Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei plötzlicher Erkrankung
Leitsatz
Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei plötzlich auftretender Erkrankung.
Gesetze: § 233 ZPO
Instanzenzug: OLG Celle Az: 18 UF 92/10vorgehend AG Dannenberg Az: 51 F 219/09
Gründe
I.
1Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und streiten in einem am eingeleiteten Verfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei gemeinsamen Kinder. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat mit Beschluss vom das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder auf die Mutter übertragen. Dieser Beschluss ist dem Vater am zugestellt worden. Am (einem Montag) hat er hiergegen beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt, beim Oberlandesgericht ist die Beschwerde mit den Akten am eingegangen. Auf den Hinweis der Senatsvorsitzenden, dass die Beschwerde verspätet beim Oberlandesgericht eingegangen sei, hat der Vater Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe am Tag des Fristablaufs noch prüfen wollen, ob die Beschwerde beim Amts- oder beim Oberlandesgericht einzulegen sei, und habe zur Sicherheit je einen Beschwerdeschriftsatz an das Amtsgericht und an das Oberlandesgericht fertig gestellt und unterschrieben. Sein Verfahrensbevollmächtigter sei am Abend des Fristablaufs gegen 19.45 Uhr zunächst nach Hause gefahren und habe beabsichtigt, später noch einmal in die Kanzlei zu fahren, um die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts abschließend zu prüfen und den richtigen Schriftsatz zu faxen. Daran sei er jedoch durch eine plötzlich aufgetretene Magen-Darm-Erkrankung gehindert gewesen. Er habe daher seine Ehefrau, die ebenfalls Volljuristin sei, gebeten, in die Kanzlei zu fahren und den vorbereiteten Schriftsatz an das Oberlandesgericht zu faxen. Diese habe jedoch um 22.10 Uhr versehentlich den ebenfalls unterschriebenen Schriftsatz an das Amtsgericht gesendet.
2Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und zugleich die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Vaters.
II.
3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 9).
41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Rechtsbeschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hierzu BGHZ 151, 221 = NJW 2002, 3029, 3031 und Senatsbeschluss vom - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).
52. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, den Verfahrensbevollmächtigten des Vaters treffe ein Verschulden an der Fristversäumung, da er den Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle nicht genügt habe. Hierbei könne dahingestellt bleiben, ob die Büroorganisation in der Kanzlei grundsätzlich den Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle genüge, da trotz der konkret an die Ehefrau des Verfahrensbevollmächtigten erteilten Einzelweisung, die vorbereitete und an das Oberlandesgericht gerichtete Beschwerdeschrift an dieses zu übermitteln, eine Ausgangskontrolle nicht entbehrlich gewesen sei. Hierzu seien der Ausdruck und die Vorlage eines Sendeberichts notwendig gewesen, um überprüfen zu können, welcher Schriftsatz tatsächlich an welches Gericht übermittelt worden sei. Das gelte umso mehr, als der Verfahrensbevollmächtigte zwei an unterschiedliche Gerichte adressierte Schriftsätze unterschrieben und hinterlegt habe. Diese Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle müssten auch vor dem Hintergrund der vorliegend an die Ehefrau des Verfahrensbevollmächtigten erteilten Weisung Geltung beanspruchen.
63. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht stellt nur darauf ab, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Vaters keine wirksame Ausgangskontrolle vorgenommen habe. Ob dessen plötzlich aufgetretene Erkrankung unabhängig hiervon das Wiedereinsetzungsgesuch rechtfertigen kann, zieht das Beschwerdegericht dagegen unter Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht in Erwägung.
7a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Rechtsanwalt in seinem Büro eine Ausgangskontrolle zu schaffen hat, durch die gewährleistet wird, dass Frist wahrende Schriftsätze rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingehen. Bei der Übermittlung per Telefax kommt der Rechtsanwalt dieser Verpflichtung nur dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 59/10 - NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12 mwN; - NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7). Die Ausgangskontrolle anhand eines Sendeberichts dient nicht nur dazu, Fehler bei der Übermittlung auszuschließen. Vielmehr soll damit ebenso die Feststellung ermöglicht werden, ob der Schriftsatz überhaupt übermittelt worden ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 59/10 - NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12; - VersR 1999, 996).
8Ob die in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten praktizierte Ausgangskontrolle beim Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax generell ordnungsgemäß organisiert ist, hat das Beschwerdegericht hier allerdings zu Recht als unerheblich angesehen, weil der Verfahrensbevollmächtigte außerhalb seiner allgemeinen Kanzleiorganisation eine Einzelanweisung zur Übersendung des Beschwerdeschriftsatzes erteilt hat.
9b) Dem Rechtsanwalt kann nicht vorgeworfen werden, einen Sendebericht nicht am Abend des Fristablaufs kontrolliert zu haben, da er plötzlich und unvorhergesehen erkrankt war. Diesen Umstand hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft nicht in seine Erwägungen einbezogen.
10Ein Rechtsanwalt hat zwar im Rahmen seiner Organisationspflichten grundsätzlich auch dafür Vorkehrungen zu treffen, dass im Falle einer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen wahrnimmt ( - NJW 2011, 1601 Rn. 18). Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war (BGH Beschlüsse vom - VIII ZB 81/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 18; vom - II ZB 1/09 - NJW 2009, 3037 Rn. 10 und vom - V ZB 32/08 - FamRZ 2008, 2271 Rn. 9). So liegt der Fall hier. Der Rechtsbeschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass sein Anwalt am Abend des Fristablaufs plötzlich und unvorhergesehen an einer Magen-Darm-Grippe mit Fieber erkrankt war und deshalb nicht wie vorgesehen nochmals ins Büro fahren konnte, um den Beschwerdeschriftsatz selbst abzuschicken. Angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit (nach 22 Uhr) und der Tatsache, dass der Verfahrensbevollmächtigte ausweislich seines Briefkopfes als Einzelanwalt in Bürogemeinschaft tätig ist, war die Erreichung und Bestellung eines Vertreters erkennbar aussichtslos. Angesichts dieser Umstände hat er mit der Beauftragung seiner Ehefrau, das Fax an das Oberlandesgericht zu senden, schon eine Maßnahme getroffen, zu der er im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand nicht verpflichtet war. Allein deshalb kann ihm der dann bei der Ausgangskontrolle aufgetretene Fehler nicht angelastet werden (vgl. hierzu - NJW 2009, 3037 Rn. 10 und Senatsbeschluss vom - XII ZB 150/97 - NJW-RR 1998, 639).
III.
11Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 621 e Abs. 3 Satz 2, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Hinsichtlich des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die plötzliche Erkrankung des Verfahrensbevollmächtigten durch seine eigene eidesstattliche Versicherung sowie durch diejenige seiner Ehefrau glaubhaft gemacht worden ist. In der Sache selbst ist es dem Senat allerdings verwehrt, abschließend zu befinden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Insoweit ist die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Dose Weber-Monecke Schilling
Nedden-Boeger Botur
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2013 S. 7 Nr. 38
NJW 2013 S. 3183 Nr. 43
StBW 2013 S. 908 Nr. 19
JAAAE-44546