BGH Beschluss v. - III ZB 7/13

Anwaltliches Organisationverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Voraussetzungen und Kontrolle der Übertragung einer Telefaxübersendung fristwahrender Schriftsätze auf einen Auszubildenden

Leitsatz

1. Die Faxübermittlung fristwahrender Schriftsätze darf einem Auszubildenden nur dann übertragen werden, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom , VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom , I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11).

2. Bei Fehlen einer konkreten Einzelanweisung müssen allgemeine organisatorische Regelungen in der Anwaltskanzlei bestehen, die die Beachtung dieser Voraussetzungen und eine wirksame Kontrolle der Faxübermittlung durch den Auszubildenden gewährleisten.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 23 U 214/12vorgehend Az: 23 O 397/10

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Centermanagement-Vertrag auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch und hat vor dem Landgericht am ein überwiegend klagestattgebendes Urteil erwirkt. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Nach Einlegung der Berufung am hat die Beklagte mit Schriftsatz vom , (als Original) eingegangen beim Berufungsgericht am , um (erstmalige) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum nachgesucht. Mit Schriftsatz vom , eingegangen per Telefax am selben Tage, hat sie hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesem Antrag beigefügt war die nicht unterschriebene Kopie eines Schriftsatzes vom , mit dem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten um eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum gebeten hatten. Mit Eingang vom hat sie ihre Berufung begründet.

2Die Beklagte hat zu ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen: Das Fristverlängerungsgesuch sei am um 16.28 Uhr durch die in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte F.    M.   erstellt und sodann dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt Fr.  P.       vorgelegt, von diesem gegen 16.50 Uhr unterzeichnet und wieder an Frau M.  zur Übersendung an das Berufungsgericht per Telefax übergeben worden. Frau M.   habe die Akte mit dem unterschriebenen Fristverlängerungsantrag der Auszubildenden T.   R.   übergeben und diese angewiesen, die Faxübersendung vorzunehmen. Nachdem Frau R. -  aus dem separaten Faxraum zurückgekehrt sei, habe sich Frau M.   bei ihr erkundigt, ob die Faxe durchgegangen seien, was Frau R.   bejaht habe. Von einer weiteren Überprüfung habe Frau M.   abgesehen. Frau R.   habe den Schriftsatz sodann in den Postausgangskorb für die Gerichtspost gelegt. Ohne weitere Kontrolle habe Frau M.   die Änderung beziehungsweise Erledigung der Fristen im elektronischen Fristenkalender und im Handkalender veranlasst. Rechtsanwalt P.     habe gegen 19.00 Uhr die Fristenkalender kontrolliert und festgestellt, dass alle notierten Fristen als erledigt gekennzeichnet gewesen seien. Erst am folgenden Tage habe sich gezeigt, dass ein Faxprotokoll nicht vorhanden und der Fristverlängerungsantrag nicht gefaxt worden sei. Frau M.    sei seit acht Jahren in der Kanzlei angestellt. Ihre Tätigkeit habe bis dahin nie zu Fristversäumnissen geführt. Die regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit habe keine Beanstandungen ergeben. Die Rechtsanwaltsangestellten seien angewiesen, die ausgehenden Faxe anhand des Faxprotokolls zu überprüfen, die erfolgte Prüfung auf dem Protokoll zu vermerken und erst dann die Frist im Kalender als erledigt zu kennzeichnen. Von den Auszubildenden hätten sie sich die Faxprotokolle vorlegen zu lassen und diese zu kontrollieren, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werde. Hierbei habe es in der Vergangenheit, auch bei regelmäßigen Überprüfungen der ausgegangenen Faxschreiben, keinerlei Grund zur Beanstandung durch die Rechtsanwälte gegeben. Grundsätzlich strichen nur die ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten die im Kalender notierten Fristen. Diese überprüften auch die korrekte Übermittlung von Telefaxsendungen, die die Auszubildenden oder sie selbst versandt hätten. Dieses Vorgehen sei seit Jahren eingeübt und werde durch die Rechtsanwälte regelmäßig kontrolliert, ohne dass sich in der Vergangenheit Beanstandungen ergeben hätten.

3Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt worden sei. Die Versäumung der Rechtsmittelfrist beruhe auf einem der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten. Die Organisation der Versendung fristwahrender Schriftsätze in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten sei generell unzureichend gewesen. Diese Tätigkeit dürfe Auszubildenden nur dann überlassen werden, wenn diese mit einer solchen Tätigkeit vertraut seien und regelmäßige Kontrollen keine Beanstandungen ergeben hätten. Diesen Erfordernissen sei nicht genügt worden, wie sich daran zeige, dass die Auszubildende R,   eine Kopie des Fristverlängerungsgesuchs und nicht dessen Original übermittelt habe.

4Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

5Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

61. Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht schuldlos versäumt worden.

7a) Wie aus dem Vorbringen der Beklagten ersichtlich wird und das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist der Einsatz von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei der Rechtsanwälte der Beklagten ausdrücklich vorgesehen. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax einem Auszubildenden nur dann überlassen werden darf, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom - I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11). Allgemein muss der Rechtsanwalt eine wirksame Ausgangskontrolle sicherstellen, indem er seine Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (s. etwa , NJW 2004, 367, 368).

8b) Nach diesen Maßgaben hat die Beklagte ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nicht auszuräumen vermocht.

9aa) Abzustellen ist insoweit zunächst allein auf diejenigen Angaben, die die Beklagte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat. Denn die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen müssen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich bereits im Wiedereinsetzungsantrag enthalten sein; jedenfalls sind sie innerhalb der für die Wiedereinsetzung geltenden Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen. Zulässig ist nur die Ergänzung von fristgerecht gemachten, aber erkennbar unklaren oder unvollständigen Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war (s. zu alldem etwa Senatsbeschlüsse vom - III ZB 63/09, BeckRS 2010, 16574 Rn. 14 mwN und vom - III ZB 47/12, BeckRS 2013, 02649 Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom aaO S. 369 und vom - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458, 460 Rn. 17).

10bb) In dem Wiedereinsetzungsantrag finden sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Angaben zum Ausbildungsstand, zur Zuverlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden R.   . Ebenso fehlen Angaben dazu, welche allgemeinen Anweisungen zum Einsatz von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der betreffenden Anwaltskanzlei bestanden haben. Damit war organisatorisch insbesondere nicht ausgeschlossen, dass unerfahrene oder unzuverlässige Auszubildende mit der Aufgabe der Faxübermittlung betraut werden. Dass die Auszubildenden die Faxprotokolle den ausgebildeten Fachangestellten zur Kontrolle vorlegen müssen, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werden darf, macht Regelungen über die Voraussetzungen für den Einsatz von Auszubildenden mit Rücksicht auf deren Zuverlässigkeit und Erfahrungsstand nicht entbehrlich. So kann es etwa bei der Erledigung mehrerer Faxaufträge durch unerfahrene Auszubildende leicht dazu kommen, dass Faxprotokolle verwechselt, falsch zugeordnet oder missdeutet werden oder ihr Fehlen übersehen wird oder dass es eigenmächtig zur Eintragung der Fristerledigung im Kalender kommt. Dies macht jedenfalls in der ersten Zeit ihrer Ausbildung eine weitergehende Überwachung dieser Auszubildenden erforderlich, wenn man sie zur Faxübermittlung einsetzt. Ihnen fehlt in diesem Stadium typischerweise die nötige Erfahrung im Umgang mit dem anwaltlichen Schriftverkehr und ein Bewusstsein für die Bedeutung und den Nachweis der Wahrung von Fristen.

11Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt keine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte. Der Vortrag der Beklagten hat sich hierzu darin erschöpft, dass Rechtsanwalt P.     das Fristverlängerungsgesuch nach Unterzeichnung "an Frau M.    zur Übersendung an das Kammergericht per Fax" übergeben habe. Eine Einzelweisung, die - wie hier - lediglich darin besteht, den fristgebundenen Schriftsatz per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übersenden, regelt nur die Art und Weise sowie den Adressaten der Übermittlung. Sie macht eine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Faxübermittlung und zur Einschaltung von Auszubildenden weder entbehrlich noch setzt sie eine hierzu bestehende - unvollständige oder sonst mangelhafte - organisatorische Regelung außer Kraft (vgl. BGH, Beschlüsse vom aaO; vom - VI ZB 48/05, BeckRS 2006, 08980 Rn. 5 und vom aaO S. 459 Rn. 9 f; s. auch , NJW 2012, 3309, 3310 Rn. 8). Sie schließt - wie auch im vorliegenden Fall - insbesondere nicht aus, dass die Faxübermittlung ohne hinreichende Kontrolle einem unerfahrenen Auszubildenden übertragen wird.

12cc) Auf die von der Rechtsbeschwerde beanstandeten Ausführungen des Berufungsgerichts, die organisatorischen Unzulänglichkeiten in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zeigten sich daran, dass die Auszubildende R.   eine (nicht unterzeichnete) Kopie des Fristverlängerungsgesuchs und nicht dessen Original übermittelt habe und mit der Aufgabe der Faxübermittlung somit sichtlich überfordert gewesen sei, kommt es hiernach nicht entscheidungserheblich an. Zutreffend weist die Beklagte freilich darauf hin, dass sich für ein solches Geschehen - nämlich die Übersendung einer (nicht unterzeichneten) "Kopie" als "Original" - bei genauerer Betrachtung des Akteninhalts kein tragfähiger Hinweis findet. Hiervon bleibt jedoch unberührt, dass es an Angaben zu den erforderlichen allgemeinen Regelungen über den Einsatz von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze und zum Ausbildungsstand, zur Zuverlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden R.   gefehlt hat.

13dd) Soweit die Beklagte in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung - ohne die gebotene Glaubhaftmachung (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, § 294 ZPO) - mitteilt, dass es in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten organisatorisch vorgesehen sei, dass ohne Vorliegen einer Direktanweisung Auszubildende (erst) ab dem zweiten Ausbildungsjahr fristwahrende Schriftsätze unter Aufsicht der Fachangestellten versenden, dass die Fachangestellte M.    nach dem Inhalt der ihr erteilten Direktanweisung persönlich zur Erledigung des Faxversands gehalten gewesen sei und dass sich die Auszubildende R.   bereits am Ende ihres zweiten Ausbildungsjahres befunden habe, kann sie - abgesehen davon, dass konkrete Angaben zur persönlichen Zuverlässigkeit von Frau R.   auch weiterhin fehlen - mit diesem neuen Vortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gehört werden. Das Berufungsgericht hat insoweit auch keine Hinweispflichten versäumt, weil ein erfahrener Rechtsanwalt selbst wissen muss, welche Anforderungen für die Darlegung einer konkreten Einzelanweisung und die Einschaltung von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze zu beachten und welche Tatsachen hierzu im Wiedereinsetzungsgesuch vorzutragen sowie glaubhaft zu machen sind (vgl. aaO).

142. Nach alldem hat das Berufungsgericht der Beklagten zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

Herrmann                            Seiters                            Tombrink

                      Remmert                           Reiter

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 2561 Nr. 43
DB 2013 S. 6 Nr. 42
DB 2014 S. 1374 Nr. 24
StBW 2013 S. 1125 Nr. 24
PAAAE-46501