Schuldfähigkeit: Devianz im Sexualverhalten in Form einer Pädophilie
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 176 StGB, § 176a StGB
Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/3 KLs 13/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Nötigung und versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Sein Rechtsmittel ist, was den Schuldspruch anbelangt, aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; hinsichtlich des Strafausspruchs führt es zur Aufhebung und Zurückverweisung.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei dem Angeklagten um einen Alkoholiker, der darüber hinaus abhängig ist von Opioiden, Sedativa und Hypnotika und der zudem gelegentlich Cannabis konsumiert. Diese Faktoren hatten jedoch - wie von der sachverständig beratenen Strafkammer zutreffend dargelegt - aus unterschiedlichen Gründen keinen Einfluss auf seine Schuldfähigkeit bei den von ihm verübten Missbrauchstaten.
3Weiterhin liegt seine intellektuelle Leistungsfähigkeit im Bereich der Grenzbegabung (IQ-Wert-Bereich von 70-84), weshalb er seit 2007 in einer betreuten Sozialwohnung für psychisch Kranke lebt und unter gesetzlicher Betreuung steht. Schließlich hat der Sachverständige bei dem Angeklagten eine homosexuelle Pädophilie vom nicht ausschließlichen Typus diagnostiziert; eine genuine Pädophilie hat er hingegen ausgeschlossen, weil der Angeklagte erst im fortgeschrittenen Lebensalter mit pädophilen Handlungen in Erscheinung getreten sei und bis dahin auch befriedigende sexuelle Kontakte zu gleichaltrigen Frauen gehabt habe.
4Das Landgericht hat angesichts dieser Diagnose eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung ausgeschlossen. Seine Ausführungen hierzu begegnen rechtlichen Bedenken.
5So stellt die Strafkammer maßgeblich darauf ab, dass es nach Darlegung des Sachverständigen keine über die Pädophilie als solche hinausgehende Persönlichkeitsstörung pathologischen Ausmaßes gebe. Ein solcher Ansatz ist jedoch rechtlich nicht tragfähig, da es unerheblich ist, ob die Persönlichkeitsveränderung "Krankheitswert" erreicht; das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit erfasst gerade solche Veränderungen in der Persönlichkeit, die nicht pathologisch bedingt sind, also gerade keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (BGH StGB § 21 Seelische Abartigkeit 33).
6Eine Devianz im Sexualverhalten in Form einer Pädophilie ist zwar nicht ohne weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichzusetzen. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Ob eine Persönlichkeitsstörung im sexuellen Bereich das Wesen des Täters so nachhaltig verändert hat, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, kann nur im Wege einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Täters unter Einbeziehung seiner Entwicklung, seines Charakterbildes sowie der ihm zur Last gelegten Taten einschließlich der ihnen zugrundeliegenden Motive festgestellt werden (BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 37). Eine solche Gesamtbetrachtung wird der neu entscheidende Tatrichter vorzunehmen und sich insbesondere damit auseinanderzusetzen haben, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich die gravierende Intelligenzminderung des Angeklagten auf seine Fähigkeit ausgewirkt hat, seine pädophilen Neigungen zu beherrschen.
Appl Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng
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Fundstelle(n):
GAAAE-45827