BGH Urteil v. - 4 StR 100/13

Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikt: Auswirkung einer Teilrücknahme einer Revision unter Beschränkung auf den Strafausspruch auf die Anordnung des Verfalls; Anforderungen an Urteilsfeststellungen bei Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Gesetze: § 302 Abs 1 StPO, § 302 Abs 2 StPO, § 64 StGB, § 73 StGB, § 73a StGB, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Instanzenzug: Az: 44 KLs 183 Js 152/12 - 36/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünfzehn Fällen unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner einen Betrag in Höhe von 5.640 € für verfallen erklärt und hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 30.000 € den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

2Der Verteidiger hat das in der Revisionsrechtfertigung zunächst mit einem umfassenden Aufhebungsantrag verbundene Rechtsmittel mit Schriftsatz vom teilweise zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 StPO). In diesem Schriftsatz hat er beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen „im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist … aufzuheben“. Diese nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, aber vor Beginn der Hauptverhandlung eingegangene und daher nicht nach § 303, sondern nach § 302 StPO zu beurteilende Erklärung (zur Rechtslage bei einer entsprechenden Erklärung innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO vgl. Senatsbeschluss vom – 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 5 ff.) war auch wirksam. Der Verteidiger hatte, wie er in der Hauptverhandlung erklärt hat, im Zeitpunkt ihrer Abgabe die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten. Für diese Ermächtigung ist keine bestimmte Form vorgeschrieben, für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (Senatsbeschluss vom – 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 302 Rn. 32). Die vom Verteidiger in der Hauptverhandlung erklärte Erweiterung des Rechtsmittels ist wegen des Ablaufs der Revisionseinlegungsfrist unzulässig (, BGHSt 38, 366 f.).

II.

3Durch die Teilrücknahme ist das angefochtene Urteil im Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen. Gleiches gilt hinsichtlich der Anordnungen des Verfalls und des Verfalls von Wertersatz, da es sich hierbei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um Maßnahmen eigener Art ohne Strafcharakter handelt (vgl. dazu , NJW 1995, 2235). Der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt es daher nur noch im Strafausspruch und insoweit, als die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

41. Soweit dem Revisionsvorbringen im Hinblick auf die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit die Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht entnommen werden kann, bleibt diese Beanstandung, wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat vom im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, ohne Erfolg.

52. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin hat hinsichtlich des Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

63. Im Hinblick auf die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB führt das Rechtsmittel jedoch zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Landgericht. Die Strafkammer hätte erörtern müssen, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen war, da die getroffenen Feststellungen den für eine Unterbringung erforderlichen Hang nahe legen, also eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende und durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom – 4 StR 518/03, NStZ 2004, 681; SSW-StGB/Schöch, § 64 Rn. 8).

7a) Nach den Feststellungen kam der Angeklagte etwa im Alter von zwölf Jahren mit Drogen in Kontakt, mit 15 Jahren begann er mit dem regelmäßigen Konsum von Marihuana. Etwa ein Jahr später begann er, regelmäßig Haschisch für den Eigenkonsum zu erwerben, zuletzt etwa 10 Gramm pro Tag. Mit etwa 17 Jahren probierte der Angeklagte Kokain aus, das er ab dem 18. Lebensjahr regelmäßig konsumierte. Seinen Verbrauch steigerte er nach und nach auf etwa 1 bis 2 Gramm Kokain im Tatzeitraum; hierfür wandte er etwa 30 bis 90 €/Tag auf. Die abgeurteilten Taten beging er – soweit er (wie überwiegend) mit Marihuana gehandelt hat – zur Finanzierung seines Drogenkonsums. Im Jahr 2009 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Drogeneinfluss jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. In der Untersuchungshaft in vorliegender Sache litt er in den ersten drei Monaten unter Schlafstörungen und rauchte Zigaretten, um den Betäubungsmittel-Mangel zu kompensieren.

8b) Da auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB vor dem Hintergrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen und den Urteilsgründen insbesondere nicht entnommen werden kann, dass beim Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht, erweist sich die unterbliebene Erörterung der Unterbringung als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Einer etwaigen Unterbringungsanordnung steht auch nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; , BGHSt 37, 5), zumal der Angeklagte die Nichtanwendung von § 64 StGB durch die Strafkammer nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. dazu , BGHSt 38, 362).

III.

9Die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wird nunmehr mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu klären haben, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Mit Blick auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe weist der Senat auf § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB besonders hin (vgl. dazu Fischer, StGB, 60. Aufl., § 67 Rn. 10 ff. mN zur Rspr.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
QAAAE-43122