Instanzenzug: Az: 27 Ca 11866/10 Zwischenurteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 11 Sa 433/11 Urteilnachgehend Az: C-464/13 und C-465/13 Urteilnachgehend Az: 7 AZR 931/11 Urteil
Gründe
Die Parteien streiten im Rahmen der Befristungskontrollklage einer Lehrbeauftragten in einem Zwischenverfahren über die Frage, ob die Beklagte der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist.
2Die Beklagte ist eine Bildungseinrichtung, in der Kinder von Bediensteten der Europäischen Patentorganisation in München unterrichtet werden. Sie wurde auf der Grundlage des Zusatzprotokolls vom (BGBl. 1978 II S. 994) zum Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen vom (BGBl. 1969 II S. 1301) errichtet. Die Gründung der Europäischen Schulen geht auf die am von den Staaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichneten Satzungen zurück (BGBl. 1965 II S. 1041). Seit dem gilt die Satzung der Europäischen Schulen vom (ABl. EG L 212 vom S. 3 - BGBl. 2003 II S. 459; „SES“), die außer von den Mitgliedstaaten ua. von der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft unterzeichnet wurde.
3In der SES ist unter anderem die Organisation der Europäischen Schulen geregelt. Gemeinsame Organe sind nach Art. 7 SES der Oberste Rat, der Generalsekretär, die Inspektionsausschüsse und die Beschwerdekammer.
4An den Europäischen Schulen unterrichten nach Art. 3 Abs. 2 SES Lehrer, die von den Mitgliedstaaten abgeordnet oder zugewiesen sind. Die Beschäftigungsbedingungen dieser Lehrer sind durch das Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen („StaPES“) bestimmt, das vom Obersten Rat auf Grundlage von Art. 12 Ziff. 1 SES erlassen wurde. Zusätzlich zu den - auch als Hauptpersonal bezeichneten - abgeordneten Lehrern können die Direktoren der Europäischen Schulen sogenannte Lehrbeauftragte anstellen. Rechtsgrundlage ist das vom Obersten Rat erlassene „Statut der nach dem eingestellten Lehrbeauftragten“ („StaLES“).
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem als Lehrbeauftragte tätig. Die Beschäftigung erfolgte aufgrund jährlich befristeter, jeweils vom Direktor unterzeichneter Arbeitsverträge. Der vorletzte Lehrauftrag vom sah eine Befristung für das Schuljar 2009/2010 bis zum vor, der letzte Lehrauftrag vom eine solche für das Schuljahr 2010/2011 bis vor. In § 13 des Lehrauftrags vom heißt es:
§ 10 des Lehrauftrags vom hat folgenden Wortlaut:
7Mit am beim Arbeitsgericht München eingegangener Befristungskontrollklage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die deutsche Gerichtsbarkeit über die Wirksamkeit der Befristungen ihres Arbeitsverhältnisses zu entscheiden habe. Die Europäischen Schulen genössen insoweit keine Immunität.
Die Klägerin hat beantragt
9Die Beklagte hat ihren Antrag auf Klageabweisung mit der Auffassung begründet, dass sie nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen sei.
10Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision begehrt.
Zur Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit bestimmt § 20 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr vom (BGBl. I S. 89):
16Damit hängt die vom Senat zu treffende Entscheidung davon ab, ob der Streit der Parteien über die Wirksamkeit der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung über die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zu den Streitigkeiten iSv. Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES gehört. Sollte dies der Fall sein, wäre die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit nicht gegeben. Sollte die Streitigkeit nicht unter Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES fallen, wären nach dem Verständnis des Senats die deutschen Gerichte nach Art. 27 Abs. 7 Satz 1 SES zuständig. Damit kommt es für die vom Senat zu treffende Entscheidung auf die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES an. Hierfür ist der Senat nicht zuständig.
18Mit Urteil vom (- Rs. 44/84 - [Hurd] Slg. 1986, 29) hatte der Gerichtshof allerdings entschieden, „dass die Gründung der Europäischen Schulen weder auf den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften noch auf Handlungen der Gemeinschaftsorgane beruht, sondern auf völkerrechtlichen Übereinkommen der Mitgliedstaaten, nämlich auf der Satzung der Europäischen Schule und dem Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen“ und dass „diese Übereinkommen (…) ebensowenig wie die auf ihrer Grundlage getroffenen Rechtsakte und Beschlüsse der Organe der Europäischen Schulen unter eine Gruppe von Handlungen (fallen), die in Artikel 177 EWG-Vertrag oder in Artikel 150 EAG-Vertrag genannt sind“ ( 44/84 - [Hurd] Rn. 20, aaO). Diese Entscheidung erging aber noch zu der am unterzeichneten Satzung der Europäischen Schulen, an der die Europäischen Gemeinschaften nicht beteiligt waren. An deren Stelle ist mittlerweile die am abgeschlossene Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen, die SES, getreten. „Anders als die ursprünglichen Rechtsinstrumente, an denen nur die Mitgliedstaaten beteiligt waren, wurde die Vereinbarung über die Europäischen Schulen auch von den Europäischen Gemeinschaften abgeschlossen, die hierzu durch den Beschluss 94/557/EG, Euratom des Rates vom betreffend die Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft zur Unterzeichnung und zum Abschluss der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (ABl. L 212, S. 1) ermächtigt worden waren“ (so ausdrücklich - [Paul Miles ua.] Rn. 4, Slg. 2011, I-5105). Da somit das nunmehr maßgebliche Gründungsabkommen auch von den Europäischen Gemeinschaften abgeschlossen ist, stellt es sich als Handlung eines Gemeinschaftsorgans iSv. Art. 267 AEUV und damit als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung dar, für deren Auslegung der EuGH zuständig ist (vgl. noch zu Art. 177 Abs. 1 EWG-Vertrag 181/73 - [Haegeman] Rn. 2/6, Slg. 1974, 449; vgl. auch - [Kommission/Belgien] Rn. 43, Slg. 2010, I-8695). Dem steht nicht entgegen, dass sich der EuGH auch im Urteil vom (- C-196/09 - [Paul Miles ua.] aaO) als für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens unzuständig erachtet hat. Diese Entscheidung beruhte vielmehr darauf, dass der EuGH die anfragende Beschwerdekammer der Europäischen Schulen nicht als vorlageberechtigtes „Gericht eines Mitgliedstaats“ iSv. Art. 267 AEUV ansah (vgl. - [Paul Miles ua.] Rn. 37 bis 43, aaO).
20Mit der ersten Vorlagefrage will der Senat klären, ob von einer Europäischen Schule eingestellte Lehrbeauftragte, die nicht von den Mitgliedstaaten abgeordnet werden, von der Anwendung des Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES - wie das „Verwaltungs- und Dienstpersonal“ - ausgenommen sind. Sollte dies der Fall sein, wäre bereits aus diesem Grund für die vorliegende Streitigkeit nicht die Beschwerdekammer, sondern die deutsche Gerichtsbarkeit zuständig. Nach der Einschätzung des Senats spricht gegen eine solche Herausnahme der „Lehrbeauftragten“ zwar recht deutlich ihre Erwähnung in Art. 27 Abs. 2 Unterabsatz 2 SES, die bei einer vollständigen Herausnahme wenig Sinn ergeben würde. Andererseits sind die Lehrbeauftragten insoweit in ähnlicher Lage wie das Verwaltungs- und Dienstpersonal, als sie nicht von den Mitgliedstaaten abgeordnet, sondern von der Europäischen Schule eingestellt werden. Insoweit erscheint dem Senat die Beantwortung der Frage nicht völlig eindeutig.
21Falls der EuGH die erste Frage bejahen sollte und daher die von der Europäischen Schule eingestellten Lehrer von der Anwendung des Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES nicht von vorneherein ausgenommen sind, möchte der Senat mit der zweiten Frage klären, ob Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES auch die Rechtmäßigkeit der vom Direktor einer Schule in Ausübung seiner Befugnisse gegenüber den Lehrbeauftragten getroffenen Entscheidungen erfasst. Dies erscheint vor allem deshalb zweifelhaft, weil in Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES nur von der Rechtmäßigkeit einer „vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule“ getroffenen Entscheidung, nicht dagegen von einer solchen des „Direktors“ die Rede ist. Auch insoweit erscheint es aber nicht von vorneherein ausgeschlossen, im Wege einer weiten oder ergänzenden Auslegung der Bestimmung auch Entscheidungen des Direktors einzubeziehen.
22Falls der EuGH die zweite Frage bejahen sollte und dementsprechend auch Entscheidungen des Direktors unter Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES fallen, möchte der Senat mit der dritten Frage klären, ob der Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Direktor einer Schule und einem Lehrbeauftragten über die Befristung des Arbeitsverhältnisses eine gegenüber dem Lehrbeauftragten getroffene und ihn beschwerende „Entscheidung“ des Direktors iSv. Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES darstellt. Auch dies erscheint dem Senat nicht eindeutig. Immerhin lässt sich wohl auch die Auslegung vertreten, „Entscheidungen“ seien nur einseitige Maßnahmen, nicht dagegen zweiseitige Vereinbarungen.
Falls der EuGH die zweite oder die dritte Frage verneinen sollte und damit davon auszugehen wäre, dass die Rechtmäßigkeit einer zwischen dem Direktor einer Schule und einem Lehrbeauftragten geschlossenen Befristungsabrede grundsätzlich nicht zu den in Art. 27 Abs. 2 Satz 1 SES bezeichneten Streitigkeiten gehört, möchte der Senat mit der vierten Frage klären, ob möglicherweise gleichwohl die Beschwerdekammer dann zuständig ist, wenn die von dem Direktor mit dem Lehrbeauftragten getroffene Vereinbarung maßgeblich auf der Vorgabe des Obersten Rates in Ziff. 1.3. des Statuts der nach dem eingestellten Lehrbeauftragten (StaLES) beruht, das „jährliche Arbeitsverträge“ vorsieht. Immerhin erscheint die Argumentation nicht ausgeschlossen, in einem solchen Fall stelle sich die mit dem Direktor geschlossene Vereinbarung der Sache nach nur als Umsetzung einer Entscheidung des Obersten Rates dar, so dass zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit die Beschwerdekammer berufen sei.
Fundstelle(n):
PAAAE-43238