Abzinsung von Darlehen
Leitsatz
1. Vereinbaren die Vertragsparteien eines auf unbestimmte Zeit gewährten, ursprünglich verzinslichen Darlehens zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Überlassung der Darlehenssumme nunmehr unentgeltlich erfolgen solle, handelt es sich bei der Rückzahlungsverpflichtung des Darlehensschuldners ab diesem Zeitpunkt nicht mehr um eine i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 2002 "verzinsliche" Verbindlichkeit. Offen bleibt, ob etwas anderes gilt, wenn bei einem auf bestimmte Zeit gewährten Darlehen Zinsen von vornherein nur für einen Teil der Laufzeit gezahlt werden sollen.
2. Darlehen, die auf unbestimmte Zeit gewährt werden und daher nach den Vorschriften des BGB mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können, können dann nicht i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 2002 als Darlehen mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten angesehen werden, wenn sich nach den Umständen des Falls bei wirtschaftlicher Betrachtung trotz der formalen Kündigungsmöglichkeit nach den Erkenntnissen zum Bilanzstichtag voraussichtlich eine längere Laufzeit ergibt.
3. Die Restlaufzeit einer unverzinslichen Verbindlichkeit kann analog § 13 Abs. 2 BewG geschätzt werden, wenn für eine objektive Schätzung der Restlaufzeit keine Anhaltspunkte vorliegen.
Gesetze: EStG § 6 Abs.1 Nr. 3 Satz 2, BewG § 13 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine KG, ist Rechtsnachfolgerin der E-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer E war. E gewährte der E-GmbH durchgängig seit 1996 Darlehen, die auf einem Verrechnungskonto des E bei der E-GmbH ausgewiesen wurden. Mit Vereinbarung vom verzichtete E auf die Verzinsung seiner Darlehensforderungen.
2 Die E-GmbH wies die Darlehensverbindlichkeiten gegenüber E in ihren Bilanzen zum 31. Dezember der Streitjahre (2005 bis 2007) mit den jeweiligen Nominalbeträgen aus. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) nahm demgegenüber unter Berufung auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) eine Abzinsung der Verbindlichkeiten vor und erließ entsprechende ertragsteuerliche Änderungsbescheide. Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg; das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hat sie mit Urteil vom 6 K 114/12 als unbegründet abgewiesen.
3 Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil.
4 Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
5 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen —soweit sie hinreichend dargetan worden sind— nicht vor.
6 1. Unter den Gesichtspunkten der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stellt die Klägerin zur Prüfung, inwiefern Verbindlichkeiten, die verzinslich begründet und erst nach einigen Jahren durch Änderungsvereinbarung unverzinslich gestellt worden sind, als unverzinsliche Verbindlichkeiten der Abzinsung nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 unterliegen.
7 Die Frage rechtfertigt jedoch keine Revisionszulassung, weil sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat und folglich nicht klärungsbedürftig ist (vgl. Senatsbeschluss vom I B 201/07, juris; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.). Vereinbaren die Vertragsparteien eines auf unbestimmte Zeit gewährten, ursprünglich verzinslichen Darlehens zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Überlassung der Darlehenssumme nunmehr unentgeltlich erfolgen solle, handelt es sich bei der Rückzahlungsverpflichtung des Darlehensschuldners ab diesem Zeitpunkt nicht mehr um eine i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 2002 „verzinsliche” Verbindlichkeit. Ob etwas anderes gilt, wenn bei einem auf bestimmte Zeit gewährten Darlehen Zinsen von vornherein nur für einen Teil der Laufzeit gezahlt werden sollen (vgl. , BStBl I 2005, 699, Rz 17; zweifelnd Schmidt/Kulosa, EStG, 32. Aufl., § 6 Rz 461), ist für den Streitfall nicht entscheidungserheblich.
8 2. Soweit die Klägerin außerdem die Frage aufwirft, ob es sachgerecht sei, die Vorschrift des § 13 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG), der zufolge der Wert von Leistungen von unbestimmter Dauer, deren Fälligkeit nicht vom Leben einer oder mehrerer bestimmter Personen abhängt, mit dem 9,3fachen des Jahreswerts zu bewerten sind, auch auf Verrechnungskonten anzuwenden, bei denen eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen die Darlehensverbindlichkeiten unter Umständen sogar täglich verändern können, fehlt es an einer hinreichenden Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bzw. der Erforderlichkeit einer BFH-Entscheidung zur Fortbildung des Rechts (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
9 Es ist geklärt, dass Darlehen, die auf unbestimmte Zeit gewährt werden und daher nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können (§ 488 Abs. 3 Satz 2 BGB) dann nicht i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 2002 als Darlehen mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten angesehen werden können, wenn sich nach den Umständen des Falls bei wirtschaftlicher Betrachtung trotz der formalen Kündigungsmöglichkeit nach den Erkenntnissen zum Bilanzstichtag voraussichtlich eine längere Laufzeit ergibt (z.B. Senatsurteil vom I R 35/09, BFHE 228, 250, BStBl II 2010, 478, m.w.N.). Es ist auch nicht zweifelhaft, dass die mutmaßliche restliche Laufzeit von Verbindlichkeiten zu schätzen ist und dass dabei auf die Erkenntnisse zum Bilanzstichtag und nicht auf die tatsächliche spätere Rückführung der Darlehen abzustellen ist. Aus der Senatsrechtsprechung ergibt sich überdies, dass der im BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 699, Rz 7 geäußerten Auffassung zu folgen ist, nach der die Restlaufzeit einer unverzinslichen Verbindlichkeit analog § 13 Abs. 2 BewG geschätzt werden kann, wenn für eine objektive Schätzung der Restlaufzeit keine Anhaltspunkte vorliegen (Senatsbeschluss vom I B 118/10, BFH/NV 2011, 986). Von diesen rechtlichen Maßgaben ist das FG ausgegangen und hat (auch unter Hinweis auf das Fehlen entsprechenden substantiierten Vortrags der Klägerin) keine Anhaltspunkte für die Schätzung konkreter Darlehenslaufzeiten zu den jeweiligen Bilanzstichtagen gesehen und folglich auf § 13 Abs. 2 BewG zurückgegriffen. Soweit die Klägerin dies in der Beschwerdebegründung unter Hinweis auf häufige Veränderungen der Kontokorrentkonten in Zweifel zieht, betrifft das ausschließlich die Ebene der Tatsachenfeststellung im streitgegenständlichen Einzelfall. Weiterer rechtlicher Klärungsbedarf ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
10 3. Die schließlich noch zur Prüfung gestellte Frage, ob —wovon das angefochtene Urteil ausgeht— hinsichtlich der Beurteilung der voraussichtlichen Darlehenslaufzeit auf den Kenntnisstand zum Bilanzstichtag abzustellen ist oder ob es insoweit auf den Zeitpunkt der Bilanzerstellung ankommt (vgl. , Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 969), ist durch die BFH-Rechtsprechung geklärt (Senatsurteil in BFHE 228, 250, BStBl II 2010, 478, und Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 986). Danach hat das FG zu Recht auf den Bilanzstichtag als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der voraussichtlichen Laufzeit abgestellt. Insoweit bedarf es folglich auch keiner Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 1779 Nr. 11
DStZ 2013 S. 798 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2013 S. 827
TAAAE-45396