § 12 Abs 6 Buchst b DRK-RTV - Auslegung

Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 1 TVG, § 7 Abs 1 Nr 1 Buchst a ArbZG

Instanzenzug: ArbG Reutlingen Az: 3 Ca 150/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 4 Sa 55/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über weitere Vergütung.

2Der Kläger war beim beklagten Verein zuletzt als Rettungsassistent in der Rettungswache B beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der DRK-Reformtarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes in der Fassung des 29. Änderungstarifvertrags vom (im Folgenden: DRK-RTV) Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:

3Auf der Grundlage der vom Kläger im Zeitraum März 2007 bis Februar 2009 geleisteten Arbeitsschichten wurden die „reinen“ Einsatzzeiten dokumentiert. In dieser Zeit arbeitete der Kläger in einem 19 Wochen umfassenden Schichtturnus. Zudem wurden die vom Kläger in den Transportberichten angegebenen weiteren einsatzbezogenen Zeiten als Arbeitszeit berücksichtigt. Darüber hinaus wurden Zeitgutschriften für die Dienstübernahme und Umkleidezeiten, den täglichen Fahrzeug-Check sowie den Montag-Check vorgenommen. Weitere, nicht täglich anfallende Tätigkeiten bewertete der Beklagte aufgrund einer Messung, die vom Rettungsdienstleiter F im Beisein des Betriebsratsmitglieds Fä am 8./ durchgeführt wurden. Splitterzeiten von weniger als zehn Minuten wurden als Arbeitszeit berücksichtigt. Hiervon ausgehend errechnete der Beklagte eine durchschnittliche Arbeitsbereitschaft des Klägers je Schicht von 6 Stunden 16 Minuten 9 Sekunden.

4Mit der Klage hat der Kläger zuletzt die Zahlung einer Wechselschichtzulage für den Zeitraum vom bis zum sowie von Überstundenvergütung für den Zeitraum vom bis zum begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit zu verlängern. Die tägliche Arbeitsbereitschaft von mehr als drei Stunden sei auf die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden und nicht auf die bereits verlängerte Wochenarbeitszeit zu beziehen. Sowohl die vom Beklagten ermittelten Einsatzzeiten als auch die am 8./ gemessenen Zeiten seien unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und unter Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ermittelt worden.

5Der Kläger hat zuletzt beantragt,

6Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Auswertung der Arbeitszeiten erfasse die anzunehmende Arbeitsbereitschaft im betreffenden Zeitraum zutreffend.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

8A. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger Ansprüche auf eine Wechselschichtzulage für die Monate August bis Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 511,30 Euro brutto verfolgt. Insofern fehlt es an einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung, § 72 Abs. 5 ArbGG, § 551 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Hinsichtlich dieser Ansprüche hat das Landesarbeitsgericht die Klage wegen Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist für unbegründet erachtet. Mit dieser tragenden Begründung setzt sich die Revision nicht auseinander.

9B. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers wirksam gemäß § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV auf wöchentlich 48 Stunden verlängert, denn in diese verlängerte Arbeitszeit fiel regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich. Damit hat der Kläger keine über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehenden Überstunden geleistet. Gemäß § 14 Abs. 9 Buchst. b) DRK-RTV besteht kein Anspruch auf eine Wechselschichtzulage.

10I. Nach § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV hat der Beklagte die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers wirksam verlängert. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift wurden erfüllt, denn in die nach § 12 Abs. 6 DRK-RTV verlängerte regelmäßige Arbeitszeit fielen Zeiten der Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich. Es kam nicht darauf an, ob bereits in die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden Zeiten der Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fielen. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags. Die Worte „in sie“ in § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV beziehen sich auf die bis zu zwölf Stunden täglich bzw. 48 Stunden wöchentlich verlängerte Arbeitszeit und nicht auf die in § 12 Abs. 1 DRK-RTV definierte regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden (vgl. zu § 15 BAT:  - zu II 2 d der Gründe und zu § 14 TV-DRK West:  - zu I 2 a der Gründe; anders noch  - zu II 5 b der Gründe, BAGE 58, 19).

111. Bereits der Wortlaut der Norm spricht für diese Auslegung. Das Personalpronomen „sie“ steht als Ersatz für den im ersten Halbsatz verwendeten Begriff der „auf 48 Stunden verlängerten Arbeitszeit“, denn innerhalb des Satzes steht der Rechtsbegriff „verlängerte regelmäßige Arbeitszeit“ dem Personalpronomen räumlich näher als der Begriff „regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden“. An anderer Stelle verwendet der Tarifvertrag bei ähnlicher Bezugnahme oder Verweisung eine klarstellende Formulierung (zB einen in Klammern gesetzten Verweis). Beispiele finden sich in § 13 Abs. 7 und Abs. 8 DRK-RTV.

122. Aus der Systematik des DRK-RTV folgt, dass für den betroffenen Personenkreis die verlängerte Arbeitszeit zu der regelmäßigen Arbeitszeit wird. Dies zeigt die Regelung in § 14 Abs. 9 DRK-RTV, die für Mitarbeiter gilt, „in deren“ regelmäßige Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt. Abgestellt wird nicht abstrakt auf die regelmäßige Arbeitszeit iSd. § 12 Abs. 1 DRK-RTV, sondern auf die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers.

13Im gleichen Sinne ist § 13 Abs. 7 DRK-RTV zu werten, der die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten mittels des Klammerzusatzes „§ 12 Abs. 1 und 6“ definiert. Auch hieraus ergibt sich, dass der Tarifvertrag die gemäß § 12 Abs. 6 DRK-RTV verlängerte Arbeitszeit als regelmäßige Arbeitszeit ansieht.

143. Die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags kommt bestätigend hinzu. Der DRK-RTV trat zum in Kraft, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Bundesarbeitsgericht zur gleichlautenden Vorschrift des § 15 Abs. 2 BAT schon entschieden hatte, dass sich die Worte „in sie“ auf die verlängerte regelmäßige Arbeitszeit beziehen. Hätten die Tarifvertragsparteien daher den Willen gehabt, dies im DRK-RTV anders zu regeln, wäre im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Klarstellung angezeigt gewesen.

15Soweit die Revision darauf verweist, das Inkrafttreten des ArbZG erfordere eine im Vergleich zum Zeitpunkt der Entscheidung des - 6 AZR 101/90 -) abweichende Betrachtungsweise, geht dieser Einwand fehl, weil § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG inhaltlich seiner Vorgängerregelung in § 7 Abs. 2 ArbZO entspricht.

164. Der Wille der Tarifvertragsparteien steht dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Unterstellt man zugunsten der Revision, dass die Tarifvertragsparteien mit der tarifvertraglichen Regelung von der Öffnungsklausel des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG Gebrauch machen wollten, wird im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ArbZG gerade die Auffassung vertreten, dass für die Berechnung des Anteils der Arbeitsbereitschaft auf den Anteil derselben an der verlängerten Arbeitszeit abzustellen sei (Baeck/Deutsch ArbZG 2. Aufl. § 7 Rn. 51; Schliemann ArbZG 2009 § 7 Rn. 41).

17II. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 6 Buchst. b) DRK-RTV wurden im Arbeitsverhältnis des Klägers erfüllt. Dies hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. In Anwendung der vom BAG entwickelten Grundsätze (vgl.  - zu I 2 a der Gründe) hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts festgestellt, dass für den Kläger im Zeitraum März 2007 bis Februar 2009 Zeiten der Arbeitsbereitschaft von mehr als drei Stunden täglich angefallen sind. Gegen diese Würdigung hat die Revision keine Verfahrensrügen erhoben. Verstöße gegen datenschutzrechtliche oder betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen bei der Erhebung oder Verarbeitung der Daten hat der Kläger nicht aufgezeigt.

18C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
SAAAE-47443